Mario

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Der Schweizer Regisseur Marcel Gisler („De Fögi isch en Souhund“, „Rosie“) wagt sich mit seinem neuen Spielfilm „Mario“ an eines der letzten großen homosexuellen Tabuthemen heran: Schwulsein im Profifußball. Der Film über zwei junge Spieler, die sich ineinander verlieben, kurz bevor ihre Karrieren so richtig durchstarten, ist aber weit von einer unbeschwerten Kicker-Romanze entfernt. Paul Schulz über einen ehrlichen und deswegen auch ziemlich traurigen Film – mit zwei herausragenden Hauptdarstellern.

Foto: Pro-Fun

Absturz in die Bundesliga

von Paul Schulz

Man kann als schwuler Mann Fußball gucken. Man kann auch Fußball spielen. Nur Fußballer sein, das kann man nicht. Und ich meine „kann“, nicht „darf“. Fußball ist Ersatzkrieg. Und Soldaten dürfen sich nicht lieben, sonst könnten sie dabei zögern, sich im Namen des jeweiligen Vaterlandes gegenseitig umzubringen. Tore werden „geschossen“, nicht erzielt. Gegner werden vom Platz „gejagt“, „gebombt“ oder „erledigt“. Wenn die deutsche Nationalmannschaft gegen England, Frankreich, die USA oder Russland antritt, hat „ein Sieg“ „für uns“ auch mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein revaunchistisches, national identitätsstiftendes Moment, und wird von den Heterojungs in der Sportredaktion von Spiegel Online auch so vermarktet. Ein Spielerwechsel bei einem Bundesligesten hat den gleichen Nachrichtenwert wie eine Naturkatastrophe mit Hunderten von Toten und wird mit der gleichen Dringlichkeit in die Welt geblasen wie ein überraschender Ministerwechsel. Was Fußball auch ist: die größte Produktionsstätte für Männlichkeitsbilder, die die westliche Kultur gerade so hat. Vor allem im Negativen: saufen, rotzen, rassistisch grölen, frauenfeindlich und homophob sein, sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und für das richtige Foul an der passenden Stelle loben – all das gehört „zum Spiel“.

Natürlich gibt es immer mal wieder Ausnahmen von der Regel. Thomas Hitzelsperger, ein Multimillionär, der nach Ende seiner Karriere in einem jahrelang vorbereiteten Interview in der Wochenzeitung Die Zeit – das unter anderem von Carolin Emcke, der Trägerin des Friedenpreises des deutschen Buchhandels, geführt wurde – endlich sagte, wie er fühlt, dabei aber auch Folgendes bekanntgab: „Überlegen Sie doch mal: Da sitzen 20 junge Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man die Mehrheit gewähren, solange die Witze halbwegs witzig sind und das Gequatsche über Homosexuelle nicht massiv beleidigend wird.“ Und seitdem vor allem eins macht: keinen Ärger und die grundlegenden Mechanismen hinter dieser Kultur nicht in Frage stellen. Wofür er von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung hofiert und von vielen für „seinen Mut“ gelobt wird.

Robbie Rogers, inzwischen mit dem Über-Produzenten Greg Berlanti verheiratet, ist der einzige Fußballer der Welt, der je nach seinem Coming-out noch professionell auf einem Platz gespielt hat, tat das aber in den USA. Wo Fußball ohnehin ein „Sissy“-Sport ist. „Echte, amerikanische“ Kerle spielen American Football.

Und ja, es veranstalten in den letzten zwei Jahrzehnten alle möglichen Mannschaften Regenbogennächte, haben queere Fanblöcke, handeln sich wegen homophober Sprechchöre hohe Geldstrafen ein und lassen, wenn sie der FC St. Pauli und deswegen coole, linke Säue sind, auch mal einen Film über Homosexualität im Fußball in ihrem Stadion drehen und helfen bei der Promotion. Aber dieser Film ist dann eben „Mario“.

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Dessen von Max Hubacher gespielter Titelheld ist zu Beginn des Films Anfang 20 und feiert als Mitglied einer Schweizer Jugendmannschaft Erfolge. Er hat eine beste Freundin, mag sein Team, kommt gut mit seinen Eltern klar und lässt sich von anderen eine „große Karriere“ voraussagen. Die er auch haben wird. Mit einem Stolperstein. Der heißt Leon, kommt aus Deutschland neu in die Mannschaft, ist hübsch, talentiert und, wie Mario eines Abends lernt, als er mit dem Neuen in eine von der Mannschaft gestellte Spielerwohnung zieht, schwul.

Aus einem Kuss werden schnell mehr, und sowas bleibt natürlich nicht geheim. Das Paar wird in der Folge von fast allen Mitspielern gemobbt und von einem schließlich erpresst. Im Management des Clubs habe natürlich niemand ein Problem mit sowas. „Aber dass das nicht nach außen getragen werden kann, versteht sich auch von selbst, oder?“ Die Teamleitung fasst nochmal zusammen: „Drogen, Sex mit Minderjährigen, schwules Zeug, das geht im Fußball eben einfach nicht“. In der Öffentlichkeit wohlgemerkt. Hinter verschlossenen Türen wird den beiden Jungs gesagt, sie müssten sich jetzt verstärkt mit Frauen zeigen und es wird angeboten eine auf Fälle wie ihre spezialisierte Psychologin zu engagieren, die dafür sorgen soll, dass ihr „trotzdem noch gute Leistungen“ bringen.

Der Schweizer Marcel Gisler („De Fögi isch en Souhund“, 1998; „Rosie“, 2013) zeigt in „Mario“, wie sich diese äußeren Mechanismen der Vertuschung und Unsichtbarmachung von Homosexualität im Fußball auf das Innere der betroffenen Spieler übertragen und sie quälen. Und wie sie damit sehr verschieden umgehen. Mario sagt seinen Eltern zwar irgendwann, dass er schwul ist und wie er für Leon empfindet. Aber sein Vater rastet aus und will wissen,, wie er sich das denn jetzt eiter vorstelle. Mama liebt ihr Kind, weiß aber auch sehr genau, dass Homosexualität und Profi-Fußball eben nicht zusammen gehen. Niemand in seinem Umfeld kommt auch nur auf die Idee, es könnte anders sein. Ein schwules Rad in einer heterosexuellen Männlichkeitsmaschine, das geht einfach nicht. Jedenfalls nicht auf Dauer. Weiteres Beispiel: Marios beste Freundin Jenny (die grandiose Jessy Moravec), stellt sich zwar, nachdem Mario beim FC St. Pauli für die Bundesliga unterschrieben hat, als öffentlicher und privater „beard“, also Pseudo-Freundin, zur Verfügung. Sie ist aber schnell an dem Punkt, an dem sie sagt: „Ich kann Leuten einfach nicht ständig direkt ins Gesicht lügen.“

Da ist Leon schon lange weg. Denn der will sich, im Gegensatz zu Mario, den Verhältnissen nicht beugen. Und muss deswegen irgendwann eine Entscheidung treffen. Was er auch tut. Die fällt anders als Marios‘ aus, was den Film meilenweit von dem „romantischen Fußballdrama“ entfernt, als das ihn einige Rezensenten jetzt verkaufen wollen. „Mario“ ist ein stellenweise zarter, wohl ehrlicher, passabel gedrehter, aber letzten Endes auch sehr trauriger Film darüber, wie jemand sich selbst und die Liebe findet und das alles dann wieder wegschmeißt. Für Geld. Und dafür, Fußballer sein zu „dürfen“. Die Lektionen über Selbstliebe und Fremdbestimmung, die das Drehbuch dabei mit großen Kellen austeilt: geschenkt. Das Problem ist seit 30 Jahren bekannt und der Film hat keinen Lösungsvorschlag außer dem kompletten Ausstieg aus dem System. Wofür man dann eben den Profi-Ball zur Seiten legen muss.

Max Hubacher als Mario und Aaron Altaras als Leon füllen ihre Figuren mit viel Leben und der richtigen Menge Wärme, um die Verzweifelung zu rechtfertigen, mit der ihre Schicksale den Zuschauer am Ende erfüllen. Auch wenn der Vergleich sich wegen der filmischen Mittel anbieten mag: „Mario“ ist eben nicht „Freier Fall“. An dessen Ende stand, nachdem jemand über seine Identität gestolpert war und sich dabei ordentlich auf die Fresse gepackt hatte, ein Wiederaufstehen, verbunden mit klar positiv besetzter Selbsterkenntnis. In „Mario“ stolpert niemand, hier stürzt jemand ab. Direkt in die Fußballbundesliga.

 



Mario
von Marcel Gisler
CH 2018, 119 Minuten, FSK 12,
deutsche/schweizerdeutsche Originalfassung, teilweise mit deutschen Untertiteln,

Pro-Fun

Ab 18. Oktober hier im Kino.

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