Bulldog

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Jetzt im Kino: Der 21-jährige Bruno und seine nur 15 Jahre ältere Mutter Toni haben eine starke symbiotische Beziehung. Nichts und niemand hat Platz im chaotischen Leben der beiden – sie arbeiten sogar zusammen in einer Ferienanlage in Spanien. Doch als Tonis neue Partnerin Hannah in den gemeinsamen Bungalow zieht, steht das Verhältnis vor einer Zerreißprobe: Zum ersten Mal muss Bruno die Aufmerksamkeit seiner Mutter mit einer anderen Person teilen. Barbara Schweizerhof über einen Film, der tiefenpsychologisch fundiert von Liebe und Ablösung erzählt.

Foto: missingFILMs

Triade > Dyade

von Barbara Schweizerhof

Zwei Erwachsene spielen Fangen. Sie jagen und verstecken sich, prustend und lachend, voller Lebensfreude. Die Sonne scheint, im Hintergrund blitzt das Meer, aber noch ist Vorsaison und nicht viel los in der Ferienanlage auf der spanischen Insel, wo die beiden, ein junger Mann und eine nicht viel ältere Frau, arbeiten. Man könnte glauben, dass es sich bei Toni und Bruno um ein junges, verliebtes Paar handelt, so selbstverständlich wirkt ihre Vertrautheit miteinander, so groß scheint auch die Freude am Zusammensein.

Regisseur und Drehbuchautor André Szardenings inszeniert das in den ersten Szenen seines Debütfilms „Bulldog“ durchaus mit Kalkül. Die Zuschauer:innen sollen überrascht sein, wenn sie erfahren, dass es sich bei den beiden eben nicht um ein Liebespaar, sondern um Mutter und Sohn handelt. „Ich war 15, als ich ihn hatte“, überhört man an einer Stelle Toni ihrer neuen Bekanntschaft Hannah erzählen. Die Kamera nimmt dabei die Perspektive von Bruno ein, der den Satz als unbemerkter Dritter vom Flur aus erlauscht, gerade als er nach Hause kommt. Für den 21-Jährigen beinhaltet der Satz keine Neuigkeit; das sichtliche Unwohlsein, mit dem er darauf reagiert, dass seine Mutter mit jemand anderen über ihn spricht, rührt von etwas anderem her.

Szardenings schildert die Mutter-Sohn-Beziehung ohne das sonst oft übliche Kokettieren mit dem Inzest-Tabu. Es ist keine wie auch immer unterdrückte sexuelle Anziehung, die Bruno und Toni so eng aneinander bindet; es ist etwas, das schwieriger zu kategorisieren und chaotischer ist. Einerseits benehmen sie sich wie kleine Geschwisterkinder, wenn sie sich necken, in den Arm nehmen und in einem Bett nebeneinander schlafen. Andererseits gibt es auch eine große gegenseitige Fürsorge. Aber schon bevor mit Hannah eine störende dritte Person auftaucht, lassen sich Risse im Bild des gut aufeinander eingespielten Mutter-Sohn-Teams erkennen.

Das wird deutlich in den Szenen, in denen man Bruno alleine agieren sieht. Der lockere Kontakt zu anderen fällt dem kräftigen, gut aussehenden jungen Mann leicht. Als ihm für die neue „House-Keeping“-Schicht eine andere Partnerin zugeteilt wird, unterhält er sich mit ihr in jovialer Mühelosigkeit. Doch dann taucht bald schon wieder die Mutter auf und behauptet, mit dem Verwalter verabredet zu haben, dass sie doch wieder mit dem Sohn ein Team bilden könne, und schickt die junge Frau weg. Bruno weiß, dass seine Mutter sehr wahrscheinlich lügt und gar nichts abgesprochen hat. Aber er hält seinen Ärger noch zurück, auch weil ihn die lockere Art, mit der Toni den Job angeht, immer wieder einnimmt. Toni besteht darauf, das Leben zu genießen und sich nicht unnötig zu stressen. Ruhig mal ein Zigarettenpäuschen einlegen, wenn gerade keiner so genau hinguckt, und auf keinen Fall zu viel arbeiten. Man entdeckt als Zuschauer:in nach und nach, dass entgegen den herkömmlichen Familienklischees hier nicht die Mutter den strengen, erzieherischen Part einnimmt. Vielmehr ist es der Sohn, der seine Mutter zu Anfang noch schüchtern, im Lauf des Films aber mit immer mehr Nachdruck anmahnt, auf andere Rücksicht zu nehmen und geltende Regeln einzuhalten. Sie gefährde damit schließlich nicht nur ihren Job, sondern auch seinen – und damit ihr Zusammenleben.

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Deshalb ist es auch nicht die reine Eifersucht, die Bruno anfällt, als mit Hannah eine dritte Person die Dyade zwischen Mutter und Sohn aufzubrechen droht. Szardenings setzt seine Reaktion zunächst als territoriale Verteidigung in Szene: Als Bruno einmal spät von einer Arbeitsschicht heimkommt, findet er die beiden Frauen schlafend im Doppelbett. Als wäre er ein kleiner Junge, der schlecht geträumt hat, drängt er sich zwischen die beiden, um dann den Bettenteil, in dem Hannah schläft, noch ein Stück von sich und der Mutter wegzurücken. „Echt jetzt?“, kommentiert die aufwachende Hannah sein Verhalten. In der folgenden Auseinandersetzung besteht Bruno recht hilflos darauf, dass der Platz an der Seite seiner Mutter „seiner“ sei.

Im ganzen Film dominiert das Gefühl von Enge. Die Kamera bleibt immer nah dran an den Figuren, folgt ihnen, schaut ihnen über die Schulter. Außer ab und zu einem Blick zum Meer hin gibt es keine Schwenks über Landschaften oder Locations. Genausowenig hält sich der Film mit der Vorgeschichte seiner Figuren oder deren Hintergrund auf. Wie und wo haben Toni und Bruno ihr bisheriges Leben verbracht? Antworten darauf finden sich reduziert auf eingestreute Bemerkungen des Verwalters Andreas, der Toni einmal vorhält, sich bei anderen Hotels der Insel erkundigt zu haben – fast überall habe man sie rausgeworfen.

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Was man über Hannah erfährt, ist noch eingeschränkter. Ihre Figur ist bald auch weniger durch die Beziehung zu Toni definiert, denn als Katalysator für Bruno. Als Toni mal wieder mehr aus schlechter Laune denn aus schlechtem Befinden heraus nicht zur Arbeit gehen will, springt Hannah ein. Und Bruno erlebt mit Erstaunen, wie sehr sich die Dinge vereinfachen, wenn man mit jemand zusammen arbeitet, der seinen Teil zuverlässig und selbstständig erledigt – und eben nicht ständig Pausen einlegt und trödelt. Als Hannah ihn dabei unterstützt, ein altes Auto wieder zum Laufen zu bringen, merkt er außerdem, wie gut es tut, Komplimente und Bestätigung von außen zu bekommen. Entgegen dem ersten Eindruck, dass Hannah ihn an der Seite der Mutter verdrängt, passiert etwas ganz anderes – Hannah ermöglicht ihm einen distanzierteren Blick auf die Mutter und darauf, welchen Einfluss diese auf sein Leben hat.

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Ein letztes Mal noch springt Bruno für Toni in die Bresche, indem er auf Andreas‘ schmieriges Angebot eingeht, im Tausch für Sex mit ihm den Rausschmiss der Mutter rückgängig zu machen. Ein Deal, den wiederum Toni in der Rolle der Beschützerin ihres Sohnes sprengt. Im folgenden Chaos müssen beide entdecken, dass ihre Art ausschließlich füreinander zu leben, nicht mehr lange gut gehen kann.

Zu einem besonderen Filmerlebnis wird „Bulldog“ nicht nur wegen des herausragenden Spiels von Julius Nitschkoff als Bruno, der seine Figur auf packende Weise zwischen Hilflosigkeit und Frühreife, zwischen pubertierenden Instinkten und wachsendem Verantwortungsbewusstsein anlegt. Sondern auch wegen eines Drehbuchs, das ohne Klischees auskommt und von Brunos Coming-of-Age in Nuancen und überraschenden Widersprüchen erzählt.




Bulldog
von André Szardenings
DE/ES 2022, 95 Minuten, FSK 12,
deutsche OF

Ab 2. Februar im Kino

 

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