Bis ans Ende der Nacht

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Um das Vertrauen eines Großdealers zu gewinnen, soll sich der verdeckte Ermittler Robert als Partner von trans Frau Leni ins Milieu einschleusen lassen. Eine komplizierte Angelegenheit, denn er und Leni waren früher wirklich mal ein Paar. Für Robert verschiebt sich im Laufe des Einsatzes die Linie zwischen Spiel und echten Gefühlen immer mehr; für Leni hängt von der Mission ab, ob sie wieder zurück ins Gefängnis muss. Christoph Hochhäuslers neuer Großstadt-Thriller „Bis ans Ende der Nacht“ feierte Weltpremiere im Wettbewerb der Berlinale, Leni-Darstellerin Thea Ehre wurde mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. Doch für Philipp Stadelmaier klafft in der sehr offensichtlichen und visuell exzellenten Fassbinder-Hommage zwischen Genreerzählung und Beziehungsgeschichte eine Lücke.

Foto: Grandfilm

Eine Liebe so wie du

von Philipp Stadelmaier

Da ist von Anfang an dieses Gefühl der Distanziertheit. Eine leere Wohnung wird gestrichen und eingerichtet, von im Zeitraffer verwischenden Gestalten. Da ist die Bühne, weiß grundiert. Die Figuren werden auf sie einziehen, aber nicht zu Hause sein: Sie werden nur spielen, dass sie ein Paar sind, für sich und andere, diese beiden verdeckten Ermittler:innen des Films, Robert (Timocin Ziegler) und Leni (Thea Ehre).

Da ist von Anfang an dieses Gefühl der Romantik, aber ebenfalls distanziert, im Hintergrund. Ein alter deutscher Schlager von Heidi Brühl aus dem Jahr 1964, „Eine Liebe so wie du“. Ein schönes Lied. Eine solche Liebe könnte etwas für sie sein, singt die Sängerin, nur leider glaubt die andere Person nicht an die Liebe, tritt sie mit Füßen.

Zwischen diesen Polen, dem Distanzierten und der Romantik, pendelt Christoph Hochhäuslers „Bis ans Ende der Nacht“, für den die trans Schauspielerin Thea Ehre auf der diesjährigen Berlinale mit einem Schauspielpreis ausgezeichnet wurde. Sie verbinden sich nicht wirklich miteinander, wie vieles andere in diesem Film. Andererseits spiegeln sie dadurch die schwierige Beziehung zwischen Robert und Leni, deren gemeinsame Geschichte zu Beginn des Films schon hinter ihnen liegt und uns erst nach und nach enthüllt wird.

Die wegen Drogenhandels verurteilte Leni hat gerade zwei Jahre im Gefängnis abgesessen. Früher waren sie und Robert ein schwules Paar – vor dem Gefängnis und Lenis Transition. Jetzt müssen der schwule Robert und die trans Frau Leni im Zuge einer verdeckten Ermittlung so tun, als seien sie eins. Er arbeitet für die Polizei; ihr wurde für die Kooperation Straferlass versprochen. Anfangs machen sie einen Probelauf auf der Bühne, die ihr Apartment ist: im Beisein von Freund:innen wird Lenis Heimkehr gefeiert und angestoßen, während Robert zur Verstärkung der Glaubwürdigkeit die vermeintliche Partnerin stürmisch küsst. Nachdem die letzten Gäste die Wohnung verlassen haben, will Leni weitermachen, aber Robert nichts mehr davon wissen: „Siehst du hier irgendwo Publikum?“ Die Vorstellung ist zu Ende.

Sie geht bald weiter, auf einer richtigen Bühne, in einem Tanzstudio. Robert und Leni machen einen Kurs, ebenso wie derjenige, dessen Vertrauen sie gewinnen und den sie überführen sollen: Victor Arth (Michael Sideris), ein früherer DJ. Mittlerweile besitzt er einen Nachtclub in Frankfurt sowie eine Website im Darknet, über die im großen Stil Drogen umgeschlagen werden. Ein sympathischer Typ, ebenso wie seine Freundin, mit der er den Tanzkurs besucht, als Paartherapie. Der in rotes oder blaues Licht getauchte Ort wirkt kühl und distanziert, während er eine erneute Gelegenheit bietet, alte deutsche Schlager zu hören und dazu zu tanzen. Eine Parallelwelt, entfernt von der richtigen. Ein Ort, an dem die tanzenden Paare sich voneinander entfernen (wie Victor von seiner Freundin) oder nur noch ein Paar spielen (wie Robert und Leni). Und an dem zwischen den aus ihren Zweierstrukturen gelösten Personen Freundschaften entstehen, die zunächst einem Zweck dienen, gesucht, gewollt und inszeniert sind – durchs Kalkül der Ermittler:innen, aber auch durch den Film. Bis sie später in etwas anderes, ernsthafteres übergehen.

Foto: Grandfilm

Hochhäusler scheint zu sagen, dass Beziehungen, Gefühle, Freundschaften nur über diesen Umweg, diese Distanznahme möglich werden. So auch bei einem gemeinsamen Besuch im Edelrestaurant, das erneut zur Bühne wird. Robert und Leni performen wieder ihre Beziehung und insbesondere die (erfundene) Geschichte ihres Kennenlernens, die sie schon zu Anfang des Films aufgeführt haben. Eine Geschichte aus einem (anderen, fiktiven) Restaurant, in dem Leni gegessen und sich bei Robert, dem Koch, beschwert hat. Die Romantik ist eine Angelegenheit der Zubereitung und der Präsentation, wie bei Gerichten. Die von Reinhold Vorschneider gestalteten Bilder sind kontrastreich und exquisit, ebenso wie zuletzt jene in Nicolette Krebitz‘ „AEIOU – Das schnelle Alphabet der Liebe“ (2022). Gefilmt von oben, von der Seite, zwischen anderen Gästen und Tischen hindurch, dem Publikum und den Kulissen. Es gibt bei Hochhäusler nur diese verschiedenen, oft beliebigen, stets distanzierten Blickwinkel, ein Auftischen und Servieren von Geschichten und Bildern, aber kein Auge, das uns führt.

Genau diese Abwesenheit von Kitt ist ein Problem. Zwischen der Genreerzählung und der Beziehungsgeschichte (vor allem zwischen einem schwulen Mann und einer trans Frau) klafft eine an sich interessante Lücke, die der Film aber nie füllt, außer eben durch visuelle Exzellenz. Mal vergisst er, dass er eine trans Geschichte erzählt, um den Krimi in den Vordergrund zu stellen. Dann sehen wir nächtliche Treffen mit Dealern auf Bolzplätzen, Briefing-Szenen im Kommissariat. Oder der Film vergisst diese Ebene und wird zum Drama, wenn nach einem Streit zwischen Robert und Leni Victor zwischen den beiden vermitteln will. Der Film will nachweislich vieles sein, aber nie vieles auf einmal.

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Es gibt dennoch schöne, gelungene Momente, in denen die Beziehung der Figuren mit der Dynamik der Kamera zusammenfällt. Robert und Leni kommen sich näher, fangen an, miteinander rumzumachen, bis er ihr an den Schwanz fassen will, was sie nicht will und ihn zum ausrasten bringt. Dies alles, während die Kamera wiederholt von links nach rechts fährt. Dieselbe Bewegung, die zur Liebe führt, führt zur Verletzung. Wer liebt, macht sich verletzlich, opfert sich, immer und immer wieder.

In diesen Momenten kommt der Film Rainer Werner Fassbinder am nächsten, an den die Dynamik des Zurückweisens und Verletzens, der Macht und des Begehrens, der Asymmetrie zwischen Liebe und Gegenleistung (Geld, Straferlass) erinnert. Auch die Schlager lassen an Fassbinder denken, bei dem sie einen bunderepublikanischen Gefühlskosmos entfalteten. Bei Hochhäusler bleiben sie fremd und aufgesetzt, reines Zitat.

„Bis ans Ende der Nacht“ erweist insbesondere „In einem Jahr mit 13 Monden“ Hommage, der wie Hochhäuslers Film in Frankfurt spielt und von ihm umgekehrt wird. Elvira Weishaupt (gespielt vom unvergesslichen Volker Spengler) wollte sich für ihre Liebe von einem Mann in eine Frau verwandeln, die Transition ist Teil weniger einer Identität als einer Machtstruktur. Leni hat die Angleichung aus eigenem Willen vollzogen, sogar gegen den Willen ihres ehemaligen Partners. Und auch das Ende der Figuren ist spiegelverkehrt. Wie in François Ozons „Peter von Kant“ bleibt von Fassbinders Welt der Macht und der Verletzung in „Bis ans Ende der Nacht“ nur die Bühne als safe space unserer Identitäten und Beziehungstheater: eine farbkorrigierte, glattpolierte Bildoberfläche, auf der alle Körper, bevor sie übereinander herfallen, markiert werden – in ihren historisch-biographischen (Ozon) oder sozial konstruierten Rollen (Hochhäusler).

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Hochhäuslers Film ist gelebte filmische Diversität: Neben der trans Frau Leni und dem postmigrantisch-schwulen Robert gibt es drei weitere Frauen in zentralen Rollen (darunter eine Polizeichefin) und – nur – einen cis-hetero-Mann (den Gangster). A propos Zuschreibungen beschwert sich letzterer im fürs Drehbuch typisch überexplikativen Tonfall, dass die Leute Namen und Aufkleber bräuchten („ich bin dies, ich bin das“) – ginge es nicht auch ohne? Klarer kann man die Botschaft nicht formulieren, die in diesem Moment selbst zum Aufkleber wird.

In jedem Fall wird versucht, eine nicht-stigmatisierende, möglichst facettenreiche Erfahrung von trans Personen sichtbar zu machen, was möglicherweise auch der trans Beratung des Drehbuchs zu verdanken ist. Jokes über Medikamente („das sind Hormone, die Ibus sind im Bad“) stehen neben Deadnaming (durch die Polizeichefin) und demütigenden Erfahrungen (Robert will Lenis Penis anfassen, was sie nicht will und er ihr zum Vorwurf macht). Auf den letzten Metern feiert der Film das Empowerment der Hauptfigur. Es geht darum, Leni auf jeden Fall nicht zu opfern, bevor Heidi Brühl wieder ihr Lied singt. Die Botschaft des Schlagers, bezogen auf die Figuren des Films, hat sich nun umgekehrt, das Gefühl der Distanziertheit nicht.




Bis ans Ende der Nacht
von Christoph Hochhäusler
DE 2023, 119 Minuten, FSK 12,
deutsche OF

Ab 22. Juni im Kino.