Parallele Mütter

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In seinem neuen Film „Parallele Mütter“ erzählt Pedro Almodóvar von zwei Frauen und zwei ungeplanten Schwangerschaften. Während Janis (Penélope Cruz) der Geburt ihres Kindes überglücklich entgegensieht, ist die Jugendliche Ana (Milena Smit) voller Angst und Zweifel. Durch einen Zufall werden die Leben der beiden Mütter auf dramatische Weise durcheinandergebracht. Verena Schmöller ist ergriffen von den großen Gefühlen – und davon, wie es Almodóvar ein weiteres Mal gelingt, diese durch Bilder, Farben, Musik und Stimmung in den Kinosaal zu transportieren.

Foto: Arthaus / StudioCanal

Sehnsucht nach Wahrheit

von Verena Schmöller

Nicht umsonst heißt die Produktionsfirma von Pedro Almodóvar El Deseo (span. Begierde, Verlangen). Eine Sehnsucht, ein Begehren, eine große Leidenschaft – das zeichnet die Figuren seines Filmschaffens aus, das lässt sie leiden, aber auch lieben. Janis, die Protagonistin von Almodóvars jüngstem Film „Parallele Mütter“, ist eine solch leidenschaftliche Figur. Seit ihrer Kindheit versucht Janis, Klarheit zu schaffen mit und in ihrer Vergangenheit. Ihr Urgroßvater ist während des Spanischen Bürgerkriegs verschleppt und zusammen mit anderen Bürgern am Rande der Ortschaft in einem Massengrab verscharrt worden. Das haben die Hinterbliebenen überliefert, und das Gedenken daran bestimmt bis heute, mehr als 80 Jahre später, das ganze Dorf. Seit Jahrzehnten versuchen sie, die Exhumierung zu erwirken – bislang erfolglos. Als Janis, die als Fotografin arbeitet, während eines Jobs den forensischen Historiker Arturo kennenlernt, bittet sie ihn um Hilfe, und er sagt zu.

Die Geschichte um die Ausgrabung und Aufarbeitung der Vergangenheit ist die Rahmenhandlung von „Parallele Mütter“ und erweist sich am Ende als sorgfältig eingewebte politische Haltung in das, was man vor allem von Almodóvar kennt – das Melodram, die Leidensgeschichte einer Figur, die von schweren Schicksalsschlägen heimgesucht wird. Während Janis einerseits versucht, mehr über den Tod ihres Urgroßvaters zu erfahren, muss sie selbst erleben, wie schwer es manchmal ist, die Wahrheit zu ertragen und damit zu leben.

Janis und Arturo treffen sich, um die Exhumierung zu beantragen und zu organisieren, aber auch, weil sie Gefallen aneinander gefunden haben. Jedes Mal, wenn Arturo in der Stadt ist, besucht er Janis. Doch es bleibt bei der Affäre, denn Arturos Frau ist schwer krank, und als Janis schwanger wird, bricht die Beziehung der beiden auseinander. Janis will die Chance ergreifen, kurz vor 40 doch noch ein Kind zu bekommen, und dass sie das Kind alleine aufziehen wird, ist für sie kein Problem. Schließlich haben das alle Frauen in ihrer Familie so gemacht.

In der Entbindungsklinik trifft sie auf die minderjährige Ana, die ebenfalls ein Kind ohne Vater erwartet. Die beiden Frauen freunden sich an, gebären jeweils ein Mädchen und sind überglücklich und besorgt zugleich, denn beide Babys müssen zunächst auf die Überwachungsstation. Als sie mit den Kindern nach Hause gehen, trennen sich ihre Wege zunächst.

Foto: Arthaus / StudioCanal

Arturo kommt eines Tages vorbei, um seine Tochter zumindest kennenzulernen, aber er ist ungewohnt reserviert: Das sei nicht sein Kind, das habe er im Gefühl. Janis reagiert schockiert und wütend, doch dann macht sie selbst einen Mutterschaftstest und muss herausfinden, dass sie nicht die Mutter dieses kleinen Wesens ist, das im Bettchen nebenan schläft. Sie will aller Welt davon erzählen und sich Rat einholen, doch dann erreicht sie niemanden, bricht den Kontakt – sowohl zu Arturo als auch zu Ana – ab und lebt fortan allein mit dem Wissen eines fremden Kindes in ihrer Obhut.

Man ahnt schnell, was Janis und Ana passiert ist. Mehr als sonst gibt Pedro Almodóvar Hinweise und Vorausdeutungen auf die Entwicklung der Geschichte und reizt das Leiden seiner Figur und das Dabei-Zuschauen und Mitfühlen des Publikums umso mehr aus. Das ist es, was das Kino von Almodóvar immer wieder ausmacht: von großen Gefühlen erzählen, sie in Bilder, Farben, Musik und Stimmung oder in nur eine einzige Detailansicht fassen und sie in den Kinosaal transportieren. Und das gelingt ihm mit „Parallele Mütter“ so überzeugend, wie bereits in „Alles über meine Mutter“ (1999) oder „Sprich mit ihr“ (2002).

Foto: Arthaus / StudioCanal

Immer dann, wenn Almodóvar von Müttern und Menschen, die sich um andere kümmern, erzählt, erreichen seine Filme eine unglaubliche Tiefe. Diese Figuren erleben im Lieben, aber auch im Begehren, Nicht-Bekommen oder Verlieren extreme Gefühle, sie kämpfen für ihre Kinder und ihre Liebsten, geben alles und verlieren sich dabei doch nie selbst, beziehungsweise werden sie in ihrer Mütterlichkeit erst zu dem, was sie sind.

In „Parallele Mütter“ findet man alles, was das Filmschaffen von Almodóvar ausmacht: die Figur im Medienberuf, das Leben in der Stadt und der Rückbezug aufs Land, die Liebe in allen Konstellationen, das Schicksal, das um sich greift und die Figuren ordentlich durchrüttelt, und eben die Mütter, die nur eins sein wollen – gute Mütter. Ana will es besser machen als ihre eigene Mutter, die nie für sie da war, selbst in den allerschwersten Stunden nicht, und sie macht es trotz ihrer Jugend so viel besser. Und auch Janis will da sein für ihr Kind, es lieben und Mutter sein – und dann erfährt sie, dass sie dazu gar kein Recht hat.

Foto: Arthaus / StudioCanal

Tief in ihrem Innern weiß Janis, dass sie nicht in einer Lüge leben kann. Doch die Wahrheit zu akzeptieren, fällt ihr schwer, und dann verpasst sie es immer wieder, die Wahrheit zu sagen, und sie verstrickt sich immer mehr in ihrem Schmerz. Diesen Schmerz, diese Belastung sieht man Darstellerin Penelope Cruz in jeder Einstellung an: wie sie versucht, ihn zu verbergen, wie er sich aber seine Bahn bricht und sich tief in ihre Seele frisst.

Wieder ist es Arturo, der eine Wende der Geschichte anstößt, wenn er Janis davon erzählt, dass er sich von seiner Frau getrennt habe. Er habe sie nicht länger anlügen können. Und so schafft es auch Janis, den wichtigen Schritt zu gehen, der Verlust und Schmerz bedeutet, aber auch einen Neuanfang möglich macht und zeigt, was sie ist: eine unglaublich starke Frau. Was für Janis gilt, das gilt für ganz Spanien – das macht Almodóvar in den letzten Szenen seines Films deutlich. Die Wahrheit muss mit der Aushebung der Massengräber, von denen es bis heute immer noch viele gibt in Spanien, ans Licht kommen, damit die Wunden des Bürgerkriegs heilen und die Betroffenen neu anfangen können.

Während die Figuren in Almodóvars früheren Filmen häufig keinen Ausweg sehen und sich in ihren Sehnsüchten und Begierden verfangen, gelingt Janis der Weg aus der Leidensspirale. Ihre Sehnsucht nach Wahrheit ist größer als der unbändige Wunsch, eine Mutter zu sein, und gerade dadurch kommt sie ihm näher, als sie es zwischenzeitlich für möglich hält. So stehen am Ende die Hoffnung, die Liebe und das Leben – eine wichtige Botschaft in diesen Zeiten.




Parallele Mütter
von Pedro Almodóvar
ES/FR 2021, 123 Minuten, FSK 0,
spanische OF mit deutschen UT und DF,
StudioCanal

Ab 10. März im Kino.

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