Küss mich

Trailerrbb QUEER DVD / VoD

Alexandra-Therese Keinings erwachsene Romanze „Küss mich“ variiert raffiniert das bekannte Thema einer Frau, die ihre Beziehung zu einem Mann hinterfragt, als sie ihr lesbisches Begehren entdeckt. Mit einigen der besten Schauspieler*innen des schwedischen Kinos gelingt Keinings eine subtile Erzählung über große Gefühle und alles verändernde Momente, schreibt Jessica Ellen.

Foto: Salzgeber

Ein zu enges Kleid

von Jessica Ellen

Es sind nur die Flatternerven von Mia, die sie veranlassen, mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Tim noch schnell eine zu rauchen, bevor die beiden ihrem Vater Lasse zum Geburtstag im ländlich-feudalen Ambiente gratulieren wollen. Außerdem soll Mia die neue Frau des Vaters kennenlernen, und da will sie nicht zurückstehen und die eigene, nach Jahren endlich beschlossene Hochzeitplanung ankündigen. Aber Mia und Tim sind nicht die einzigen Raucher: Eine hübsche Blondine bittet um Feuer; Frida, die Tochter der neuen Stiefmutter. Mia ist misstrauisch: Flirtet die etwa mit ihrem Zukünftigen? Aber wir ahnen es schon – nichts liegt der hintergründig lächelnden Frau ferner

Expositionen wie diese kommen Frau irgendwie bekannt vor. Seit den 1980er Jahren wimmelt es in Lesbenliteratur und -filmen geradezu von sich zunächst heterosexuell definierenden Ehefrauen, die von gestandenen Lesben verführt werden und so erkennen, wer sie eigentlich sind und was sie wirklich wollen. Aus heutiger Sicht wirkt dieses Thema vielleicht ein bisschen angestaubt, aber es lohnt sich, daran zu erinnern, wie Lesben vorher dargestellt wurden (und mitunter immer noch werden). Da gab es lesbisches Begehren als Sidekick für die eigentlich heterosexuelle Frau, was diese für Heteromänner zu einer besonders lohnenden Trophäe werden ließ, weil sie sie in ihrer Unersetzbarkeit bestätigte. Ernsthafte Konkurrenz für eine Heterobeziehung waren Frauenbeziehungen nicht. „Echte“ Lesben waren meist unattraktive „kesse Väter“, und nicht selten fanden sie ein tragisches Ende. Beispiele dafür finden sich in der Filmgeschichte seit dem Stummfilm „Lulu“ zuhauf. Erst mit dem Erscheinen der neuen Frauenbewegung wurden lesbische Lebensentwürfe als gleichberechtigte, wenn nicht überlegene Alternative zu Ehe- und Heterobeziehungen ernst genommen und auch gehörig idealisiert. Nun erst konnte lesbische Sehnsucht nach anderen, positiven Liebesgeschichten zwischen Frauen auch auf der Leinwand Gestalt annehmen. Und ganz ehrlich – freuen wir uns nicht immer noch mit den Liebenden, wenn sie sich nach vielem Hin und Her endlich kriegen?

Auch zwischen Mia und Frida gibt es dieses Hin und Her. Und die Verführung geht keineswegs nur von einer Seite aus. Fridas Charme könnte selbst einen Gletscher zum Schmelzen bringen. Aber es ist die scheinbar so spröde Mia, die den ersten Schritt macht. Ist sie vielleicht doch nicht so unerfahren? Erst einmal ergreift Mia, von den eigenen Gefühlen überrumpelt, die Flucht, geht Frida aus dem Weg. Doch Frida ist längst verliebt und nicht bereit, alles als einmaligen Ausrutscher einer sonst unerschütterlichen Hetera auf sich beruhen zu lassen.

Beide schaffen es nicht mehr, in ihrem früheren Leben Fuß zu fassen. Fridas Lebensgefährtin merkt, dass plötzlich etwas zwischen ihnen steht. Mia stürzt sich hektisch in die Hochzeitsvorbereitungen und spürt, dass alles, was für sie noch vor kurzem so wichtig war, nun eigentlich nicht mehr stimmt. Im Brautkleid ihrer Mutter, das sie unbedingt zur Hochzeit tragen wollte, obwohl es Tim nicht gefällt, steht sie unschlüssig vor dem Spiegel. Es ist, als würde das biedere, hochgeschlossene Kleid ihr die Luft zum Atmen nehmen, sie reißt es sich vom Leibe.

Irgendwann schleicht Mia sich doch zurück in Fridas Leben, und die lässt sich ihre unvernünftige Liebe von niemandem ausreden. Es folgen heimliche Treffen; Mia träumt davon, mit Frida nach Spanien zu gehen, während die Hochzeitsvorbereitungen in unvermindertem Tempo weiterlaufen. Frida entlarvt Mias Ausbruchs- und Fluchtphantasien als das, was sie sind – Vermeidungsstrategien, um eben nicht mit der Realität vor Ort umgehen zu müssen. Frida dagegen ist stolz auf ihre Liebe und will, dass alle davon erfahren. Irgendwann wird Mia sich entscheiden müssen

Foto: Salzgeber

„Küss mich“, so der Titel des Films der schwedischen Regisseurin Alexandra-Therese Keining, sagt gleich, worum es geht. Eine klassische Liebes- und Coming-Out-Geschichte mit emanzipatorischem Anliegen und angedeutetem Happy End. Überraschende Wendungen der Dramaturgie sollte Frau hier nicht erwarten, aber auch auf keinen Fall Langeweile. Die Konstellation zweier Stiefschwestern, die sich bei der Verlobung ihrer Eltern kennen lernen, ist immerhin ungewöhnlich und eröffnet Möglichkeiten, die die Regisseurin zu nutzen versteht. Weder Mia noch Frida sind von ihrem Äußeren Klischee-Lesben, beide sehr schön anzuschauen, mit ausdrucksvollen Gesichtern. Mia dunkel, nachdenklich und etwas melancholisch, Frida blond, mit zartem Gesicht und strahlend blauen Augen. Der visuelle Kontrast setzt sich in ihren Charakteren fort.

Frida steht zu ihrem Lesbischsein; ihr Konflikt besteht darin, ihre Freundin Elin zu verletzen. Verlassen zu werden ist etwas, was sie selbst schon schmerzlich erlebt hat, und nun ist sie diejenige, welche Elin verlässt. Leidenschaft hat ihren Preis, und den zahlen vor allem die Verlassenen. Die aber, die gehen, müssen wohl oder übel mit ihren Schuldgefühlen leben, auch wenn die neue Liebe sie erst einmal überdeckt. Der Umstand, dass Frida in einer Beziehung lebt und sich trennt, verhindert, dass sie allzu engelhaft erscheint – so hat der emanzipatorische Heiligenschein mindestens einen realistischen Kratzer.

Mia war zwar schon einmal mit einer Frau zusammen, wie sie später Frida gesteht, aber die Beziehung hatte keinen Bestand, und Mia, in einer Mischung aus Resignation und Konventionalität, setzte mit Tim auf Nummer sicher. Heiraten will sie ihn, weil sie glaubt, dass es von ihr erwartet wird. Die Begegnung mit Frida lockt die verdrängten Gefühle hervor; das ist anziehend und bedrohlich zugleich. Diese Ambivalenz beschränkt sich dabei nicht auf Frida, sie kennzeichnet auch das Verhältnis zu ihrem Vater. Sie nimmt ihm übel, ihre Mutter verlassen zu haben. Und auch sonst hat er die Tochter zu oft enttäuscht, deshalb vertraut sie ihm nicht mehr, sehnt sich aber danach, es zu können. Erst am Schluss wird sie das Risiko eingehen, ihm ihre wahren Gefühle zu offenbaren, und diesmal wird er nicht versagen. Auch er hat von Fridas Mutter etwas gelernt. Der unterschiedliche Umgang der Eltern mit dem Lesbischsein ihrer jeweiligen Tochter funktioniert als Spiegel des Frauenpaares und gibt dem Film eine zusätzliche Dimension.

Foto: Salzgeber

Der Film überzeugt durch das perfekte Zusammenspiel aller seiner Elemente, eine sorgfältige Inszenierung, dezenten Einsatz von Musik und eine tolle Kamera, die die Schönheit der Frauen und der schwedischen Landschaft zum Ausdruck bringt, ohne je geschmäcklerisch oder kitschig zu werden. (Nicht, dass ich die Lust auf Kitsch denunzieren möchte; ein Hang dazu schlummert in den meisten von uns).

Das nuancierte Spiel der Darsteller verankert die emotionalen Konflikte der Figuren in der wirklichen Erfahrungswelt und gibt ihnen Bodenhaftung. Das ermöglicht ZuschauerInnen wie mir, sich mit ihnen auch dann zu identifizieren, wenn das eigene Coming-Out schon Jahrzehnte zurückliegt und mit ihm das Schmachten nach überirdisch schönen Traumfrauen. Und so ein genussvoller Kinobesuch, der ganz nebenbei Lust auf einen Urlaub in Schweden mit der eigenen Liebsten erzeugt, ist ja auch nicht verkehrt.




Küss mich
von Alexandra-Therese Keining
SE 2011, 103 Minuten, FSK 12,

schwedische OF mit deutschen UT,
Salzgeber
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Hier auf DVD.

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VoD (OmU): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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