Layla

TrailerQueerfilmnacht

London im Pride-Monat. Drag-Performer:in Layla tritt bei einem tristen Unternehmensevent auf, das sich Queerfreundlichkeit auf die Werbefahne geschrieben hat. Ausgerechnet hier wird Layla von dem jungen Marketing-Experten Max angeflirtet. Obwohl die beiden aus unterschiedlichen Welten kommen – Layla ist nicht-binär, hat palästinensische Wurzeln und lebt in einer aufregenden queeren Künstler:innen-Community; Max ist schwul, stammt aus einem konservativen britischen Elternhaus und hat vor allem Yuppie-Freunde – entwickelt sich zwischen ihnen ein regelrechter Liebesrausch. Doch als Layla versucht, sich der Lebenswelt von Max anzupassen, um für ihn „kompatibler“ zu sein, kommt es zu Konflikten. Was bedeutet es, jemanden zu lieben – und sollten wir dafür mitunter etwas von der eigenen Identität aufgeben? In „Layla“ erzählt Regisseur:in Amrou Al-Kadhi – selbst non-binär und Dragperformer:in in London mit irakischen Wurzeln – eine moderne Geschichte von zwei Menschen, die gerade wegen ihrer kulturellen, sozialen und sexuellen Differenzen zueinander finden und etwas Neues über sich selbst lernen. Anja Kümmel über ein mitreißendes Plädoyer dafür, zu sich selbst und füreinander einzustehen – allen (vermeintlichen) Erwartungen zum Trotz!

Foto: Salzgeber

Acht Arme, mindestens

von Anja Kümmel

Ist der Plural von „Octopus“ Octopi? Oder Octopuses? Wie ein Running Gag durchzieht diese Frage Amrou Al-Kadhis Langfilmdebüt „Layla“. Dabei geht es weniger um grammatikalische Korrektheit als vielmehr um Empathie und Wahrnehmung. Von welcher Seite nähere ich mich einem Gegenstand?

Layla, nicht-binäre Dragperformer:in mit palästinensischen Wurzeln, zieht das achtarmige Weichtier als Metapher heran, um dem neuen Lover das Konzept der Nicht-Binarität verständlich zu machen: Oktopusse seien „eine Art Krieger-Gestaltwandler“, so Layla: „So ungefähr fühle ich mich auch: als etwas, das immer dazwischen liegt.“ Auch den schwulen weißen cis-Mann Max fasziniert die erstaunliche Wandlungsfähigkeit der Kraken. In seiner Freizeit geht der junge Marketing-Experte gerne ins Londoner Aquarium, um sich dort all die bunten Fische und exotischen Meereskreaturen anzuschauen und so für eine Weile seinen streng durchgetakteten Alltag zu vergessen. Es ist ein zärtlicher, relaxter, postkoitaler Moment, in dem Layla und Max dieses Gespräch führen – Deep Talk, der bereits eine große Vertrautheit suggeriert, während zugleich immer wieder ihre Unterschiede anklingen. Aber wie sind diese beiden so gegensätzlichen Menschen überhaupt in Laylas bordeauxrotem Bett in deren chaotischen East Londoner WG gelandet?


Al-Kadhi, selbst nicht-binär und Drag Performer:in aus London, hat den Auftakt ihrer Liebesbeziehung als überdrehte Komödie inszeniert: Weil sie ihre Fertiggerichte mit dem campy Namen „Fork Me“ im Pride-Monat mit einem Regenbogenband verzieren wollen, hat das Unternehmen, für das Max arbeitet, Layla als Performance Act für ein firmeninternes Event gebucht – Pinkwashing at its best! Zwischen all den heteronormativen Anzugträger:innen wirken Laylas und deren drei Freund:innen, die zur Unterstützung mitgekommen sind, in ihren schrillen Outfits wie Außerirdische (kein Wunder, denn sie wollen später weiterziehen zu einer Alien-Motto-Party im fiktiven Club „Feathers“).

Layla wird herablassend behandelt wie ein Pausenclown, der ein bisschen lipsynchen darf, um dem Unternehmen einen Anstrich von Diversity zu verleihen. Doch das lässt dey sich nicht bieten, und so nimmt die Performance eine unerwartete Wendung. „Für euch sind wir Queens vielleicht nur glänzendes Schmückwerk“, ruft dey ins Mikrofon: „Aber grab ein bisschen tiefer … und du wirst rohes, queeres Fleisch finden!“ Den meisten Anwesenden klappt die Kinnlade runter. Max hingegen ist sichtlich fasziniert. Man könnte auch sagen: Schockverliebt.

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Kurzerhand wird er mitgeschleppt ins „Feathers“, und die so unerwartete wie stürmische Affäre nimmt ihren Lauf. Doch dann wechselt auch schon das Register – von Rom-Com zum Culture-Clash-Drama zum Coming-of-Age-Film. Al-Kadhi, das wird schnell klar, hat das Code-Switching genauso drauf wie die Protagonist:innen. Allen voran Layla. Dey ist nicht nur auf der Bühne die Queen der Metamorphosen, sondern neigt auch im Privaten dazu, sich je nach Situation verschiedene Identitäten überzustreifen. Dey müsse zu einem „Drag Brunch“, erklärt Layla am nächsten Morgen den Mitbewohner:innen, als dey überstürzt das Haus verlässt.

Kurze Zeit später sehen wir Layla wieder, bei einer Feier im Kreis der Familie, kaum wiederzuerkennen, ohne Make-up und in traditioneller männlicher Kleidung. „Drag Brunch“ war also, in gewissem Sinne, noch nicht mal gelogen – nur dass es für Layla, wenn dey sich für die eigene (oder später für Max’) Familie in „Latif-Drag“ wirft, eben keine selbstgewählte Performance ist, sondern ein Zugeständnis an die homo- und transphobe Welt, die Layla umgibt. Es sei einfacher, die Welten getrennt zu halten, sagt Layla später zu Max. Aber stimmt das wirklich?

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Wie der:die Filmemacher:in in Interviews verraten hat, steckt in diesem Narrativ viel Autobiographisches: Aufgewachsen in London in einer streng muslimischen Familie aus dem Irak, kennt Al-Kadhi die Zerrissenheit einer genderqueeren Person of Color zwischen den Kulturen, Szenen und Zeichen.

Ist das Dazwischen ein Ort der Freiheit, der unbegrenzten Möglichkeiten? Oder vielmehr des Chaos, der Instabilität? Dies sind die zentralen Fragen, die der Film mit viel Feingefühl auslotet, und die uns immer wieder zurück zu den gestaltwandelnden Oktopussen führen. In einer romantischen Szene im Aquarium – Dates zwischen Fischen scheinen fast schon zu einer Trope des zeitgenössischen Liebesfilms geworden zu sein – fragt Layla nachdenklich, beim Anblick einer Qualle: „Glaubst du, sie weiß, dass sie eingesperrt ist?“ und Max erwidert: „Sind wir das nicht alle?“

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Dieser knappe Dialog kondensiert, was die beiden zueinander hinzieht, aber auch, von welch entgegengesetzten Polen sie sich aufeinander zu bewegen: Layla zelebriert einerseits als extravagante Drag Persona das Außenseitertum, sehnt sich andererseits aber auch nach Akzeptanz und Zugehörigkeit in einer festen Partner:innenschaft. Diese Mischung aus Exaltiertheit und Fragilität verkörpert der Newcomer Bilal Hasna grandios. Auf der Bühne kann Layla kompromisslos cunty sein (ein unübersetzbarer Begriff, der ungefähr so viel heißt wie: eine provokante, selbstbewusste Weiblichkeit ausstrahlend), im Privaten jedoch versteckt dey deren Emotionen oft hinter einem servilen Lächeln, das förmlich „Please like me!“ schreit.

Max hingegen scheint auf den ersten Blick genau die Stabilität und Sicherheit zu repräsentieren, die Layla vermisst. Dass auch er in der Lebenswelt, die er sich aufgebaut hat, viele Facetten seiner Persönlichkeit (wie etwa seine künstlerischen Ambitionen) nicht ausleben kann und sich im Grunde genommen einsam fühlt, zeigt sich erst nach und nach. An dieser Stelle ist die weise Casting-Entscheidung zu loben, Max nicht von einem hypermaskulinen Hunk verkörpern zu lassen, sondern von dem eher jungenhaft-androgynen Louis Greatorex, dem auch ein Croptop und Lippenstift wunderbar stehen. So kann sich Max im „Feathers“ flugs in „Mercury“ verwandeln, und zwar so smooth, dass es den Anschein hat, als würde hier eine Seite, die er sonst gut versteckt hält, mit einem Paukenschlag befreit.

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Alles könnte sich in Herzen und Glitter auflösen, doch ganz so einfach ist die Dynamik zwischen Layla und Max leider nicht. Was für Max eine Nacht des Ausbrechens und Austobens bedeutet, nach der er ohne großen Leidensdruck in seine Anzugrolle zurückkehren kann, ist für Layla und deren Freund:innen die einzige Heimat – eine Utopie für queere PoCs, die zudem kurz vor der Schließung steht. Und: Wenn Layla Max’ Welt betritt, blüht dey nicht in gleicher Weise auf. Im Gegenteil.

„Ich zwinge dich zu nichts!“ sagt Max an einer Stelle, und das stimmt. Die Zeichen, die er aussendet, sind dennoch deutlich: Etwa wenn er Layla auf der Straße zum Abschied awkward-kumpelhaft umarmt, als dey ihn einmal im üblichen schrillen Outfit zur Arbeit begleitet. Oder wenn er Layla wie nebenbei zuruft: „Du kannst gerne was von mir ausleihen!“, bevor sein Vater und seine Schwester zum Essen vorbei kommen. Layla später im grauen Flannellhemd am Tisch sitzen zu sehen, ist fast schon schmerzhaft, und noch schmerzhafter, Max danach freudig ausrufen zu hören: „Sie mochten dich wirklich!“ Denn wer ist dieses „du“, in das sich Layla verwandelt hat, um sich in sein Leben zu integrieren? Umgekehrt sieht es allerdings auch nicht viel besser aus: Als die beiden einmal zufällig Laylas Schwester auf der Straße treffen, lässt Layla Max’ Hand nicht nur los, sondern schleudert sie regelrecht von sich. Und Laylas Freund:innen lassen Max deutlich spüren, dass er in ihrem Safe Space nicht erwünscht ist.

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Kann diese Romeo-und-Julia-Romanze eine Zukunft haben? Wäre „Layla“ eine konventionellere Rom-Com, würde diese Frage vermutlich den gesamten Raum einnehmen. Al-Kadhi jedoch konzentriert sich auf den langen, Mut erfordernden Prozess der Selbstakzeptanz und des Zu-sich-Stehens. So bietet „Layla“ vor allem (aber nicht nur) queeren Menschen ein großes Identifikationspotential – ganz abgesehen von seinem wunderbar poppigen Soundtrack, dem fantastischen Kostümdesign, der starken Präsenz der beiden Hauptdarsteller und der Chemie zwischen ihren Charakteren.

Gelegentlich fühlt sich das ständige Switchen zwischen den Genres, zwischen Authentizität und Camp, zwischen Komplexität und Klischee, etwas holprig an. Max’ monochrom cremefarbenes Apartment etwa, das so unberührt wie ein Hotelzimmer wirkt, scheint keine realer Ort zu sein, sondern vielmehr Laylas Fantasie davon, wie die Wohnung eines schwulen weißen Yuppies aussehen könnte. Und Max’ Kolleg:innen wirken derart stereotyp in ihre Anzüge gezwängt, als hätte jemand bei einem Voguing Ball die Kategorie „Executive Realness“ aufgerufen. So weit, so konsequent.

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Etwas schade ist allerdings, dass auch Laylas Freund:innen weitgehend austauschbar bleiben: Ein Haufen bunter Vögel, die selbst daheim auf der Couch noch ausladende Kostüme tragen und nur in schlagfertigen Wortspielen zu sprechen scheinen. Gerade weil eine der zentralen Messages lautet, wie wichtig die queere Wahlfamilie ist, hätte diesen Figuren etwas mehr Ausarbeitung gut getan.

Al-Kadhis schillerndes Debüt kommt daher wie ein Wesen mit mindestens acht Armen, und ebenso wandlungsfähig wie ein Oktopus, oszillierend im Spannungsfeld zwischen dem Zelebrieren fluider Identitäten und der Anpassung einer verletzlichen Kreatur zu ihrem eigenen Schutz. Was manchmal aber auch gar nicht nötig ist, wie Layla im Lauf der Geschichte erkennt: Es ist auch möglich, geliebt zu werden, ohne ständig Form und Farbe wechseln zu müssen.

 




Layla
von Amrou Al-Kadhi
UK 2024, 100 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT

Im März in der Queerfilmnacht