Viet und Nam

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Vietnam 2001. Die jungen Bergleute Viet und Nam lieben sich. Die Kohle umschließt sie, staubig, nass. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Suche nach Nams Vater, der im Krieg verschollen ist, und durchqueren das Land von Norden nach Süden. Trương Minh Quý erzählt in „Viet und Nam“ die Geschichte einer Liebe, die von den Geistern der Vergangenheit begleitet wird – mit Bildern von einer unermesslich poetischen Kraft. Sissy-Autor Andreas Köhnemann ist hingerissen von lauter filmischen Augenblicken, die in den „zukünftigen Kanon der schönsten Momente des queeren Kinos“ gehören.

Bild: Salzgeber

Schulter an Schulter mit dir

von Andreas Köhnemann

„Viet und Nam“ ist ein Film, der vermeintliche Unvereinbarkeiten aufzeigt, um sie dann auf magische Weise zusammenzuführen. Er wähle stets einen Inszenierungsstil, der sich nach den spezifischen Bedürfnissen der jeweiligen Sequenz richte, sagt der Drehbuchautor und Regisseur Trương Minh Quý in einem Interview. So treffen hier Bilder von surrealer Schönheit ganz selbstverständlich auf dokumentarisch anmutende Aufnahmen. Das Ergebnis ist durch und durch sinnliches Kino, das sich keine Grenzen setzt und damit die ideale Form findet, um vom Wunsch nach Befreiung zu erzählen.

Trương Minh Quý stammt aus Buon Ma Thuot, einer Kleinstadt im zentralen Hochland von Vietnam. Er lebt und arbeitet sowohl in seinem Geburtsland als auch in Belgien und Frankreich. In „Viet und Nam“ habe er sich mit den Themen Heimat und Exil beschäftigen wollen, sagt er. Es geht in seinem Film um das Trauma, das der 20 Jahre umfassende Vietnamkrieg bei den Hinterbliebenen verursacht hat. Und zugleich geht es um die Hoffnung auf eine Zukunft, die nicht länger von den Schrecken der Vergangenheit heimgesucht wird.

Der Film spielt im Jahr 2001. Die jungen Männer Viet und Nam arbeiten unter Tage im Kohlebergbau und führen ein Leben, das kaum Freizeit zulässt. In der Auftaktsequenz herrscht zunächst völlige Finsternis. Erst allmählich schälen sich die Körper von Viet und Nam aus der Dunkelheit heraus. Die beiden schmiegen sich eng aneinander. Nam spricht in einem ruhigen Tonfall von seinen Ängsten. In aller Stille kommt es zu zärtlichen Berührungen zwischen den zwei Männern, bis aus der Ferne eine Glocke schrillt und den Arbeitsalltag einläutet. Das Träumerische geht über ins Reale – ohne einen harten Bruch, sondern verblüffend organisch.

In seinem Wechselspiel von Poesie und Wirklichkeitsnähe erinnert „Viet und Nam“ an das Werk von Apichatpong Weerasethakul, insbesondere an den modernen queeren Klassiker „Tropical Malady“ (2004). Denn auch darin erscheint es niemals als Widerspruch, dass das Alltägliche und das Mystische, Fantastische, Überhöhte, Romantische neben-, mit- und ineinander existieren. Ohnehin ist der Film von Trương Minh Quý von einer leidenschaftlichen Liebe zum Kino durchdrungen. Raffiniert gelegte Spuren von Alain Resnais’ „Hiroshima, mon amour“ (1959) oder von Ingmar Bergmans „Persona“ (1966) lassen sich entdecken – etwa in der Art, wie die Inszenierung uns über Identität(en) nachdenken lässt, wie Schnitte erfolgen oder wie unser Empfinden von Zeit infrage gestellt wird.

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Doch Trương Minh Quý reiht nicht einfach Zitate aneinander. Vielmehr vermittelt er uns, wie filmische Eindrücke unsere Weltsicht, unseren Blick auf die eigene Umgebung, aber auch auf das Fremde bestimmen. Er entwickelt aus all seinen künstlerischen Inspirationen eine faszinierende Handschrift, ohne Interesse an Eindeutigkeit. Produktionen aus Hollywood, europäisches Arthouse-Kino, Meisterwerke aus Thailand, vietnamesische Propagandafilme aus den 1980er Jahren: In allem erkennt der Autor und Regisseur Elemente, die sein persönliches Leben und Erleben geprägt haben und die konsequenterweise den Kosmos bilden, in dem „Viet und Nam“ spielt.

Der Film ist eine schwule Romanze, ein Familiendrama, eine historische und geografische Studie, ein Roadmovie, eine Fluchtgeschichte, ein dunkles Märchen – mit Passagen, die in ihrer Wucht und Pracht, in ihrer Sensibilität und Feinheit wiederum das Zeug haben, künftige Filme und Generationen ebenso zu beeinflussen, wie besagte Meisterwerke auf Trương Minh Quý eingewirkt haben. Wenn die zwei titelgebenden Helden Sex auf einem Kohleberg tief unter der Erde haben, ist das ein erotischer Kinomoment für die Ewigkeit: düster, bezaubernd und einzigartig.

Dass Viet und Nam ineinander verliebt sind, wird nicht als Tragödie erzählt. Die beiden verheimlichen ihre innige Beziehung zueinander in der Öffentlichkeit, doch sie leiden nicht unentwegt unter dem Versteckspiel. Nams Mutter Hoa geht erstaunlich unbekümmert mit der Liebe ihres Sohnes zu dessen Arbeitskollegen um. „Bring ihn öfter mit nach Hause“, sagt sie sanft zu Nam. Unter dem Esstisch halten die zwei Männer kurz ihre Hände, wie zwei schüchterne Teenager. Als sie später zusammen in einem Restaurant sitzen, vereinbaren sie, sich als Geschwister auszugeben, falls jemand sie ansprechen sollte: „Lass mich heute dein großer Bruder sein.“ Im Hintergrund läuft der melancholische Song „Ôi Tình Yêu“ von Anh Tú, in dem die glückliche Zweisamkeit, Schulter an Schulter, sehnsüchtig besungen wird. Noch so ein unvergleichlicher filmischer Augenblick, der in den zukünftigen Kanon der schönsten Momente des queeren Kinos gehört.

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Über allem, der Liebe und dem Alltag, schwebt der Geist der Vergangenheit. Nams Vater ist einer der vielen Männer, die im Krieg verschollen sind. Er musste seine Ehefrau verlassen, ehe diese ihm sagen konnte, dass sie ein Kind von ihm bekommen wird. Hoa begegnet ihrem Gatten seither in ihren Träumen wieder. Und auch Nam fühlt sich mit seinem unbekannten Vater verbunden. Er spricht mit ihm: „Manchmal stelle ich mir vor, du kämst zurück.“ Er stellt ihm Fragen. Und er sieht ihn überall – sogar kurz vor dem Orgasmus, wie er Viet nach dem Sex freimütig gesteht. Ein gesichtsloser Mann in Soldatenuniform erscheine ihm dann vor dem inneren Auge. Wenn er Viet anschaue, könne er sich das Gesicht seines Vaters leichter vorstellen. „Das klingt komisch“, entgegnet Viet. Aber die beiden müssen nichts voreinander geheim halten; zwischen ihnen herrscht absolute Vertrautheit, etwas Symbiotisches, das nicht beschädigt werden kann, auch nicht durch komische Geständnisse.

Gemeinsam begibt sich das Paar auf eine Reise durch das Land, um nachvollziehen zu können, an welchen Orten sich Nams Vater während des Krieges aufgehalten hat. Ein Veteran begleitet sie. Auch eine Hellseherin taucht auf, die Familienangehörigen dabei hilft, den Toten zu huldigen. Parallel zu diesen Bewegungen zurück in die Vergangenheit wächst in Nam immer mehr der Drang nach einem Neuanfang, fernab seines Heimatlandes. Ein Schiffscontainer soll ihn übers Meer in die Freiheit befördern. Ganz am Schluss des Films scheint sich dieser Wunsch zu erfüllen – abermals in maximaler Ambivalenz, zwischen romantischem Happy End und der Ahnung einer Katastrophe, die an echte Schreckensmeldungen erinnert.

In seinen 16mm-Aufnahmen entlockt „Viet und Nam“ dem Unterirdischen etwas überirdisch Heilsames. Er verwandelt Kohlenstaub in etwas Erhabenes, schafft schlüssige Verbindungen zwischen Erotik und Trauerbewältigung. Dieser Film lässt uns durch seinen Wagemut und seine Kreativität auf Erlösung hoffen, auch wenn alle Umstände laut dagegensprechen. Er ist ein Befreiungsschlag mit den Mitteln des Kinos.




Viet und Nam
von Trương Minh Quý
VI, FR, CH, LIE, 2025, 129 Minuten, FSK 12,
vietnamesische OF mit deutschen UT

Im August in der Queerfilmnacht. Ab 4. September im Kino