Cruising (1980)
Trailer • DVD/VoD
New York Ende der 70er Jahre: Eine brutale Mordserie erschüttert die schwule Leder- und SM-Szene, und der Täter kommt scheinbar aus den eigenen Reihen. Um die Verbrechen aufzuklären, wird der heterosexuelle Polizist Steve Burns als Lockvogel eingeschleust, da er optisch dem Typus der bisherigen Mordopfer entspricht. Ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Zurecht wurde William Friedkins berüchtigtem Crimethriller „Cruising“ Homophobie vorgeworfen – hassen sich darin die Schwulen doch so sehr, dass sie sich auf sadistische Weise gleich selbst umbringen. Doch für Peter Rehberg ist diese homofeindliche Botschaft so offensichtlich und lächerlich, dass eine Distanzierung nicht schwerfällt. Absolut sehenswert ist „Cruising“ noch heute, weil er ein faszinierendes Porträt der schwulen New Yorker Subkultur um 1980 zeichnet und mit einer Story voller Uneindeutigkeiten verwirrt. Über einen ambivalenten Klassiker des queeren Kinos.

Foto: Warner Home Video
Mord unter Klonen
von Peter Rehberg
Ausgerechnet eine Serial-Killer-Story war der Anlass dafür, eine Homogeschichte auf die Hollywood-Leinwand zu bringen, die nicht davor zurückschreckte, einem Mainstream-Publikum den Hanky-Code zu erklären, nackte Männer ans Bett gefesselt in SM-Szenen zu zeigen oder beim Fisten im Sexclub. Was immer „Cruising“ sonst auch als Message transportiert hat, in dieser Darstellung einer schwulen Subkultur und ihren Sexpraktiken ist der Film von William Friedkin mit Al Pacino in der Hauptrolle einmalig. Jenseits von Porno hatte es das im Kino seit Kenneth Angers Arthouse-Film „Scorpio Rising“ von 1963 nicht gegeben – und auch danach kaum wieder.
Und im Unterschied zu Anger sind die Szenen in „Cruising“ auf eine Art tatsächlich radikaler: ästhetisch nicht verfremdet fangen sie in ihrer Absicht, Suspense zu erzeugen, die sexuelle Atmosphäre des New Yorks der späten 1970er Jahre so realistisch ein, wie sonst kein anderer Film. Der Kamerablick ist intim und interessiert: Die Männer sind schwitzend beim Tanzen und beim Sex zu sehen. 40 Minuten Filmmaterial musste Friedkin aus der Originalfassung rausschneiden, damit „Cruising“ einem X-Rating entgehen konnte, also nur für Erwachsene zugänglich gewesen wäre. Travis Mathews und James Franco haben dem Mythos um diese verlorenen 40 Minuten, die der Zensur zum Opfer fielen, 2013 mit „Interior. Leather Bar.“ sogar einen eigenen Film gewidmet.
Neben den Fotografien der sich sonnenden und cruisenden Schwulen auf den Piers im Hudson River von Alvin Baltrop gehören die Szenen in „Cruising“, die tatsächlich im legendären schwulen Leder- und BDSM-Club „The Anvil“ auf der 14. Straße gedreht worden sind, bei aller Inszeniertheit zu den besten Dokumenten des mythischen New Yorks vor Aids. Genauso wie die Kamerafahrten in den Straßen des Meat Packing District und des West Village, die die Männer beim Cruisen verfolgen – in einer Zeit bevor Carrie Bradshaw („Sex and the City“) und Dating-Apps die ehemaligen Schwulenviertel in einen Teil der sterilen Outdoor-Shopping-Mall „Manhattan“ verwandelt haben.
Auch die legendären Porno-Kinos um den Times Square, Treffpunkt für Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Ethnien – wie Samuel Delany es in seinem Buch „Time Square Red, Times Square Blue“ (1999) beschrieben hat – spielen in „Cruising“ eine Rolle. Rudy Guiliani, ehemaliger Bürgermeister von New York und Trump-Fan, hatte sie in den 1990ern schließen lassen, um die Gegend in Midtown familienfreundlicher zu machen. „Cruising“ zeigt ein New York, das schon zehn Jahre später verschwunden war („The Anvil“ wurde 1985 geschlossen). Von dieser Entwicklung hat sich die Stadt nie wieder erholt.

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Der Plot von „Cruising“ folgt einer extrem homophoben Logik: Schwulenhasser müssen gar nicht erst aktiv werden, dass erledigen die Homos mit ihrem Selbsthass ganz alleine, indem sie sich gegenseitig umbringen. Die Proteste gegen den Film begannen damals schon bei den Dreharbeiten. Eigentlich ist der Killer in „Cruising“ ein Verwandter von Norman Bates in „Psycho“ (1960) – mit dem Unterschied, dass es bei „Cruising“ um Probleme mit dem Vater und nicht mit der Mutter geht. Schließlich war Friedkin ja auch der Regisseur des Schockers „Der Exorzist“ (1973). Man kann diese eindimensionale Schwulenfeindlichkeit aber auch als Horror-Kitsch abtun. Sie ist so offensichtlich, dass die Distanzierung nicht schwerfällt, und man sich auf die interessanteren Aspekte des Films konzentrieren kann. Die lächerlich homophobe Botschaft von „Cruising“ ist nicht nur eingebettet in das faszinierende Porträt des schwulen New Yorks um 1980, sondern auch in eine Story, die durch eine Reihe von Uneindeutigkeiten erzählerisch die Spannung hält und intellektuell eine Reihe von Fragen hinterlässt. Das macht den Film immer noch absolut sehenswert.
Noch bevor Al Pacino als Undercover-Cop Steve Burns in die schwule SM-Szene abtaucht, um als Lockvogel den Killer aufzuspüren, und dabei selber die Orientierung verliert – nach seinen wiederholten Besuchen in der Szene wird der Sex mit seinem Girlfriend immer komplizierter –, verschwimmen die Grenzen zwischen jenen, die tagsüber bei der Arbeit Uniform tragen, und jenen, die sie aus dem Schrank holen, wenn sie nachts ausgehen. Gleich in der ersten Szene lassen sich die Cops, die Streife fahren und die in den cruisenden Männern, die sie aus dem Auto heraus beobachten, den moralischen Niedergang Manhattans sehen, von zwei Dragqueens einen blasen (diese tragen, etwas irritierend, auch Lederuniformen).

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Steve wird ausgewählt, weil er, nach den bisher gefundenen Leichen zu urteilen, dem Beuteschema des Mörders entspricht. Und tatsächlich ist es Pacino selbst mit seinen schwarzen kurzen Haaren, Bartschatten, Levis, Leder und einem Körper, den er durch Gewichtstraining vor dem Spiegel zuhause stählt, der den schwulen Macho-Klon repräsentiert wie sonst keiner im Film. Auch von dieser schwulen Kulturerfindung der 1970er macht „Cruising“ clever Gebrauch: In der Aneignung stereotyper Männlichkeit werden die Schwulen nicht nur einander immer ähnlicher, sondern unterscheiden sich auch nicht mehr so richtig von den Cops, die die Stadt kontrollieren. Steve – der Cop, der die Schwulen ausspioniert – verkörpert diese Position, an der heterosexuelle Zeichen zu homosexuellen Zeichen werden.
Die Logik des Klonens affiziert auch die Mordgeschichte. Weil alle gleich aussehen, könnte ja auch jeder der Mörder sein (auch ein Cop). Am Ende wird zwar ein Täter identifiziert. Beweise dafür, dass er tatsächlich der richtige ist, gibt es aber nur in einem der Fälle. Und: Auch nach seiner Verhaftung geht das Morden weiter. Wenn der „Klon“ – sozusagen als ein Typus – der Mörder in „Cruising“ ist, lässt sich kein Einzelner mehr für die Verbrechen verantwortlich machen. Das heißt auch: Etwas an dem mörderischen Geschehen in „Cruising“, dass hier zum schwulen Begehren mit dazu gehört, ist ansteckend. Das geht bis zu den Anspielungen, dass Pacino am Ende selbst der Täter sein könnte.

Foto: Warner Home Video
Auch diese Botschaft ist nicht ohne und operiert auf mehreren Ebenen. Sie kriminalisiert in ihrer Logik die komplette schwule Subkultur. In der Verweigerung einer „positiven Identifikation“ – darin wird quasi das New Queer Cinema der frühen 1990er vorweggenommen – stellt der Film aber auch interessante Fragen über das Verhältnis von schwuler Subjektivität, Begehren, Macht und Tod, wie sie in den Jahren danach von der Queer Theory bearbeitet worden sind (z.B. in Leo Bersanis Essay „Is the Rectum a Grave?“, 1987).
Nicht zuletzt kann die Geschichte auch auf etwas unheimliche und prophetische Art und Weise als eine Allegorie auf Aids gelesen werden, das nur wenige Jahre später die schwule Welt für immer veränderte. „Cruising“ ist kein harmloser Film. Seine Widersprüche können einen immer noch bewegen. Vielleicht ist er in seiner schablonenhaften Homophobie auch ärgerlich. Faszinierend ist er allemal.
Cruising
von William Friedkin
US 1980, 101 Minuten, FSK 16,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT
Als DVD und VoD