Brüder der Nacht

Trailer • DVD / VoD

Mit großem Einfühlungsvermögen zeigt der österreichische Regisseur Patric Chiha in „Brüder der Nacht“ die harte Lebenswirklichkeit einer Gruppe bulgarischer Roma-Jungs in Wien, die sich als Stricher verdingen müssen, um zu überleben. Chiha durchbricht seinen dokumentarischen Ansatz dabei immer wieder mit Mitteln der künstlerischen Verfremdung, die nicht nur an die träumerischen Bilderwelten von Genet, Anger, Bidgood und Fassbinder erinnern, sondern den Figuren auch eine Bühne geben, auf der sie sich sicher fühlen und sie selbst sein können. Ein grell leuchtender und tief berührender Porträtfilm.

Foto: Edition Salzgeber

Leuchtkörper für kleine Scheine

von Lukas Foerster

In der Stadt wird es nachts nicht dunkel, sondern anders hell. Die urbane Nacht, das ist nicht die Welt des künstlichen Lichts, sondern der künstlichen Lichter. Denn jedes strahlt auf seine eigene Art. In “Brüder der Nacht”, dem neuen Film von Patric Chiha, gibt es kein Tageslicht, nirgendwo, nicht einmal als Ahnung, aber es gibt eben auch keine “richtige”, totale Dunkelheit. Irgendetwas leuchtet immer, aber selten nur knallt in diesen Film jenes weiße, harte Licht herkömmlicher Glühbirnen hinein, das die Menschen gleichmäßig, unbarmherzig ausleuchtet. Stattdessen werden die jungen Männer, die der Film nicht einfach nur porträtiert, denen der Film vielmehr gehört, mit Haut und Haaren, von gelben, roten, orangeroten Lampen angestrahlt, die ihre Gesichter mal von links, mal von rechts illuminieren. Die sie in ein warmes Licht tauchen, das niemanden enttarnen will, sondern das demjenigen, der sich in ihm badet, ganz im Gegenteil immer neue Geheimnisse verleiht.

Leicht ist es freilich nicht, in diesem Licht und nur in diesem Licht zu leben. Wahrscheinlich geht das nur, solange man jung ist, solange man die Kraft hat, jedesmal wieder aufzustehen, wenn einen die Dunkelheit, die trotzdem hinter jeder Ecke lauert, niedergedrückt hat. “Brüder der Nacht” folgt jungen bulgarischen Roma, die in Wien leben und ihr Geld mit schwulem Sex verdienen. Im “Rüdiger” einer Szenekneipe, die unberührt ist vom auch nur leisesten Hauch von Hippness, treffen sie sich, spielen Billiard, trinken Bier, warten auf Kundschaft.

Und reden untereinander auf Romani oder Bulgarisch und Romani – oft wechselt das inmitten eines Satzes. Das Deutsche ist für sie vor allem die Sprache, in der sie mit den Freiern kommunizieren: Blasen 50 Euro, geht klar, aber kann ich erst mal Deinen Schwanz sehen? In “Brüder der Nacht” bleibt der Sex, um den sich trotz allem fast jede Szene dreht, komplett off-screen, ist ganz auf die Sprache verschoben. Überhaupt ist “Brüder der Nacht” ein Film der Kommunikation. Aufgeregtes, erregtes Sprechen, von energischen Gesten begleitet, abgeschlafftes, resigniertes Sprechen, mit hängendem Kopf, betrunkenes Sprechen, ausgenüchtertes Sprechen.

Eine Welt der Nacht, eine Welt der künstlichen Lichter, eine Welt der Sprache, eine Welt der Männer. Auch der Männergemeinschaft, der Männerfreundschaft. Chiha isoliert seine Protagonisten nicht, zumeist konstelliert er sie in Zweier- und Dreiergruppen, ihre Gespräche wirken mal wie nebenbei eingefangen, mal sind sie deutlich, bühnenhaft stilisiert. In einer Handvoll Szenen tauchen Matrosenkostüme auf, da schimmert Fassbinders “Querelle” (1982) als offensichtliches Vorbild durch, aber das sind nicht unbedingt die stärksten Momente. Es geht in den Gesprächen um diesen und jenen Freier, um den Sex und was man sich von dem Geld, das man mit ihm verdient, kaufen kann. Oft geht es auch um Frauen. Es gibt Frauen in Bulgarien, wo die jungen Männer entweder eine Familie haben oder eine zu gründen planen; und es gibt auch Frauen ein paar Straßen weiter im Puff, wo die Männer hingehen, solange sie hier sind, in Wien, fernab von Heimat und Ehe. Aber in Chihas Film bleiben auch die Frauen, die fernen wie die nahen, off-screen, haben nur in der Sprache eine Existenz.

Foto: Edition Salzgeber

Im Puff müssen Stefan und die anderen natürlich ihrerseits zahlen, aber auch eine Heirat in Bulgarien kostet Geld. Nichts gibt es umsonst. Ein Schlafplatz in Wien kostet sie, erfährt man einmal, fünf Euro pro Nacht, jede Flasche Bier, die sie in den Bars trinken, fast genauso viel, vier Euro. Fürs blasen, geblasen werden, ficken und gefickt werden gibt es mal 20, mal 50, mal 150, manchmal vielleicht auch mehr, man weiß es nicht genau, es wird viel geredet, man muss nicht alles glauben. Zumindest stellt sich im Lauf des Films zunehmend Ernüchterung ein. Wo zunächst Erfolgsgeschichten dominieren, Erzählungen davon, dass jemand in drei Minuten 150 Euro, ein anderer in einer halben Stunde locker an die 1000 Euro verdient hat, fast ohne etwas zu tun, scheint später eine andere Realität durch: Auf zwei Freier kommen im “Rüdiger” 20 junge Bulgaren, da wird in erster Linie viel rumgesessen, Billiard gespielt und gesoffen. Prostitution ist hier eine Ökonomie der kleinen Scheine.

Man kann “Brüder der Nacht” sehr gut mit Peter Kerns “Knutschen, Kuscheln, Jubilieren” (1997) vergleichen , in dem es mit derselben voraussetzungslosen Empathie um die andere Seite dieser Ökonomie geht, um die einheimischen Männer fortgeschrittenen Alters, die ihr nicht gerade üppiges Erspartes in Bars wie das “Rüdiger” tragen, auf der Suche nach einem kurzen sexuellen Glück, aber auch nach einer zumindest etwas weniger kurzen Gemeinschaftserfahrung. Beide Filme machen klar, auf jeweils unterschiedliche Weise: Prostitution, das ist zwar die endgültige Ökonomisierung von allem und jedem, auch vom Intimsten. Aber eben nicht nur, Prostitution ist auch ein Milieu, eine Lebenswelt, die ihre eigenen Texturen, ihre eigenen künstlichen Lichter hervorbringt.

Foto: Edition Salzgeber

Was diese Texturen, diese Lichter mit den jungen Männern machen, die sich in ihnen bewegen: Darum geht es in “Brüder der Nacht”. Und ganz besonders geht es darum, dass sie mit jedem etwas anderes, aus jedem einen anderen machen, und dass nicht alles im Tauschwert aufgeht. Manche, wie der athletische Yoran, scheinen sich durch die Wiener Nacht wie Fische durchs Wasser zu bewegen. Anderen, wie dem in sich verschlossenen Vassili, bleibt sie zutiefst fremd. Und dann ist da noch Stefan, das heimliche Zentrum des Films. Der sieht fünf Jahre jünger aus als alle anderen, ist aber schon 21 und seit drei Jahren verheiratet. Sein Leben fernab der Heimat scheint er auch als Befreiung zu erleben; gleichzeitig meint man zu spüren, dass er in ihm besonders schnell und besonders gründlich verloren gehen könnte. Sein Gesicht, von dem der Film regelrecht besessen ist, scheint sich andauernd zu transformieren, der verwegene Blick, das gleichzeitig kindliche und brutale Grinsen, die arrogant nach oben gezogene Oberlippe erhalten ständig neue Bedeutungen, je nachdem, aus welcher Perspektive man sie filmt, wie man sie beleuchtet.




Brüder der Nacht
von Patric Chiha
AT 2016, 88 Minuten, FSK 16
bulgarisch-deutsche mit deutschen UT,
Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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