Zu schön, um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story

TrailerDVD / BluRay

Für ihre Darstellung von Lady Diana in Pablo Larraíns Biopic „Spencer“ ist Kristen Stewart aktuell für den Oscar nominiert. In Justin Kellys „Zu schön, um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story“ (2018), der hierzulande nie in die Kinos kam, aber als DVD, BluRay und VoD erhältlich ist, verkörpert sie Savannah Knoop, eine junge Frau, die in den 2000er Jahren Teil eines Schwindels in der Literaturszene war, der im Oktober 2005 vom New York Magazine in einem aufsehenerregenden Artikel aufgedeckt wurde. In Verkleidung war Knoop als Jungautor JT LeRoy mit bewegter Stricher-Vergangenheit aufgetreten – eine Erfindung der Schriftstellerin Laura Albert, die sich wiederum als JTs Agentin ausgegeben hatte. Andreas Köhnemann über ein komplexes queeres Spiel mit Identitäten, kantige Protagonistinnen und uneitles Schauspiel.

Foto: Koch Films

Wahrer als die Wahrheit

von Andreas Köhnemann

Schon zweimal diente dem US-Drehbuchautor und -Regisseur Justin Kelly eine wahre Geschichte als Vorlage für einen Spielfilm. In „I Am Michael“ (2015) schilderte er das Leben des Schwulenaktivisten Michael Glatze, der zum „heterosexuellen“ christlichen Pastor wird, als Melodram um eine Selbstverleugnung. Für sein Porträt des schwulen Pornostars Sean Lockhart alias Brent Corrigan wählte er in „King Cobra“ (2016) die Form einer grellen Farce über Sex and Crime. Bei seinem neuen Film „Zu schön, um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story“ entscheidet er sich nun weniger eindeutig für ein Genre und einen Erzählton. Dass Kellys Skript auf den Memoiren „Girl Boy Girl: How I Became JT LeRoy“ der Protagonistin Savannah Knoop basiert und diese als Beraterin zur Verfügung stand, könnte vermuten lassen, der Film gäbe in erster Linie Knoops Sicht der realen Ereignisse wieder. Aber erfreulicherweise ist „Zu schön, um wahr zu sein“ ein weitaus komplexerer Film, der sich auf keine Seite schlagen und keine letztgültige Botschaft vermitteln möchte.

Die Geschehnisse, die uns gezeigt werden, gehen auf einen Skandal in der Kulturbranche der frühen 2000er Jahre zurück. Die Schriftstellerin Laura Albert hatte die Persönlichkeit JT LeRoy erschaffen – einen ehemaligen Teenie-Stricher und Sohn einer Prostituierten. Unter diesem Pseudonym hatte sie den angeblich autobiografischen Roman „Sarah“ veröffentlicht, der zum Hit avancierte. Die Handlung von „Zu schön, um wahr zu sein“ setzt ein, als Savannah, die Halbschwester von Lauras Freund Geoff, von Laura dazu überredet wird, in der Öffentlichkeit als JT aufzutreten – zunächst nur für ein einziges Interview, dann immer häufiger, bis die Sache außer Kontrolle gerät und der Schwindel schließlich auffliegt.

„Die Wahrheit ist selten klar und niemals einfach“ – mit diesem Zitat von Oscar Wilde beginnt der Film. Und tatsächlich vermeidet es Kelly, es sich und uns allzu leicht zu machen. Dafür sorgt bereits die Besetzung: Laura wird verkörpert von Laura Dern – einer Schauspielerin, der es noch nie darum ging, in ihren Rollen zu gefallen, die aber auch viel zu gut ist, um uns eine lächerliche Karikatur vorzusetzen. Die Autorin Laura ist ein Mensch, der in allem den kreativen Genius zu erkennen glaubt – sei es in einer von Savannah selbstgemachten Klebeband-Tasche oder im Führen von Telefonsex-Gesprächen. Alles ist so wahnsinnig inspirierend! Beim Lesen der Werke von Colette habe sie sich „so französisch“ gefühlt. Gewiss wollen wir bei diesen Aussagen die Augen verdrehen, doch Derns Spiel lässt uns von Anfang an auch die Tragik dieser anstrengenden Person spüren.

Und dann ist da Kristen Stewart als Savannah – noch so eine Schauspielerin, die niemals gefallsüchtig auftritt und sich stets tief in ihre Figuren hineinfühlt und -wühlt. Mit ihren raspelkurzen, blau gefärbten Haaren, ihrer androgynen Erscheinung und ihrer introvertierten Art ist Savannah eine geeignetere Indie-Movie-Heldin als die überspannte Laura. Aber auch Stewart legt ihre Rolle ambivalent an. Meist steht Savannah seltsam verknotet im Raum, den Blick gesenkt, alle Worte werden eher gestammelt als wirklich ausgesprochen. Mal lässt sie sich aufs Sofa fallen, als sei alles eine schwere Last, eine unerträgliche Qual. Zunächst passieren Savannah die Dinge einfach – bis zu einer herrlichen Sequenz auf einer französischen Pressekonferenz, in der sie, ausgestattet mit wasserstoffblonder Perücke, schwarzem Zylinder und blickdichter Sonnenbrille, von einem forschen Journalisten so sehr herausgefordert wird, dass sie aus ihrem Schutzpanzer herausgekrochen kommt und das Stocken und Stammeln, das Sich-Winden und -Krümmen durch Anflüge von Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit ersetzt.

Foto: Koch Films

Diese Entwicklung von Savannah führt zum Konflikt zwischen Laura und Savannah. Hier könnte Kelly mit Unterstützung der echten Savannah Knoop ein Emanzipations-Narrativ entfalten, in dem die schüchterne junge Frau durch das (Gender-)Rollenspiel zu sich selbst findet. Stattdessen wirft er die Fragen auf, wer eigentlich wen ausnutzt und wer von wem abhängig ist – ohne klare Antworten zu geben. Einseitig fällt nur die Darstellung des Liebesverhältnisses aus, das Savannah alias JT im Laufe des raschen Aufstiegs mit der Regisseurin Eva Avalon eingeht. Deren Vorbild ist unverkennbar die italienische Filmemacherin Asia Argento. So wie Argento den LeRoy-Roman „The Heart is Deceitful Above All Things“ im Jahre 2004 verfilmte, bemüht sich auch Eva um die Rechte. Wer in dieser Konstellation gänzlich eigennützig handelt und fake ist, will uns der Film unzweifelhaft vorgeben. Dabei ist auch eine preisgekrönte Schauspielerin wie Diane Kruger der eindimensionalen Zeichnung von Eva unterworfen.

Foto: Koch Films

In der zentralen Beziehung zwischen Laura und Savannah gibt Kelly uns und seinen Schauspielerinnen indes mehr Interpretationsraum. Viele Sätze, die Laura betont dramatisch exklamiert, können sowohl als weise Worte, treffende Anklage und Ermächtigung als auch als Phrasen und Ausflüchte aufgefasst werden. Manchmal seien die Lügen wahrer als die Wahrheit! Niemand höre ihr zu, wenn sie sie selbst sei! Ganz einlassen möchte sich der Film auf Lauras psychische Verfassung augenscheinlich nicht. Lässt sich Lauras Verhalten mit einer dissoziativen Identitätsstörung erklären? Dem Drehbuch fehlt es in der Ergründung der Figur an Tiefe; dank Dern entsteht dennoch nie der Eindruck, Lauras Hintergrund werde nicht ernst genommen. Savannah wiederum ist nicht nur die orientierungslose Drifterin, die von Laura in den Betrug hineingezogen wird, sondern auch eine Person, die sich von der plötzlichen Aufmerksamkeit und Bewunderung blenden lässt. Ihr Freund Sean vergleicht sie an einer Stelle nicht zu Unrecht mit einer Drogensüchtigen, wenn sie ihm versichert, „nur noch das eine Mal“ als JT in Erscheinung treten zu wollen.

Die Frage, wem eine Geschichte gehört, wird mehrere Male aufgeworfen. Gehört sie Laura, die sie erdacht hat? Gehört sie Savannah, die sie verkörpert? Gehört sie der Kunstfigur JT? In einer Szene kommt ein junger Mann auf Savannah alias JT und Laura, die sich als JTs britische Agentin ausgibt, zu, um zu erzählen, wie viel ihm JTs Geschichte bedeutet und geholfen hat. In ähnlicher Form kennen wir das sicher alle: Romane, Theaterstücke, Filme, Serien, Songs, die unser Leben nachhaltig beeinflusst haben. Vielleicht gehört eine Geschichte einfach all jenen, die sich von ihr berühren lassen.




Zu schön, um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story
von Justin Kelly
UK/CA/US 2018, 108 Minuten, FSK 6,
englische OF mit deutschen UT und DF,
Koch Films

Auf DVD, BluRay und VoD erhältlich.

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