King Cobra
Trailer • DVD / VoD
Der neue Film von Justin Kelly („I Am Michael“) basiert auf der unfassbaren Geschichte des heute 30-jährigen Sean Paul Lockhart, a.k.a. Brent Corrigan, dem ersten schwulen Porno-Megastar des Online-Zeitalters, und seines Entdeckers Bryan Kocis, Chef von Cobra Video, der 2007 unter abstrusen Umständen ermordet wurde. Bei einem derart abseitigen und vor allem queer-relevanten Stoff darf in Hollywood James Franco nicht mehr fehlen, der „King Cobra“ produziert hat und darin zudem in der Rolle eines tobsüchtigen Ex-Escorts glänzt. Mit Christian Slater, Molly Ringwald, Alicia Silverstone und Garrett Clayton ist Kellys kühne Mischung aus trashigem Erotikthriller und entlarvender Porno-Satire aber auch ansonsten hochkarätig besetzt. Ein Film, der nicht nur Corrigan- und Franco-Fans in Erregung versetzen dürfte.
Der Twink in der Schlangengrube
von Patrick Heidmann
Wer sich Pornos anschaut, interessiert sich in der Regel eher wenig für die Hintergründe der Entstehung dieser Filme. Im Gegenteil gilt es sogar, mit aller Macht den Blick hinter die Kulissen zu vermeiden, schließlich kann man mit ziemlicher Garantie davon ausgehen, dass es dort vergleichsweise abtörnend zugeht. Doch wenn es jenseits der laufenden Kamera plötzlich nicht mehr nur um erschlaffende Erektionen oder schlechte Beleuchtung, sondern um Mord und Pädophilie-Skandale geht, dann wird selbst James Franco hellhörig.
Seit er im Studium ein Queer-Seminar belegt hat – so jedenfalls geht die Hollywood-Legende – interessiert sich Franco für alles, was mit schwuler Kultur zu tun hat. Wobei Interesse fast eine Untertreibung ist: Er inszeniert Filme wie „Sal“ (2011) über die letzten Stunden Sal Mineos, dem homosexuellen Star aus „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ (1955), oder „Interior. Leather Bar“ (2013), eine Reflexion von William Friedkins „Cruising“ (1980); er war als Allen Ginsberg in „Howl“ (2010) zu sehen und spielte in Gus Van Sants „Milk“ (2008); ja er veröffentlichte sogar einen Gedichtband mit dem bezeichnenden Titel „Straight James/Gay James“ (2015) – und bringt nun als Produzent „King Cobra“ auf die Leinwand.
Erzählt wird hier eine der wenigen Geschichten aus der Welt schwuler Pornos, die selbst der heterosexuelle Mainstream wahrnahm. In der Version von „King Cobra“ geht sie wie folgt: 2006 lässt der junge Sean Paul Lockhart (Garrett Clayton) San Diego und den langweiligen Alltag zwischen Aushilfsjobs und Mamas Couch hinter sich, um im Speckgürtel von Los Angeles eine Online-Bekanntschaft zu treffen. King Cobra alias Stephen (Christian Slater) ist ein fast dreimal so alter, selbst im Familienkreis ungeouteter Einzelgänger, der aus dem großzügigen Vorstadt-Eigenheim heraus die Porno-Firma Cobra Films betreibt.
Twinks sind – privat wie beruflich – Stephens Vorliebe, und Sean erweist sich schon beim ersten Casting als Naturtalent, gesegnet mit einem pornotauglichen Körper und der perfekten Mischung aus knabenhafter Unschuld und dem gewissen verführerischen Funkeln in den Augen. Unter dem Künstlernamen Brent Corrigan macht der Produzent den Jungen in seinem Gästezimmer zum Star – und zu seinem Lebensmittelpunkt. Doch als Sean kostspielige Geschenke nicht mehr genug sind, kommt es zum Streit.
Sean will zu neuen Ufern aufbrechen. Als Stephen aber auf den bestehenden Vertrag pocht, geht der Porno-Star mit der Enthüllung zur Polizei, dass er bei der Entstehung seiner ersten Cobra-Videos erst 17 Jahre alt, also minderjährig war. Der Skandal hat Folgen. Stephens Schwester (Molly Ringwald) und Seans Mutter (Alicia Silverstone) sind entsetzt, doch schwerer wiegen die beruflichen Konsequenzen. Während Stephen, der um eine Gefängnisstrafe herumkommt, händeringend nach einem Brent Corrigan-Nachfolger sucht, um seine Firma über Wasser zu halten, gilt Sean in der Branche nicht wenigen als Verräter.
Die Viper Boyz aber wittern das große Geschäft. Joe (James Franco) und sein Lebensgefährte und Star Harlow (Keegan Allen) waren zunächst Escorts, bevor sie begannen mit eher drittklassigen Sex-Videos im Online-Geschäft mitzumischen. Der luxuriöse Lebensstil allerdings hat ordentlich Schulden angehäuft, für die nun ein Film mit Brent Corrigan Abhilfe schaffen soll. Das Problem ist nur: Weil Stephen die Rechte an dem Künstlernamen hat, darf Sean ihn nicht verwenden. So schnell allerdings geben Joe und Harlow nicht auf – und bringen den Konkurrenten von Cobra Films kurzerhand um.
Wie es sich für einen Spielfilm aus Hollywood gehört, gönnt sich „King Cobra“ einige Freiheiten gegenüber den wahren Begebenheiten, die unter anderem in dem (dem Film zugrunde liegenden) Buch „Cobra Killer“ (2012) von Andrew E. Stoner und Peter A. Conway oder dem Rolling Stone-Artikel „Death of a Porn King“ (2007) von Peter Wilkinson nachzulesen ist. Dass der Name des echten Cobra-Bosses Bryan Kocis aus rechtlichen Gründen geändert wurde, ist nebensächlich. Auch dass Lockhart in Wirklichkeit schnell Unterschlupf bei einem weiteren älteren Mann fand, der größtenteils den Kontakt sowohl zu den Viper Boyz als auch zur Polizei übernahm, tut der Geschichte hier keinen Abbruch und lässt sich genauso unter dramaturgische Verdichtung verbuchen wie der Einfall, dass Sean im Film nun selbst den Mördern ihr Geständnis entlocken muss.
Dem echten Sean Paul Lockhart, der bekanntlich längst wieder dick im Porno-Geschäft ist, gefielen diese künstlerischen Freiheiten trotzdem nicht. Zwar gestattete er Regisseur Justin Kelly (der auch das Drehbuch schrieb) die Verwendung seines Namens, die angebotene Nebenrolle schlug er allerdings aus. Auf Twitter schimpft er regelmäßig über „King Cobra“: nicht nur findet er, dass Hauptdarsteller Clayton zu alt aussieht für die Rolle, sondern meint auch, der Film zeige eine „Verachtung für Queer Culture“ und mache sich über Pornografie lustig.
Von letzterem kann bei genauem Hinsehen eigentlich nicht die Rede sein. Kelly und Franco (deren erster gemeinsamer Film „I Am Michael“ seit der Berlinale-Premiere 2015 auf einen deutschen Verleih wartet) haben offensichtlich viel mehr das Ansinnen, „King Cobra“ zu einer schwulen Antwort auf „Boogie Nights“ (1997) zu machen: einem gleichermaßen ernsten wie humorvollen Blick auf die Porno-Industrie samt ihrer Protagonisten und Strippenzieher.
Die Mischung aus Thriller, Drama und Komödie geht im Fall von „King Cobra“ nicht immer ganz so meisterlich auf wie damals bei Paul Thomas Anderson. Dass der Film viel Zeit auf die Viper Boyz verschwendet, ist beispielsweise bedauerlich, zumal die beiden psychisch angeknacksten Figuren wenig Kontur oder Tiefe gewinnen. Und so oft wie man sich hier – sei es in Sachen Kameraarbeit, Musik oder auch bzgl. der bemerkenswert schlechten Darsteller-Leistungen von Franco-Kumpel Allen (bekannt v.a. aus der Serie „Pretty Little Liars“) oder „Clueless“-Ikone Silverstone – in die Nähe von Camp und Trash begibt, ist man sich stellenweise nicht mehr sicher, was davon tatsächlich Absicht war.
Trotzdem ist „King Cobra“ ein erstaunlicher Film, sogar jenseits der faszinierenden realen Geschichte, die sich kein Drehbuchautor aus Hollywood reißerischer hätte ausdenken können. In den Szenen zwischen Sean und Stephen stecken – mal mehr, mal weniger subtil –menschliche Abgründe, Melancholie und Zärtlichkeit, zu denen vor allem Claytons und Slaters Spiel beitragen. Davon hätte es sogar noch ein bisschen mehr sein dürfen, genauso wie von den augenzwinkernd nachgestellten Porno-Szenen, der selbstverständlich stets nur angedeuteten, aber doch greifbaren Brachial-Erotik und den Einblicken in die nüchternen Mechanismen der Sexfilm-Branche.
Dass sich überhaupt mal ein derart hochkarätig besetzter, mit Mainstream-Methoden erzählter und dezidiert nicht nur auf ein LGBT-Publikum schielender Film dieser Welt widmet, die sonst sogar schwule Porno-Konsumenten nicht zwingend wahrnehmen, ist trotzdem bemerkenswert. Dafür darf man James Franco schon mal dankbar sein – und verzeiht ihm sogar sein Overacting beim Gevögelt-werden.
King Cobra
von Justin Kelly
US 2016, 91 Minuten, FSK 18,
englische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber