Dream Boat
Trailer
Acht Tage Kreuzfahrt mit 3.000 schwulen Männern aus 89 Nationen. Und Tristan Ferland Milewski war mit Kameras dabei. Für viele eine schreckliche Idee, für Anwesende eine große Party oder permanente Überforderung, für die Augen ein Fest, für den Filmemacher der Ansporn, hinter die oberflächliche Fassade des Glad-to-be-gay-Tourismus unter maximal reibungsfreien Bedingungen zu schauen. Ein Hoch auf die schwule Seefahrt. Oder sowas Ähnliches.
Die schwimmende Pornotopie
von Jan Künemund
Was „Cruising“ im erotischen Kontext meint, wissen wir. Was die „Cruise“ für urlaubsreife Menschen bedeutet, die entweder nicht mehr so gut zu Fuß sind oder aus anderen Gründen den Aufwand, vom touristischen A nach B zu kommen, minimieren wollen, wissen wir auch. Dass das sexuell motivierte Umeinanderkreisen von schwulen Männern durchaus etwas mit der maritimen Kreuzfahrt zu tun hat, deutet der Ursprung des Begriffs „Cruising“ in der englischen Seefahrersprache schon an. So eigentlich von A nach B zu kommen, ist sowohl den Kreuzfahrtpassagieren wie den Sexsuchern ziemlich egal, die Lust entsteht im Umherschweifen oder eben -schippern.
Dass es seit vielen Jahren spezialisierte Angebote von Kreuzfahrten für schwule Männer gibt, liegt also auf der sonnengeschützten Hand. Trotzdem dürfte die Idee, mit 2.999 anderen schwulen Männern irgendwo zwischen Lissabon und Gran Canaria zu kreuzen, ohne sich auf festen Grund retten zu können, für viele immer noch eine merkwürdige Idee sein. Die ja auch, wenn man die Sonnenbrille kurz absetzt, interessante Phänomene sichtbar werden lässt: in den heteronormativ organisierten touristischen Zwischenstopps kann man dann mit Senior_innen Madeirawein trinken und Fischmärkte besuchen gehen und ist für die lokalen Anbieter Kreuzfahrtbusiness-as-usual; an Bord, einer einzigen großen geschützten Spielwiese, gibt es dann nochmal Unterteilungen von Sonnendecksex und althergebrachten Dark Rooms im Schiffsbauch. Cruisecruising.
Haben sich die Piraten des siebzehnten Jahrhunderts in eheähnlichen Gemeinschaften zusammengefunden (man streitet sich kulturwissenschaftlich noch, ob aus Frauenmangel oder weil alle Schwulen und Lesben sich nach Möglichkeit auf See der Sozialkontrolle und Todesstrafe entzogen haben), findet sich die internationale finanzkräftige Schwulenszene heutzutage in zeitgemäßer Form in einem schwimmenden Safe Space wieder, in der die Auseinandersetzung mit der heteronormativen Umwelt Urlaubspause hat. Hedonisten, Romantiker, Rollengestresste, Straight-Acter, Paare und Singles haben einen schweren Koffer gepackt, mit bemerkenswert wenig Oberbekleidung (die wird nach dem Begrüßungssekt irrelevant), dafür mit Motto-Party-Ausstattung: Nationalflaggen (für das Welcome-Event „Woher kommst du?“), Fetischaccessoires, Fummel, weißes und Neon-Outfit, Superheldenkostüme. Getanzt wird schon vor dem Ablegen. Der Kapitän gibt seiner Crew die Anweisung: „Let’s take the Boys to Sea!“
Mit an Bord ist das Team des Filmemachers Tristan Ferland Milewski, ausgestattet mit Geld eines TV-Produzenten, von ZDF und Arte (ihre Credits laufen am Anfang rechts durchs Bild, während links die Reinigungskraft Kondome und Gleitgel auf die Kabinenbetten legt). Ein normativer Mainstreamblick in eine exotische Welt wird das also, denkt man. Doch Milewski filmt auch von „innen“ – die Kamera wird das Schiff in 90 Minuten nicht mehr verlassen, nur ein paar Drohnen sorgen zwischendurch vom Deck aus für schicke Vogelperspektiven aufs Schiff, alle Safe-Space-Urlauber wissen Bescheid und sind wissentlich im Bild. Eine „Pornotopie“ nennt der Philosoph Paul B. Preciado das, ein medial vermitteltes alternatives Begehren im heteronormativen Raum. Und der Film, als Teil des Ganzen, kommt denen ziemlich nah, die sie betreten.
Pornotopie Traumschiff. Es geht nämlich durchaus um Träume, um Sehnsüchte und Hoffnungen, neben den Sicherheiten. Bewusst setzt der synthetische Streicher- und Marimba-Soundtrack Melodram- und Märchensignale, der Titel „Dream Boat“ flimmert verheißungsvoll, die Sonne scheint – und wir sehen einen nackten Arsch in der Dusche. Der gehört Marek, einem der sechs Protagonisten des Films. Am Körper des jungen Fitnesstrainers ist nichts zu mäkeln, aber er ist eher der Romantiker und mag kein Frischfleisch sein. Er hat die Single-Passage gebucht und wird von den Veranstaltern per Matching-Prinzip mit einem anderen, ebenso attraktiven Single in einer engen Kabine untergebracht. Wenn beide, mittlerweile offensichtlich befreundet, gegen Ende des Films stöhnen, sie hätten an Bord noch gar keine Sexgelegenheit gehabt, reibt man sich aus der Alltags-Stubenhocker-Perspektive die Augen.
Marek steht gleich bei der ersten der sieben Motto-Partys (in acht Tagen) vor einer Herausforderung: „Zeig deine Nationalität!“ Er kommt aus Polen, ist aber mit zwanzig nach England ausgewandert. Er nimmt‘s spielerisch: die polnische Nationalflagge wickelt er sich als Gehrock um die Badehose. Dipankar hüllt sich in die Flagge Indiens, obwohl er in Dubai lebt, geoutet ist er weder da noch dort. Ramzi hat wegen seines Schwulseins aus Rücksicht auf seine Familie Palästina verlassen und lebt jetzt in Belgien. Seine Lösung: Gürtel und Kopftuch im Palästinensermuster, eine Schärpe in den belgischen Nationalfarben. Philippe und Denys, ein schwules Paar aus Frankreich, haben es nicht so mit Flaggen – Philippe klemmt sich ein Mireille-Matthieu-Cover zwischen die Hosenträger. Später kommt noch der Wiener Fotograf Martin in den Film, sein selbstbewusster Hedonismus ist international. Die Motto-Party-Vorgabe erscheint angesichts des 89 Nationen verbindenden Begehrens ohnehin schräg, deutet aber auch an, dass die Kreuzfahrer nicht blank aufs Schiff kommen, sondern die Zurichtungen ihres Alltags mitbringen. Und das Interesse des Films ist dann wiederum, genau in der Reibung von spaßiger Nationen-Show und konkreten Migrationserfahrungen eins seiner wichtigsten Themen zu finden.
Für diese wichtigen Themen innerhalb des Schwulenszenenmikrokosmos an Bord hat „Dream Boat“ eine bestimmte Einstellung im Angebot: die Kamera fährt immer wieder in Zeitlupe durch ein Spalier von posenden Sonnendeckkörpern, schaut in Gesichter und hört Stimmen, die von Diskriminierungen erzählen – sortiert nach Herkunft, Alter, Maskulinitätsidealen, HIV-Status. Lauter Sehnsüchte und Hoffnungen auch hier. Und das deutliche Statement, dass es auch nach dem Outing und dem Betreten der Szene (egal, ob sie im Netz, auf dem Land oder auf See situiert ist) noch genug Potenziale für Verletzungen gibt.
Philippe ist älter als die anderen Protagonisten. Und er sitzt im Rollstuhl, seit er 28 ist. Ein Bild seines jungen sportiven Körpers aus der Zeit davor führt er mit sich. Natürlich ist das schlimm, natürlich hat er Angst, verletzt zu werden. Er bekommt viele „free hugs“ an Bord, aber ins Bett würde natürlich keiner mit ihm wollen, weiß er. Aber er hat auch eine gute Perspektive: er bewegt sich auf Badehosenhöhe über das Sonnendeck, und der Film macht es ihm oft nach – Push-Up-Shorts, wohin der Blick cruist (das freut vielleicht auch das deutsche Fernsehen).
Ramzi hätte beinahe seinen Traummann (er ist mit an Bord) durch dessen Krebserkrankung verloren. Martin hat HIV. Logische Schlussfolgerung: das Leben genießen, solange es geht. Damit wiederum haben Marek und Dipankar Probleme. Letzterer fühlt sich angesichts der zwei einzigen wichtigen Grundvoraussetzungen der schwulen Kreuzfahrer im Nachtreffen: keinen tollen Arsch, keinen großen Schwanz. Zwischendurch macht man sich Sorgen um ihn – er ist deprimiert, schließt sich in der Kabine ein, die Drag-Motto-Party skippt er. Da schickt der Film ihm Marek, seinen anderen Protagonisten, vorbei, um ihn ein bisschen aufzumuntern. Ein bisschen Drama kann nicht schaden, das weiß auch der Soundtrack.
Überhaupt: Marek ist ein großes Geschenk für den Film. Er ist rein optisch der idealtypische Cruiser, ein Posterboy für die Veranstaltung, und darin so austauschbar wie mindestens 1.000 andere Passagiere. Aber für den Film redet er über Einsamkeit, das erträumte „ganz normale Leben“, den Traummann, der hinter die Körperfassade zu schauen vermag. Und dann weint er auch noch. Aber der Film schaut gerne und mit Gewinn hinter die Körperfassade. Denn wenn Marek nicht mehr weint, lässt er seiner Genervtheit freien Lauf und hat am Ende – ohne Sex – einen tollen Urlaub. Eine fotogene, gut dokumentierte persönliche Reise in acht Tagen.
„Dream Boat“ macht vieles richtig in der Inszenierung einer schwulen Szene für das TV-Außen, ohne seine Protagonisten vorzuführen. Etwas zu gut gemeint und dann doch eher den normativen Dokumentations-Standards gehorchend, erzählt er aber jede persönliche Geschichte noch über den Cruising-Trip hinaus zu Ende: Dipankar hat sich geoutet, Ramzi ist LGBT-Aktivist, Marek hat einen festen Freund, Philippe geht jetzt an Krücken, Martin bereitet eine Foto-Ausstellung vor. Und da tut der Film so, als sei die Reise für die diversen Wunderheilungen verantwortlich. Und als hätte er das alles mit der Kamera zufällig dokumentiert. Aber sein ambivalentes Bild von Community, sein Blick hinter die Motto-Party des glücklichen Schwulseins, seine solidarische Haltung den Sehnsüchten seiner Helden gegenüber, ist schön mitanzusehen. Die Grenze des Blicks ist vielleicht der Sex, von dem man in „Dream Boat“ nicht viel sieht. Da reicht ihm ein Bild von Reinigungskräften, die während der After-Partys die benutzten Kondome aufsammeln. Und da spürt man die spitzen Finger wieder, mit dem der Mainstream diese Themen anfasst und auswählt. Um andere Bilder zu sehen, muss man dann doch eben selbst auf die hohe See hinaus und nicht nur mit den Augen cruisen.
Dream Boat
von Tristan Ferland Milewski
DE 2017, 90 Minuten, FSK 16,
deutsche OF, z.T. deutsche UT
Real Fiction