Girls Girls Girls

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Rönkkö will endlich richtigen Sex haben. Mimmi ist da prinzipiell schon einen Schritt weiter, aber ansonsten ziemlich wütend. Zusammen arbeiten die Freundinnen in einem Smoothie-Laden. Als eines Tages die ehrgeizige Eiskunstläuferin Emma einen Drink bestellt, bröckelt Mimmis Toughness, und eine Party später lässt sie sich von Emma schon den dreifachen Lutz zeigen. Die finnische Regisseurin Alli Haapasalo erzählt in „Girls Girls Girls“ authentisch und mitreißend vom Jungsein und dem Gefühl, dass man einem anderen Menschen so nah sein will, dass es nicht reicht, nur seine Haut zu berühren. Anne Küper über einen Film, der weiß, wie Flirten und gute Smoothies gehen.

Foto: Salzgeber / Ilkka Saastamoinen

It Takes Two to Mango

von Anne Küper

Ein Teddybär hört vom Fensterbrett aus mit, wie sich zwei Freundinnen beim Schminken an ihr erstes Kissenreiten erinnern. Ein Glitzerkleid wird angezogen, eine Creole ins Ohrloch gesteckt, ein Geständnis gemacht: „Ich habe Angst, dass es so bleibt“, sagt Rönkkö mit den blonden Locken und meint damit, dass sie beim Sex nicht kommen kann. Keine Orgasmen, keine großen Gefühle, keine Lust auf weitere Dates mit unsicheren Typen, die weder Befriedigung noch Schmetterlinge im Bauch mit sich bringen. Und ohnehin: „Man sollte es doch sofort spüren“, formuliert sie fragend in Richtung der besten Freundin. „Du musst nur ficken üben“, rät Mimmi und schminkt weiter, ehe die Dunkelheit die zwei auf dem Weg zur Party umarmen wird, als hätte sie diesmal nur auf sie gewartet, als würde diesmal tatsächlich die Möglichkeit bestehen, dass nichts so bleibt, wie es war.

Ein Schnitt versetzt den fiebrigen Hoffnungen einen Dämpfer, verweist Mimmi und Rönkkö zurück auf ihre Plätze im Universum: Die Musik ist schlecht, die Deko brav bis billig. Komplimente für Boleros werden ausgetauscht. „Wie die Kita aus der Hölle“, so lautet die fachkundige Einschätzung zur Fete der Klassenkameradin von Mimmi, die sowieso lieber daheim Disney-Filme geschaut hätte. Aber an der Schale mit der Erdbeerbowle kann Rönkkö erstaunlich gut flirten, und ein Wiedersehen mit Eiskunstläuferin Emma bringt die Hitze der Aufregung und das Leuchten der Nacht zurück, als sie Mimmi endlich ihren besten Sprung vorführt. Der dreifache Lutz, an dem sie im Training immer scheitert, ist  eine Trockenübung, allerdings auf ziemlich dünnem Eis, wenn Mimmis Augen nur allzu sehnsüchtig ihren Drehungen folgen.

Auf unterschiedlichen Ebenen interessiert sich der Film von Alli Haapasalo für Körper. Seinen Anfang nimmt „Girls Girls Girls“ im Sportunterricht, um die Schule als Schauplatz schlechtgelaunter, rollhockeyspielender Teenager nicht nur auffällig schnell, sondern auch endgültig zu verlassen. Denn wer die drei Mädchen sind, die Haapasalo zeigt, bildet sich abseits einer Lehranstalt heraus. Aufeinanderfolgende Freitage strukturieren diesen Film und das Leben seiner Figuren. Wenn die letzte Schulstunde vorbei ist und die Smoothie-Bar, in der Mimmi und Rönkkö jobben, schließt, dann lockt das Versprechen, alles unternehmen, alles sein zu können, was sonst nicht geht. Spaßig ist das definitiv, aber – und das läuft in „Girls Girls Girls“ explizit mit – bei aller Lust am Rausch eben auch anstrengend, ernüchternd, enttäuschend, wenn diese Freitage zur Aufgabe in Sachen Selbstfindung werden, jede Woche auf ein Neues, zwischen Freizeit und Verpflichtung, Exzess und Entzug, Pubertät und Erwachsensein.

Foto: Salzgeber / Ilkka Saastamoinen

Einfache Tage sind diese Freitage nicht. Emma, Mimmi und Rönkkö stehen unter Druck. Der äußert sich bloß jeweils anders. Während Rönkkö am heterosexuellen Liebesversprechen scheitert und eher an sich statt an den Jungs zweifelt, die sie aufreißt, spricht die toughe Mimmi weniger über das, was in ihr vorgeht, bis es dann knallt. Ihre Wut entlädt sich in ein unbestimmtes Außen, in eine Umwelt, innerhalb derer sie nicht mehr die Hauptrolle spielt, seitdem ein neuer Mann und ein neues Kind in das Leben ihrer Mutter getreten sind. Die ehrgeizige Emma wiederum will sich für die Europameisterschaft qualifizieren, das richtige Maß an Schwung erproben, das sie nicht zu Boden wirft. „Denk nicht, mach einfach“, propagiert die Trainerin nach einem ihrer Stürze. Meditationsapp und Mentalcoaching helfen nicht, die Leichtigkeit ist verschwunden. Das bemerken auch Emmas Eltern, die ihre Tochter in dem bestärken wollen, was ihr eigentlich früher doch so sehr Spaß gemacht hat.

Diese drei Stränge verbindet Regisseurin Haapasalo miteinander, indem sie ein Triptychon jener weiblichen Druckbereiche – Liebesleben, Familie, Karriere – entwirft. Dass diese Figuren leicht zugänglich und in gewisser Weise aus dem Kino bereits bekannt erscheinen, ist ein wichtiger Punkt. Der Film beschäftigt sich vordergründig mit Standardisierung und wie wir uns zu den Bildern verhalten, die uns umgeben – mächtige Bilder, die schon vor uns da waren und auch nach uns sein werden, die formen, was wir begehren und was wir träumen, wie wir auf andere und uns selbst schauen, die wir abgleichen mit dem, was wir Wirklichkeit nennen. Bei „Girls Girls Girls“ handelt es sich um den dritten Langfilm von Haapasalo. Bereits in „Syysprinssi“ (2016) und „Tottumiskysymys“ (2019) ging sie filmisch der Frage nach, wie von Frauen im Spannungsverhältnis zwischen Ermächtigung, Fabulation und Reproduktion erzählt werden kann.

Foto: Salzgeber / Ilkka Saastamoinen

Als auffälliges Mittel dafür dient in „Girls Girls Girls“ die Komik, die unter anderem über die Montage (Samu Heikkilä) und das Drehbuch (Ilona Ahti, Daniela Hakulinen) hergestellt wird. Dass viele Szenen in einer Smoothie-Bar spielen, trägt zum charmant ironischen Ton des Films bei. Und es ist konsequent, wenn sich der Film diesen anderen, möglicherweise neuen Fragmenten einer Sprache der Liebe annimmt, die der Kapitalismus hinterlassen hat. „Just breathe“, „Lime of Passion“, „One in a Melon“ heißen die Drinks, die Mimmi und Rönkkö für die ernährungsbewussten Hipster in der Shopping Mall zubereiten müssen, oder auch: „It Takes Two to Mango“. Die Titel der Getränke führen zu mehrdeutigen Bestell- und Kommunikationsversuchen der Kund:innen. Gleichwohl dienen sie als Steilvorlage für einen der schönsten Momente einer Liebe auf den ersten Blick, die das zeitgenössische Queer Cinema jüngst zu bieten hatte und für den sich „Girls Girls Girls“ alleine schon lohnt, wenn Emma atemlos und aufgewühlt Mimmi fragt: „Hat der ‚You are perfect‘ zusätzlichen Zucker?“

Zu Songs von Perfume Genius, Beatrice Eli und Annie knutschen sich die Girls vom Freitag in den Samstag, lernen blaue Flecken auswendig wie die Zutaten vom „Bali-Bambi“. Was sie verbindet, ist eine unbändige Neugier auf die Welt, auf das verschlingende Gefühl zu lieben, eben wenn der Hautkontakt nicht ausreicht, nicht nah genug ist. Zwischen Lasertag und Pastellfarben, Ermutigungen und feinen Introspektionen zeigt Haapasalo eine Komplizinnenschaft, in der sich Nähe und Distanz abwechseln, bis mutig zum nächsten Sprung angesetzt wird, der alles verändern könnte: „Do you wanna Mango with me?”




Girls Girls Girls
von Alli Haapasalo
FI 2022, 100 Minuten, FSK 12,
deutsche SF und finnische OF mit deutschen UT

Ab 23. Februar im Kino.