The Happy Prince
Trailer • Kino
Rupert Everett hat fast zehn Jahre gebraucht, bis er „The Happy Prince“ endlich drehen konnte. Darin erzählt er als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller das tragische Ende von Oscar Wilde und wird dabei von einem stargespickten Ensemble unterstützt. Ein großer, schöner und sehr schwuler Historienschinken, für den es keinen Teddy, aber schon einen Bayerischen Filmpreis gab.
Der letzte Kaiser
von Paul Schulz
„Oscar war der letzte große Vagabund des 19. Jahrhunderts. Kurz vor seinem Tod saß er saufend auf der Straße herum, ihm fehlten Zähne und ein leichter Gestank nach Fäulnis und Urin umgab ihn. Kein Stricher wollte da mehr ran. Und das ist das Ende eines der schon damals berühmtesten Menschen der Welt? Eine faszinierende Geschichte, finden Sie nicht?“ (Rupert Everett)
Heute, mehr als hundert Jahre nach seinem Tod, scheint das Ende von Wildes Leben irgendwie so folgerichtig, dass es die meisten der Filmerzählungen über ihn nicht mal für erzählenswert halten. Denn natürlich konnte das alles nicht gut gehen … Der korpulente, fröhliche Familienvater, der darauf bestand, in aller Öffentlichkeit einen jungen, adligen Geliebten haben zu dürfen. Der geniale Autor, dessen Original-Manuskripte so „sauber“ – also frei von Korrekturen oder Fehlern – waren, dass sie Literaturhistoriker lange für Abschriften hielten und nach den „Arbeitsversionen“ suchten. Der Dramatiker, der wusste, wie gut er war, und sich etwas darauf einbildete. Der Ire, der in England ein riesiger Star wurde. Der Katholik inmitten von Anglikanern. Der größte, bürgerliche Fan von Lord Alfred „Bosie“ Douglas, der seiner Liebe ohne Namen zu dem jungen Egoisten unbedingt doch einen Namen geben wollte und das auch tat. Nämlich seinen: Oscar Fingal O’Flahertie Wills Wilde. Gestorben im Pariser Exile als Sebastian Melmoth. Da war er 46 Jahre und das neue, 20. Jahrhundert erst ein paar Monate alt.
Nach seinem Tod wurde Oscar dann der berühmt-berüchtigste Homosexuelle der Literaturgeschichte. Und der letzte Kaiser der Dandys. Was er vorausgesehen hat. Denn der literarische Weltstar hätte, bevor er seine zweijährige Gefängnisstrafe wegen „schwerer Unzucht“ verbüßen musste, aus England fliehen können. Tat das aber nicht. Weil er ein Romantiker war und dachte, er würde mit seiner öffentlichen Demütigung ein Zeichen für seine Art der Liebe setzen, das die Nachwelt nie vergessen würde. Auch wenn sein früher Tod dabei sicherlich nicht eingeplant war: Das zumindest hat geklappt.
Was man schon daran sieht, dass einer der heute berühmt-berüchtigsten Homosexuellen der Welt, der Schauspieler Rupert Everett, gut ein Jahrzehnt seines Lebens damit zugebracht hat, einen Film über Wildes Ende zu schreiben, zu drehen und darin auch die Hauptrolle zu spielen: „The Happy Prince“. All das macht er fabelhaft, weil er den richtigen, sich überblendenden Rahmen für seine Geschichte gefunden hat. Der ist Wilde selbst, wie er zwei unterschiedlichen Paaren junger Männer sein Märchen „The Happy Prince“ erzählt. In Rückblenden sitzt er dabei am Bett seiner Söhne. Und in der auf ihr unschönes Ende zurasenden linearen Filmhandlung sind es ein Stricher und dessen jüngerer Bruder, die darauf bestehen, die Geschichte zu hören, nachdem Wilde mit dem älteren von ihnen geschlafen hat. „The Happy Prince“ hat eine einfache Moral: „Liebe ist das einzige, was es anzubeten gilt“, was Everett hier zu Wildes Lebensmotto umstrickt, und ihn so zu einem großen, romantischen Monster werden lässt.
Everetts Wilde ist nur im Rückspiegel ein Star, der geliebt und umjubelt wird, denn „The Happy Prince“ beginnt erst dort, wo andere längst Schluss gemacht haben. Im Stephen-Fry-Star-Vehikel „Wilde“ (1997), das Jude Law als nacktem Bosie 1997 zu Weltruhm verhalf, umarmen sich die beiden Ex-Geliebten nach Wildes tiefem Fall einmal, dann kommt der Abspann. Und in „The Trials of Oscar Wilde“ (1960) sprechen Wilde und Bosie, historisch völlig unkorrekt, nach der Entlassung des Dichters aus dem Gefängnis überhaupt nicht mehr miteinander, weil Wilde über Bosies Illoyalität so empört ist. Everetts Wilde tut das, was der wahre Wilde getan hat: Obwohl es ihnen verboten ist, leben Bosie und er im Exil für einige Monate wieder zusammen, in der Nähe von Neapel, auf größtmöglichem Fuß, von Bosies Taschengeld und den lumpigen drei Pfund die Woche, die Wilde von seiner Ehefrau Constance überwiesen bekommt. Als die Douglas-Familie das herausfindet, beendet sie die finanzielle Unterstützung ihres Sohnes und damit auch seine Beziehung zu Wilde. Constance stirbt wenig später in Genua und lässt Wilde so gut wie mittellos zurück, unterstützt wird er nur noch von seinen Freunden Robbie Ross und Reggie Turner. Die müssen hilflos dabei zusehen, wie er sich innerhalb weniger Monate mit Alkohol und Drogen komplett zerstört.
Everett weiß trotz all der neuen historisch korrekten Ehrlichkeit aber, was er seinem Publikum schuldig ist und lässt seinen Wilde einen durch und durch tragischen, aber sehr gefühlvollen Helden sein, dem die populärsten Aphorismen aus dem vor Atemnot offenen Mund nur so purzeln: „Diese Tapete und ich befinden uns in einem Kampf auf Leben und Tod. Einer von uns muss gehen“, ist genauso dabei, wie „Jeder tötet, was er liebt“ und „Es gibt kein größeres Geheimnis, als den Schmerz“. Katholiken eben. Tiergleichnisse über tote Vögel und Bäche von Blut, garniert mit Humor, aber ohne eine Spur von Selbstmitleid. Die Vergebung ist schließlich nur eine Sache der Zeit.
Filmisch orientiert sich Regiedebütant Everett an den großen Vorbildern des britischen Historienschinkens. Merchant/Ivory hätten das optisch wohl nicht viel besser hinbekommen, alles ist sehr klassisch, sehr elegisch und, obwohl die Hälfte des Films aus Finanzierungsgründen in Bayern gedreht worden ist, sehr italienisch. Wohl auch weil der Bayerische Rundfunk letztendlich die große Zunge an der Wage war, die „The Happy Prince“ finanziell überhaupt ermöglichte, gabs für Jörg Schulze und Philipp Kreuzer schon vor dem deutschen Kinostart den Bayerischen Filmpreis als Beste Produzenten. Darüber konnte man sich schon allein deswegen freuen, weil die politische Kaste bei der Verleihung so sparsam guckte. Was nur beweist, wie aktuell der Stoff ist, den Everett bearbeitet hat.
Denn klar: Mächtige Queerlinge jeden Geschlechts gibt es inzwischen einige im Film- und vor allem im TV-Geschäft. Niemand würde erwarten, dass Scott Rudin, Dustin Lance Black, Jill Soloway, Ryan Murphy oder Greg Berlanti in der Gosse enden. Aber seien wir ehrlich, selbst viele von uns glauben immer noch, dass schwule Männer trotz, nicht wegen, ihres Andersseins Karriere machen und die Gesellschaft nur darauf wartet, sich für ihren Erfolg an ihnen und uns zu rächen. An dieser Annahme hat sich in den 118 Jahren seit Wildes Tod nicht viel geändert, schon weil sie so oft bestätigt worden ist. Aber vielleicht ist es Zeit, sich von ihr endlich zu verabschieden und sich über unsere Erfolge zu freuen. Zu denen gehört „The Happy Prince“ eindeutig.
The Happy Prince
von Rupert Everett
UK/BE/I/DE 2018, 112 Minuten, FSK 12,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,
Concorde Filmverleih
Ab 24. Mai hier im Kino.