Ludwig II. (1973)

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Mit nur 18 Jahren besteigt Ludwig II. im Jahr 1864 den bayrischen Thron. Sein Interesse gilt weniger der Diplomatie als den schönen Künsten. Er wird zum großzügigen Förderer von Künstlern und Musikern, allen voran Richard Wagners. Ludwig wird von weiten Teilen seines Volks innig geliebt, ist aber vielen Politikern ein Dorn im Auge, weil er sich kaum um Regierungsgeschäfte kümmert und stattdessen riesige Prachtbauten beauftragt, die Unsummen verschlingen. Bei seiner Cousine Elisabeth „Sissi“ von Österreich findet er eine Seelenverwandte, die seine Liebe jedoch zurückweist. Sissi erkennt das Unheil, auf das ihr Cousin zusteuert, und drängt auf eine Verlobung mit ihrer Schwester Sophie. Aufgrund seiner „Verschwendungssucht“ wird Ludwig schließlich für geisteskrank erklärt und entmachtet. Er stirbt 1886 vereinsamt und unter mysteriösen Umständen am Starnberger See. Mit „Ludwig II.“ hat Luchino Visconti 1973 seine Deutschland-Trilogie abgeschlossen – und dem bayrischen Märchenkönig ein abgründiges filmisches Denkmal gesetzt. Viscontis Partner Helmut Berger glänzt als Regent, der sich zunehmend seinem homosexuellen Begehren hingibt und allmählich verfällt. Bergers Ludwig geht an einen Ort, an den ihn keiner mehr versteht, und der doch zugänglich erscheint, weil Visconti ihm nicht nur bereitwillig, sondern leidenschaftlich folgt. Carolin Weidner über ein filmisches Meisterwerk des Aufbegehren in der durchlebten Agonie.

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Schwanengesang

von Carolin Weidner

Mit einer Proklamation meldet sich Ludwig II. 1972 überraschend zu Wort. „An Mein Volk“ ist der Brief jenes Königs unterschrieben, den man 1886 tot aus dem Starnberger See barg. Er schreibt: „Ich Ludwig II., König von Bayern, sehe Mich veranlaßt, an Mein geliebtes Bayerisches Volk und an die gesamte Deutsche Nation folgenden Aufruf zu erlassen: Der italienische Graf Luchino Visconti beabsichtigt ohne Meinen Willen Meine Schlösser zu mißbrauchen, und meine Biographen haben durch unwahre Angaben über Meinen Gesundheitszustand Mein geliebtes Volk getäuscht und bereiten hochverräterische Handlungen vor. Jeder normale Bayer wird aufgefordert, den Grafen Visconti als Hochverräter zu bekämpfen. Ich fühle Mich mit Meinem geliebten Volk eins und bin der festen Überzeugung, daß Mein Volk Mich auch gegen die geplanten Enthüllungen schützen wird.“

Die Dreharbeiten zu Luchino Viscontis „Ludwig II.“, dritter Teil seiner Deutschland-Trilogie nach „Die Verdammten“ (1969) und „Tod in Venedig“ (1971), werden in Bayern von Protesten flankiert. Die Münchner Abendzeitung zitiert Hannes Heindl, Vorsitzender des König-Ludwig-Clubs, mit den Worten: „Unser König muß sauber bleiben. Der Graf hat die Absicht, die (Bett)-Decke von des Königs Liebesleben zu lüften.“ Nur zwei Wochen später, Visconti und sein Filmteam sind längst auf der Roseninsel eingetroffen, haben einen eigenen Anlegesteg von unglaublichen 66 Metern Länge errichtet, veröffentlicht die Bildzeitung eine anonyme Bombendrohung: „Aufhören! Oder die Roseninsel fliegt in die Luft!“ Nichts geschieht. Visconti lässt die Insel abriegeln und setzt die Arbeit an seiner monumentalen Produktion fort.

Man ist nicht bereit. Nicht für Viscontis Interpretation des Märchenkönigs, und auch nicht für den kaltschnäuzigen Aristokraten und Starregisseur aus Rom. Schon gar nicht hat man auf jemanden wie Helmut Berger gewartet, den Visconti als Ludwig besetzt, und mit dem er liiert ist. Ein fast schon ikonisch gewordener Beitrag des SWF-Fernsehmagazins „Treffpunkte“ porträtiert Berger als abgehobenen Schnösel, der auf das Bürgertum herabschaue. Der sich aber auch mit Ludwig identifiziert, den er als Avantgardisten betrachtet, als modernen Geist. Laut Berger habe Ludwig II. gelebt, als sei er permanent auf Hasch gewesen. Einzig in Romy Schneider, neuerlich als Königin Elisabeth zu sehen, legt man Hoffnung. Ältere Damen lauern vorm Set, um einen Blick auf den Filmstar zu erhaschen, den sie Jahre zuvor als Sissi in ihr Herz geschlossen haben. Positiv- und Negativ-Projektionen wirken ineinander, während Visconti bis zur Erschöpfung und vornehmlich nachts Szenen mit äußerster Perfektion wiederholen lässt.

„Ludwig II.“ wird ein Meisterwerk. Nur sieht es bald zehn Jahre niemand in seiner angedachten Form. Die Premiere in Bonn gerät 1973 zum Flop: Visconti, noch immer geschwächt von einem Schlaganfall, ist nicht anwesend, auch nicht Romy Schneider. Der ursprünglich auf vier Stunden geschnittene Film wird in einer 3-Stunden-Fassung präsentiert – auch sie führt zu Protesten in Bayern. Anspielungen auf Ludwigs Homosexualität werden als „perverse Stellen“ und „Herabwürdigungen“ empfunden. Eine für die Bundesrepublik zensierte Fassung bringt es nur noch auf zwei Stunden. Erst 1980 kann „Ludwig II.“ im Sinne Viscontis in Cannes zur Aufführung kommen.

Die Bestürzung illustriert die Ohnmachtsgefühle, welche jene ereilen, die Ludwig II. als unantastbares Volksgut deklarieren. Und sie stehen für einen Konservatismus, unter dem nicht zuletzt auch der Verehrte zeitlebens litt. Dabei gelingt Luchino Visconti in „Ludwig II.“ eine erstaunliche Verschmelzung aus historischen Fakten, künstlerischem Verständnis und einer Hingabe bis hin zur Obsession. Mit einem Budget von 12 Millionen Mark ist der Film zudem enorm kostspielig, Visconti investiert in jedes Detail, lässt ein Motorboot in einen königlichen Raddampfer verwandeln. Die Ausstattung als opulent zu bezeichnen, scheint noch untertrieben. Trotzdem werden Originalschauplätze in Mitleidenschaft gezogen, Spuren des eifrigen Filmteams sollen in einigen Schlössern noch immer zu besichtigen sein.

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Auch Helmut Berger verlässt die Produktion nicht schadlos. Die minutiöse Auseinandersetzung mit Ludwig, das wochenlange Wirken am Set fordern seinen Preis: „Ein Teil von mir – nicht der Verstand, nein, es lag tiefer – konnte sich von der Rolle nicht mehr abtrennen. Nicht während der Dreharbeiten und auch nicht danach. Ich war wie durchlässig geworden und völlig schutzlos. Es fing nachts an, ich konnte nur schlecht schlafen, und wenn ich träumte, träumte ich mich als Ludwig. Je tiefer ich mich in die Rolle reinsteigerte, desto fiebriger, angespannter wurde ich, desto existenzieller wurden für mich die Szenen, die ich vor der Kamera spielen musste. Als wir den Film abgedreht hatten, wurde es noch schlimmer. All das, was ich ‚geworden‘ war, fand keinen Weg mehr heraus. Nur langsam, und erst nachdem ich mir einen langen Klinikaufenthalt verordnet hatte, legte sich meine Verwirrung wieder.“

22 Jahre, 1864 bis 1886, umspannt Ludwigs Amtszeit bis zu seinem Tod. 22 Jahre kontinuierlicher Verfall, der Berger nicht nur zahlreiche Stunden in der Maske bescherte, sondern auch eine psychische Herausforderung darstellte. Gleich zu Beginn des Films lässt Visconti Gegenwart und Zukunft ineinandergreifen, wenn Ludwigs Krönung als 18-jähriger Mann neben die Aussage eines Hofmitglieds montiert wird, die das Schicksal des Königs bereits vorwegnimmt. Das Scheitern Ludwigs ist in „Ludwig II.“ vom ersten Moment an immanent. Fragen sind einzig: Wie wird es vonstatten gehen? Wer wird wie intrigieren? Visconti macht das Netz sichtbar, das Ludwig umschließt, strategische Operationen, die auch vom Zustand Bayerns und Deutschlands künden, die sich selbst in einer Art Transformation befinden: der Übergang von einzelnen Staatenbünden hin zum Deutschen Reich 1871. Ludwig II. ist keine kleine historische Notiz. Visconti erklärt seine Persona zum Ausdruck und Symptom, zeigt seinen Eskapismus, seine Verweigerung als exzentrische Reaktion auf einen gesellschaftlichen Wandel.

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Fünf Teile geben Zeugnis von einem Weg in die Isolation, vom Leben eines sehr reichen Außenseiters. „Ludwig II.“ ist das Psychogramm eines Menschen, der sich selbst als Enigma begreift. In einer der berühmtesten Szenen, beim nächtlichen Spaziergang Ludwigs mit seinem Psychiater Bernhard von Gudden, gesteht er: „Ich möchte ein Rätsel bleiben, für die anderen, auch für mich selbst.“ Ludwig fühlt sich dem Dunklen, dem Mond, dem Weiblichen zugehörig, die Kämpfe und Heldentaten seiner Geschlechtsgenossen, das tagtägliche Kleinklein interessieren ihn nicht. Fanatische Bewunderung empfindet er gegenüber dem musikalischen Genie Richard Wagners, den er, zum Verdruss seines Hofes, großzügig protegiert. Visconti erlaubt sich seinen eigenen Kommentar und inszeniert ihn als treulosen Schmarotzer. Einzig das Band zu Kaiserin Elisabeth, von Ludwig zärtlich „ma cousine“ genannt, ist von inniger, geradezu romantischer Qualität.

Die Begegnung mit ihr fällt ein ums andere Mal ins Reich der Magie. Etwa wenn beide in einem kleinen Zirkuszelt aufeinandertreffen: Elisabeth reitet Dressur, das in Rot und Grün getauchte Zelt enthebt die Situation aus der üblichen goldenen Üppigkeit. Ludwigs und Elisabeths Hüte ähneln sich, der eine gerät zum Schatten des anderen. Elisabeth ist die Seelenverwandte, aber sie ist nicht so naiv wie Ludwig, sie kennt die Spielregeln der Monarchie, sagt: „Wir sind nichts als Pomp. Wir gehen nur in die Geschichte ein, wenn man uns umbringt.“ Elisabeth erkennt das Unheil, auf das ihr Cousin zusteuert, und drängt auf eine Verlobung mit ihrer Schwester Sophie. Unmusikalisch und den Künsten wenig zugeneigt, ist sie für Ludwig allerdings nur schwer erträglich. Kunst ist für den König gleichbedeutend mit Wahrheit, mit Bestand. Sein Denkmal errichtet er durch Wagner und den Bau zahlreicher, unbewohnter Schlösser. Als Elisabeth, Ludwigs Ende ist da nicht mehr fern, durch den Spiegelsaal von Herrenchiemsee schreitet, geschmückt mit einer bizarr-kapriziösen Armee von riesigen Kerzenständern, verfällt sie in einen zynischen Lachanfall.

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„Eigentlich folge ich nur drei Richtlinien: eine philologische, eine historische und eine dramatische Wahrheit festzulegen und zu versuchen, das Ideal des vollkommenen Schauspiels zu erreichen, welches eben das Melodram ist, Bilderbuch des Lebens.“ Luchino Visconti bewegt sich zeitlebens zwischen Oper, Theater und Film, er ist Ästhet und Perfektionist, Chronist des Verfalls großbürgerlicher Kultur und Marxist. In „Ludwig II.“ formieren sich all diese Stränge zu einem so hingebungsvollen wie morbiden (Ab)Gesang. In der Venusgrotte von Schloss Linderhof, in der Ludwig den Schauspieler Josef Kainz empfängt, und ihn fortan bis zur völligen Erschöpfung Gedichte und Heldenrollen rezitieren lässt, füttert der bleiche, aufgedunsene und nunmehr mit schwarzen Stumpen anstelle von Zähnen versehene König die Schwäne.

Parallelwelten, die Visconti wie Gemälde organisiert. Eine Einstellung in der Hundinghütte, in der sich Ludwig gerade einem exzessivem Metgelage mit jungen Bauersburschen hingegeben hat, besticht in Chiaroscuro und erinnert gleichzeitig an das Bierzelt-Besäufnis der SA in „Die Verdammten“, das langsam in eine schwule Orgie kippt. Die zunächst noch zaghaften Annäherungen zu anderen Männern – von unbestechlicher Anmut Ludwigs Verführung des Stallburschen Richard Hornig – finden im späteren Verlauf von „Ludwig II.“ kein Halten mehr. Ludwigs (sexuelles) Begehren und unbändige Triebbefriedigung sind gehüllt in dunkle Heimlichkeit, ereignen sich nachts, in Abgeschiedenheit und lassen den König doch deprimiert zurück. Ludwig geht an einen Ort, an den ihn keiner mehr versteht, und der doch zugänglich erscheint, weil Visconti ihm nicht nur bereitwillig, sondern leidenschaftlich folgt. Ludwigs Agonie ist ein Aufbegehren, für die Freiheit, für die Kunst.

„Nun regnet es wieder. Es hört nicht mehr auf. Niemals!“, entfährt es ihm, als er sein nahendes Ende begreift. Worte, die sich weder an das „Bayerische Volk“ noch an die „Deutsche Nation“ richten. Und die so viel schöner sind.




Ludwig II.
von Luchino Visconti
IT/FR/DE 1973, 238 Minuten, FSK 12,
deutsche SF & italienische OF mit deutschen UT

Als BluRay, DVD und VoD