Narziss und Goldmund

Trailer Kino

In seiner Adaption der berühmten Erzählung von Hermann Hesse bietet der österreichische Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher“) nicht nur Bildgewalt und Star-Besetzung (Sabin Tambrea, Jannis Niewöhner), sondern setzt zugleich die homoerotischen Untertöne der Vorlage deutlich nach oben. Im mittelalterlichen Kloster Mariabronn werden der tiefreligiöse Narziss und der ungestüme Goldmund zu engen Freunden. Während Narziss im Kloster bleibt, zieht es Goldmund in die Welt, die zahlreiche Liebschaften, aber auch Elend und Tod für ihn bereithält. Andreas Köhnemann hat nach dem emotionalen Herzstück der bemerkenswert schwulen Großproduktion gegraben.

Foto: Jürgen Olczyk / Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Wem nie durch Liebe Leid geschah

von Andreas Köhnemann

„Er leidet, weil er liebt“, stellt der Bildhauermeister Niklaus fest, als er eine aus Holz geschnitzte Statue erblickt, die sein Musterschüler Goldmund angefertigt hat. Die Statue wirkt wie ein Heiligen-Abbild, als Zuschauer*innen wissen wir aber, dass sie Goldmunds Jugendfreund Narziss darstellt: einen jungen Mann, der sich die weltliche Liebe strikt verbietet, eine schwule erst recht. Regisseur Stefan Ruzowitzky zeigt uns den vor Scham und Schuldgefühlen verzweifelten Narziss bei der Selbstgeißelung mit heftigen Riemenhieben in einer düster-kalten Klosterzelle. Die Gegenüberstellung dieser beiden Szenen – die Betrachtung der Statue und die nächtliche Kasteiung – fasst Ruzowitzkys Leinwand-Adaption von Hermann Hesses Erzählung „Narziss und Goldmund“ prägnant zusammen.

Besagter Meister wird von Uwe Ochsenknecht verkörpert – in Kostüm und Maske, die nicht unbedingt dem Naturalismus verpflichtet sind, und mit Gestik und Mimik, die eher nicht an die Kunst des Method Acting denken lassen. Wie zahlreiche weitere „Stars“ des deutschen Kinos, von Georg Friedrich und Sunnyi Melles bis hin zu Kida Khodr Ramadan und Jessica Schwarz, fügt sich Ochsenknecht als personeller Schauwert in ein audiovisuelles Spektakel ein, dessen Bilder stets groß gedacht und mit wuchtigem Sound unterlegt sind. „Narziss und Goldmund“ will offenkundig großes Historien-Kino sein, das die Historie indes in erster Linie als Gelegenheit zur lustvollen Spielerei begreift. Das späte Mittelalter mutet wie eine Hochglanz-Märchenwelt an, selbst Pest, Tod und Zerstörung haben hier etwas Morbid-Ansehnliches, das sich locker mit Popcorn-Becher auf dem Schoß goutieren lässt.

Foto: Jürgen Olczyk / Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Das alles könnte, von einem gewissen Trash-Charme einmal abgesehen, ziemlich schrecklich sein, gäbe es nicht diesen anderen Aspekt: den emotionalen Konflikt des Protagonisten Narziss. Dass dessen intensiver Seelenschmerz im Rahmen eines erkennbar aufwendig produzierten, mit bekannten Gesichtern gespickten und damit durch und durch auf das Massenkompatible hin angelegten Films thematisiert wird, erscheint dann doch reichlich ungewöhnlich. Von einer innigen Jungs- bzw. Männerfreundschaft, wie sie Narziss und Goldmund verbindet, erzählt das Mainstream-Kino vielleicht häufiger; von der Qual, das Gegenüber mehr zu lieben, als es das restriktive Umfeld und vor allem als man es sich selbst erlaubt, weitaus seltener. Ein emotionales Leiden dieser Art fiel bis dato allenfalls tragischen Randfiguren zu,  nicht aber einem der beiden Helden eines Buddy-Movies bzw. einer filmischen Bromance.

Foto: Jürgen Olczyk / Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Homoerotik lässt sich freilich bereits in Hesses Vorlage finden, wenn Narziss gegenüber Goldmund äußert: „Du träumst von Mädchen, ich träume von Jünglingen.“ Ruzowitzky und sein Co-Drehbuchautor Robert Gold wählen noch deutlichere Worte, um Narziss‘ romantische Gefühle gegenüber Goldmund klarzumachen. Zu Beginn ist der Film eine typische Geschichte von zwei betont gegensätzlichen Kindern, die eine Zwangsgemeinschaft bilden und dann rasch erkennen, dass sie einander doch perfekt ergänzen. Der Waise Narziss ist ein beflissener Novize, der schon früh den Entschluss fasst, sein Leben als Mönch zu verbringen und die Mauern des Klosters Mariabronn niemals zu verlassen. Der Raufbold Goldmund, der nach dem Verschwinden seiner Mutter von seinem brutalen Vater im Kloster abgesetzt wird, weiß wiederum seine Fäuste einzusetzen, um sich und seinen Freund zu verteidigen. Der eine bringt Ordnung, der andere Schwung ins Dasein des Gegenübers – und Ruzowitzky fängt das tatsächlich so plakativ ein, wie es hier klingt.

Foto: Jürgen Olczyk / Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Auch die spätere Kontrastierung des religiösen, asketischen Wesens von Narziss mit Goldmunds Drang nach Lust und Abenteuer ist alles andere als subtil. Spannend ist aber die Gefühlsebene, die sich vor allem durch das sensible Spiel des Narziss-Darstellers Sabin Tambrea transportiert. Etwa wenn Narziss seinen langjährigen Freund zum Aufbruch ermutigt und von dannen ziehen lässt – im vollen Wissen um den Schmerz, den ihm die Abwesenheit Goldmunds bereiten wird; wenn Narziss seinen Freund nach vielen Jahren überraschend wiedersieht und dabei tiefe Zärtlichkeit und Zuneigung in seinen Blicken zu erkennen sind; und nicht zuletzt wenn Narziss aufrichtig formuliert, was ihn in all der Zeit so sehr geplagt hat.

Foto: Jürgen Olczyk / Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Zur schwulen Liebesgeschichte, die hier kaum versteckt mitschwingt, kommt eine besondere Körperinszenierung, mit der die dramaturgisch aktivste Figur schamlos zum Pin-up gemacht wird: Der athletische Jannis Niewöhner ist als Goldmund – mal mehr, mal weniger klar motiviert – dermaßen oft spärlich bekleidet zu sehen, dass man von einer Fetischisierung seines über weite Strecken des Films malträtierten Körpers sprechen muss. Die zeigefreudige Art des Films wirkt allerdings eher naiv als exploitativ, die Zuschauer*innen sollen und dürfen den hübschen Goldmund einfach ebenso begehren wie es Narziss tut, ohne allerdings dafür gleichermaßen leiden zu müssen. Niewöhner ist die Hauptattraktion des Spektakels, Tambrea wiederum ist inmitten dieses bunten, lauten und schnellen Unterhaltungskinos der leise und tieftraurige Kern. Er ist das bescheidene und doch völlig unverzichtbare Herzstück, das den Film davor bewahrt, nach dem Abspann direkt wieder in Vergessenheit zu geraten. Leiden, weil man liebt – das ist es, was in Verbindung mit Tambreas sehnsuchtsvollen Augen von „Narziss und Goldmund“ in Erinnerung bleibt.




Narziss und Goldmund
von Stefan Ruzowitzky
DE 2020, 118 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,

Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Ab 12. März hier im Kino.

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