Judy

Trailer Kino

Die vielfach preisgekrönte, privat vom Unglück verfolgte Schauspielerin und Sängerin Judy Garland (1922-1969), durch den „Zauberer von Oz“ und den Song „Over the Rainbow“ zur Legende geworden, avancierte schon zu Lebzeiten zu einer Schwulenikone. Rupert Goold widmet sich in seinem Biopic „Judy“ der letzten Karriere- und Lebensstation des früh verstorbenen Hollywood-Stars. Unser Autor Andreas Wilink findet vor allem Bewunderung für das dramatische Spiel von Hauptdarstellerin Renée Zellweger, die sich mit großer Geste um ihren zweiten Oscar bewirbt.

Foto: eOne Germany

Unter dem Regenbogen

von Andreas Wilink

„Sie lebte acht Leben in einem“, hat das „Cabaret“-Girl Liza Minnelli einmal über ihre Mutter gesagt. Judy Garland wurde nur 47 Jahre alt. Ihr entzündliches Leben scheint dabei mit dem einer zweiten, um sieben Jahre älteren Künstlerin zu überblenden. Auch Edith Piaf wurde keine 50, auch die Pariserin besaß den Stallgeruch des Vaudeville, flammte auf der Bühne in emotionaler Intensität, liebte und litt grenzenlos – an den Männern, ihrem maladen und malträtierten Körper, ihren Süchten: Edith und Judy, die Schicksals-Schwestern.

Judy war bereits Kinderstar in einem Dutzend Filmen (mehrmals an der Seite des sommersprossigen Mickey Rooney), als sie im Alter von 16 Jahren die Rolle der Dorothy in „Der Zauberer von Oz“ (1939) bekam. Der Song „Over the Rainbow“ überwölbte ihre Karriere, die sie als MGM-Star in den Hollywood-Himmel katapultierte und zur Schwulen-Ikone werden ließ: Am Tag ihrer Beerdigung erhob sich in New York die village voice – die Stonewall-Revolten ereigneten sich. Ein Barrikadensturm wie unter Schirmherrschaft einer Schutzheiligen.

Voraussetzung für derartige Idolisierung ist ein gewisses Overacting, die Hypertrophie des Weiblichen oder seine Verschattung im Zwielicht des Androgynen, die Überwindung des Klischees durch seine mehr als 150-prozentige Erfüllung, Leidenspathos, Heroismus des Überwindens und ein Radikalismus des Herzens, der sich oft nur eine Seidenfaden-Breite neben dem Sentimentalen platziert – von Marlene Dietrich und Mae West über Judy und deren Tochter Liza bis hin zu Barbra Streisand und Cher.

Als Verbeugung vor der Camp-Queen Garland zeigt Regisseur Rupert Goold in seinem Biopic Judy Herz an Herz mit einem rührend unbeholfenen schwulen Paar. Sie lädt sich bei den beiden Fans, die in jedem Konzert dabei sind und am Bühneneingang auf sie warten, nach der Vorstellung spätabends ein; nach dem verunglückten Omelette in der beengten Wohnung mit Starfotos von ihr an der Wand gibt es zum Dessert Tränen am Klavier.

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Zu Garlands Filmen gehören ewige Klassiker wie „Broadway Melodie 1950“ (1945), „Osterspaziergang“ (1948) und „Ein neuer Stern am Himmel“ (1954), dem noch zwei Remakes folgten, 1976 mit Streisand und jüngst erst mit Lady Gaga als aufgehende Sterne. Die Sängerin wurde allein für ihr Album „Judy at Carnegie Hall“ mit fünf Grammys ausgezeichnet. Ihr Privatleben hingegen war ein Desaster, fünfmal verheiratet (darunter mit Regisseur Vincente Minnelli) und geschieden, tabletten-, alkoholabhängig und krank, starb sie an einer Überdosis von Barbituraten.

Im Winter 1968, ein halbes Jahr vor ihrem Tod und verpönt als „unberechenbar und unversicherbar“, gastiert sie im Swinging London der Beatlemania im fashionablen Club The Talk of the Town: ein fulminantes Comeback vom ersten Song „By Myself“ an. Sie kämpft als Mutter Courage um das Sorgerecht („Kinder sind, als trüge man sein Herz außen am Körper“), stürzt ab, steht auf, fällt wieder, leuchtet im Scheinwerferlicht und verglüht. Und sie begegnet dem deutlich jüngeren Mickey Deans (Finn Wittrock als Gatte Nr. 5). Der smarte kalifornische Dreamboy verspricht großspurig, sich um ihre Karriere zu kümmern und sie aus der Schuldenfalle zu befreien, aber er vermasselt es.

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Bei diesem Schlussakt setzt der Film ein. Ankunft Judy Garland mit ihren kleineren Kindern Lorna und Joey in einem amerikanischen Luxushotel bei einem indignierten Concierge, der ihr die Aufnahme verweigert. Madame hat unbezahlte Rechnungen hinterlassen. Nicht nur emotional heimat- und obdachlos, sucht sie den Neuanfang, als Künstlerin, Mutter, Frau. Sie scheitert in allen drei Kategorien, gebranntes Kind, das sie ist. Rückblenden zeigen das Dressur-Opfer des Studiosystems, gegen welches das junge Mädchen rebelliert und frühe Blessuren abbekommt.

Zu Judys Leben gehören auch die Scheinproduktion der PR-Maschine, in der die Image-Gestalter ihren Geburtstag verlegen, damit er in den Drehplan passt und rechtzeitig für die Werbekampagne kommt, strenge Diäten, die nach Gramm und Zentimeter überwacht werden, und die rigide Dominanz des sinistren Louis B. Mayer, der dem Teenager droht, falls sie es wagen sollte, seine (Finanz)-Pläne zu stören. Episoden, die allemal Stoff gäben für einen Robert-Aldrich-Film und ein Kapitel in Kenneth Angers Chronik „Hollywood Babylon“.

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Rupert Goold zündet ein Feuerwerk der Gefühle, als habe er sich an dem Musical- und Melodram-Godfather Minnelli („Ein Amerikaner in Paris“, „Gigi“, „Stadt der Illusionen“) orientieren wollen, ohne dessen funkelnde Strahlkraft zu erreichen. Renée Zellweger spielt manchmal hart am Limit zur Karikatur, wenn sie den Mund zusammenzieht, die Augen schmal macht und den kompakten Körper wie um die Ecke herum verdreht, dramatisch effektsicher zwischen Up and Down, dem Glamourösen und dem Kaputten, der Einsamkeit der Garderobe vor dem Schminkspiegel und dem leeren Bett in der Hotel-Suite, dem kleinen Schwarzen, Goldglanz von Kopf bis Fuß oder offensiv bissigem Rot. Die Performance ist die reine Oscar-Bewerbung. Miss Garland hat ihn nie erhalten – das könnte sich für „Judy“ noch ändern!




Judy
von Rupert Goold
US 2019, 118 Minuten, FSK 0,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,

eOne Germany

Ab 2. Januar hier im Kino.

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