Die Taschendiebin

Trailer • Kino

Die Bereitschaft zu schockieren hat den koreanischen Regisseur Park Chan-wook („Sympathy for Mr. Vengeance“, 2002; „Oldboy“, 2003; „Lady Vengeance“, 2005) zur Kultfigur unter den Fans blutiger Spektakel aufsteigen lassen, seinen Filmen aber auch den Ruf eingebracht, nur etwas für den „eingeübten Geschmack“ zu sein, mithin für die, die ein gewisses Maß an Blut und Gewalt mit blasierter Macho-Geste wegstecken. Wer in dieser Hinsicht schon von „Stoker“ (2013), Parks „gezähmtem“ Ausflug ins amerikanische Kino, enttäuscht war, wird sich über „Die Taschendiebin“ erneut wundern. Hier zeigt sich Park nämlich von einer bislang eher unbekannten Seite: als Meister in der Kunst der Zurückhaltung. Und als Meister darin, zu zeigen, was unter der Oberfläche von Zurückhaltung alles schwelen kann.

Foto: Koch Media

Strenge und Begehren

von Barbara Schweizerhof

Die Filme des Park Chan-wook sind nicht leicht auf einen Nenner zu bringen. Was der melancholische Krimi „Joint Security Area“ (2000) mit den Gewaltexzessen der „Vengeance“-Trilogie und dem vampiristischen Glaubensdrama „Thirst“ (2009) gemeinsam hat, ist die entschiedene Haltung ihres Regisseurs, der sich seine schöpferische Freiheit von keinem Tabu einschränken lassen will. In seinem neuen Film „Die Taschendiebin“ beschreitet Park nun ungewohnt subtile Wege. Das zeigt sich bereits in der Wahl der Vorlage: Der 2002 erschienene Roman „Fingersmith“ von Sarah Waters thematisiert mit seiner im viktorianischen England angesiedelten Handlung die Ambivalenz von gesellschaftlicher Strenge und dem Druck der dazu quer liegenden Gefühle. Park überträgt die „Klassenkampf“-Geschichte um eine reiche Erbin und zwei Trickbetrüger, die an ihr Geld kommen wollen, ins von japanischer Kolonialherrschaft geprägte Korea der 30er Jahre. Sein zusammen mit Jeong Seo-kyeong verfasstes Drehbuch lässt dabei einige der viktorianischen Verschlingungen des Originalplots weg, fügt dafür aber hochinteressante neue Aspekte hinzu.

Schon die äußere Form variiert auf ihre Weise das Thema Zurückhaltung durch ein Regelwerk: „Die Taschendiebin“ ist streng in drei Teile geteilt, die jeweils die Perspektive einer der drei Hauptpersonen wiedergeben. Im ersten Teil erzählt gleichsam die „Taschendiebin“ selbst, das junge Mädchen Sook-hee. Aufgewachsen in jener dubiosen Art Waisenhaus, in dem Kinder für alle Sparten der Ausbeutung und Kriminalität herangezogen werden, zieht sie eines Tages vermeintlich das große Los: Ein erfahrener Trickbetrüger wählt sie als Komplizin für sein neuestes Projekt aus. Sie soll ihm dabei helfen, die Gunst einer gewissen Lady Hideko zu erobern. Er selbst will sich als japanischer Graf und Kunstfälscher Fujiwara ausgeben, während Sook-hee sich von Lady Hideko als Dienerin engagieren lassen soll, um an deren Onkel Kouzuki vorbei ihre Zuneigung zum Grafen zu befeuern. An der Oberfläche läuft alles nach Plan, nur die Gefühle der Beteiligten wollen sich dem nicht ganz fügen. „Warum hat er mir nicht gesagt, wie schön sie ist?“, schießt es Sook-hee durch den Kopf, als sie zum ersten Mal Lady Hideko von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht. Aus der erzwungenen Intimität ihres Dienstverhältnisses, das unmittelbare körperliche Nähe vorsieht, erwächst bald eine erotische Spannung, die es Sook-hee schwerer und schwerer macht, am Fujiwara-Plan festzuhalten. Zumal sich Lady Hideko sehr empfänglich zeigt für Sook-hees Zuneigung.

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Der erste Teil endet mit einer überraschenden Wendung, die der zweite Teil, nun aus der Sicht von Lady Hideko erzählt, als von langer Hand vorbereitet offenbart. Die neue Perspektive versteht sich dabei ganz wörtlich: Szenen, die im ersten Teil vorkamen, werden nun mit anderer Kamerastellung fortgesetzt oder neu begonnen. Kunstvoll vermeidet Park dabei ein Zuviel von Wiederholung. Was Lady Hidekos Sicht zur Geschichte beiträgt, sind knappe Momente des Davor und Danach, die dennoch alles in einem anderen Licht erscheinen lassen. Eines aber verstärken sie nur noch: das zwischen den beiden jungen Frauen entstehende Begehren.

So endet der zweite Teil mit einer Wendung, die die Sicht des Zuschauers auf das Erzählte tatsächlich ein zweites Mal revidiert. Der dritte Teil, der nun Graf Fujiwara ins Zentrum setzt, löst sich aus der Struktur und setzt die Handlung fort bis zu zwei Enden, die elementar gegeneinander gesetzt sind: das eine mit offenem Meer, Luft und freiem Horizont, das andere im giftigen Rauch eines fensterlosen Folterkellers.

Foto: Koch Media

Die wendungsreiche Handlung mit all ihren Täuschungen aber macht nur die eine Seite des Vergnügens an der „Taschendiebin“ aus. Für Spannung jenseits der Thriller-Elemente sorgen mindestens zwei weitere Aspekte. Der erste hat mit der Erotik des Stoffes zu tun: Zwei jungen Frauen beim gemeinsamen lustvollen Entdecken ihrer Sexualität zuzuschauen, bedient gemeinhin gängige Softporno-Fantasien. In „Die Taschendiebin“ aber haben die Sexszenen tatsächlich eine ganz andere Funktion: in ihnen werden Sook-hee und Hideko zu Rebellinnen. Die Art und Weise ihrer Liebe setzt sich ab von den männlichen Sexphantasien, um die es in „Die Taschendiebin“ auch geht. So gehört es zu Hidekos Vorgeschichte, dass ihr Onkel ein Sammler und Verkäufer von pornographischen Schriften ist, dessen Geschäftsmodell es vorsieht, Hideko in Geisha-Aufmachung für ein erlesenes Publikum von Männern vorlesen zu lassen. Während sie im Ton äußerster Zurückhaltung explizite sexuelle Schilderungen vorträgt, zeigt die Kamera bevorzugt die verstreut sitzenden, in Frack oder Anzug bekleideten Männer, die sich Luft zufächern müssen oder unterdrückt stöhnend nach vorne beugen. Obwohl hier keine nackte Haut zu sehen ist und kein Akt stattfindet, haftet diesen Szenen etwas ungleich „Schmutzigeres“ an als den sich sorgsam aufeinander abstimmenden nackten Frauenkörpern in Sook-hees und Hidekos Liebesakten. Vom Kontrast dessen, wovon die männliche Pornographie handelt, und dem, was Sook-hee und Hideko motiviert, ganz abgesehen. Männliche Phantasien und Gewalt gegen Frauen sind hier einmal aber nicht nur Anlass für Horrorszenen – obwohl das auch –, sondern Park Chan-wook scheint seine ignoranten Männer auch willentlich der Lächerlichkeit preiszugeben.

Foto: Koch Media

Was zuletzt zum vielleicht interessantesten Aspekt der „Taschendiebin“ hinführt: die Analyse von Machtverhältnissen und ihrer  Umwälzung unter der Oberfläche eines „strengen“ Kostümfilms. Das zeitliche und lokale Setting des Films ermöglicht Park ein exquisites Spiel mit Verkleidungen und ihren Bedeutungen. Lady Hideko, der falsche Graf Fujiwara und der Pornographen-Onkel Kouzuki, sie alle unterwerfen sich einer zweifachen Anpassung: sie wollen zur japanischen Kolonialelite gehören, und machen darum deren Imitation der einstigen britischen Kolonialherren mit. Die Bediensteten reihen sich in englischer Domestikenkleidung am Eingang der viktorianischen Villa auf, deren „gothic novel“-Fassade nach hinten in luftig-lichte japanische Bauweise übergeht. Die großen Schleierhüte, die engen Korsetts der Kleidermode, sie reflektieren ein weiteres Mal das Thema Strenge und Begehren. Das Schnüren und das Lösen von Miedern ist nicht umsonst eine Metapher für jene Sorte erotisch angehauchte Literatur geworden, die vor allem Frauen gerne lesen: „Bodice-Ripper“.




Die Taschendiebin
von Park Chan-wook
KR 2016, 145 Minuten, FSK 16,
deutsche Synchronfassung und koreanische OF mit deutschen UT

Aktuell hier im Kino zu sehen.

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