The Whisper of the Jaguar

TrailerKino

Als Queer-Punk-Movie haben Thais Guisasola und Simon(e) Jaikiriuma Paetau „The Whisper of the Jaguar“ konzipert, als vielfältig überlagerte filmische Reise aus normativen Zuständen in ein ego-loses Bewusstsein. Wie in Apichatpong Weerasethakuls „Tropical Malady“ verflüchtigen sich hier rauschhaft feste Identitäten, doch die Verwandlungen werden als Projekt behauptet und gelingen den Hauptfiguren nur bedingt. Als Erzählung, performatives Spiel und poetische Bilderfolge vermisst der ungewöhnliche Film, der ab dem 4. Oktober selbst durch deutsche Kinos reist, Möglichkeiten und Gesten des Widerstands in einer zugerichteten und gewalttätigen Welt.

Foto: Tails International / Giovanna Pezzo

Das heilsame Gift eines wütenden Froschs

von Jan Künemund

Ein nicht-genderkonform gekleideter und geschminkter Mensch steht in einem Maisfeld, schält einen Kolben aus seinen Blättern, streift ihm ein Kondom über, steckt ihn sich erst in den Mund, dann scheinbar in den Arsch, wirft ihn anschließend ins Feld. Gerade, als er diese Handlung wiederholen will, hört er einen Schuss und flüchtet. Im Off wird seine Geschichte weitererzählt: Er wird stolpern, sich den Kopf an einem Stein aufschlagen, sterben. Seine Performance war als Widerstandsgeste gegen die genmanipulierte Mais-Monokultur gedacht.

Das Erklären und Weitererzählen hat die Schwester übernommen, Ana, die auf den Spuren ihres Bruders, später sagt sie: ihrer Schwester, durchs Amazonasgebiet reist. Ihre Beweggründe sind nicht ganz klar: Will sie seine/ihre Geschichte rekonstruieren, ihm/ihr posthum näher kommen, seine/ihre Bewegungen imitieren, seine/ihre Geschichte wiederholen, sein/ihr Wissen erwerben, ihn/sie nicht für immer verlieren? Ana ist ein Punk-Girl aus der Großstadt, ihren Rollkoffer wird sie auf ihrer Reise zurücklassen, wahrscheinlich auch die Urne, in der sie mutmaßlich die Überreste von Sebastian*e trägt, um – auch im Auftrag der gemeinsamen Mutter, der sie hin und wieder telefonisch berichtet – für sie einen passenden Ort zu finden. So ganz genau wird das in „The Whisper of the Jaguar“ nicht erzählt, obwohl der Film uns über Anas Stimme aus dem Off immer wieder wortreiche Interpretationsansätze an die Hand gibt: über das Wissen, das in Pflanzen steckt und durch die transgenetische Veränderung  verloren geht, über die Biodiversität des amazonischen Lebensraums, die durch industrielle Landwirtschaft zerstört wird, über Widerstand und Entwurzelung, welche als produktives Wissen in queerer Ahn*innenenschaft weitergegeben werden kann, denn, so laufen die wichtigsten Fäden in diesem Road Movie motivisch zusammen: Widerstand gegen die Gleichförmigkeit meint Widerstand gegen Monokultur und Hetero- wie Homonormativität gleichermaßen. Dafür stehen die Performances von Sebastian*e, die Ana, auf seinen Spuren reisend, auf dem Handy abspielt (das auch irgendwann verloren geht).

Foto: Tails International / Giovanna Pezzo

Road Movies sind filmische Krisentexte. Sie bilden Bewegungen aus einer instabil oder repressiven Ausgangssituation heraus nach, zeichnen Bewusstseins- und räumliche Veränderungen von Figuren auf, führen am Ende in einen neuen, besseren, wieder stabilen Zustand. Anas Reise führt aus der verlorenen Einheit mit dem geschwisterlichen Gegenüber allerdings zu einem Selbstbewusstsein, das sich traut, sich selbst verloren zu gehen. Auf der Erzählebene wird das in „The Whisper of the Jaguar“ in den vielen Begegnungen und Situationen gespiegelt, mit denen Ana auf ihrer Reise konfrontiert wird: Menschen mit esoterischen Konzepten, schamanistischen Angeboten gegen den kapitalistischen Ausverkauf, Orte, an denen sich Urwald und Wildnis gegen ihre Inbesitznahme wehren. Auf der Bildebene stürzen diese Konzepte für Ana durcheinander, die ohnehin gegenüber jedem binären Entweder-Oder skeptisch scheint: Da kaufen Nachfahren der indigenen Bevölkerung Kultgegenstände im Souvenirshop und bezahlen mit Kreditkarte, da kreuzt ein Highspeed-Boot das vorher so beschaulich authentisch durchs Bild ziehende Kanu, da steht ein majestätischer weißer Reiher in einer Markthalle, die legendäre Bewusstseinsdroge Ayahuasca, das mythische „Yage“ der Beatniks, wird aus Espressotassen getrunken und Menschen tanzen Samba in einem italienischen Restaurant. In diesem Road Movie führt kein Weg von A nach B, sondern es läuft irgendwann die Grenze zwischen A und B durch die Hauptfigur, die dann auch folgerichtig in einem der letzten Bilder auf einem staubigen Pfad zwischen Genmaisfeld und Urwald steht.

Foto: Tails International / Giovanna Pezzo

Die beiden Filmemacher*innen, Thais Guisasola und Simon(e) Jaikiriuma Paetau, spielen selbst die Hauptrollen. Sie arbeiten mit einem aus dem englischen Ursprungskontext entwurzelten Queer-Begriff, den sie „kuir“ nennen, um ihn nach einer langen Geschichte der zunehmenden westlich-weiß-schwul-männlichen-cis-Belegung selbst zu queeren. Ihr Film ist kaleidoskopisch aufgebaut, orientiert sich zwar an Anas linearer Reisebewegung (durch einen meist gefährlichen, gewalttätigen, heteronormativen Außenraum), überlagert diese aber immer wieder mit Visionen und Erinnerungsbildern, performativ überhöhten Tanzeinlagen, Bild-Ton-Scheren (Türenknarzen im Urwald), verlorengehenden Erzählfäden und isolierten poetischen Bildern, die nicht unbedingt an Anas Bewusstsein rückzukoppeln sind. Das hybride Setting, durch das die Reise führt, macht kein Angebot zum Zurück-zur-Natur, behauptet keine verlorene und wiederauffindbare Authentizität, sondern funktioniert als eminent filmischer Raum, durch den Politik, Industrie, Begriffe, Wissen und Bewusstsein überkreuz gelegt sind. Das ist mal unmittelbar anschaulich, manchmal scheinen aber auch überdeutlich postkoloniale Konzepte und Lektüren hindurch, deren Bedeutungsmaschinen etwas kraftmeierisch und ungelenk über den Bildern liegen: da wird eine lesbische Sexorgie als Hommage an die durch Ehemänner, Kolonisation und Diktatur verhinderte Lust der Frauen in Anas Familie verklausuliert, die statuarische Schönheit von Ana als Wiedergutmachung des Bodyshamings der indigenen Bevölkerung inszeniert, der titelgebende Jaguar kommt weniger als queeres Rollenangebot für Sebastian*e, sondern als gefährdeter „Herrscher über die Biodiversität“ ins Spiel.

Foto: Tails International / Giovanna Pezzo

Worum es geht, wird irgendwann sehr (sehr) deutlich: widerständiges Wissen zu erlangen und zu verkörpern, eine nicht-egobestimmte Position zu finden, die sich dem großen Entweder-Oder der normativen Welt verweigert. Sebastiane*s Aktivismus (als performatives Role-Model) soll wie das Gift Kambô wirken, das ein kleiner phosphoreszierender Frosch absondert, wenn er wütend ist, das für Menschen tödlich sein kann, in kleinen Portionen aber heilsam ist (und durch die Pharmaindustrie bereits für den kapitalistischen Markt kommodifiziert wird).

Aber genau hier dosiert der Film sein eigenes Gegengift in der skeptischen Haltung von Ana, die dann doch lieber wieder in der Großstadt eine Punkband gründen will, anstatt Schamanin oder Dschungelführerin zu werden. In einem seiner schönen selbstironischen Momente lässt der Film Ana zu ihrem Bruder sagen: Ich wünschte, du wärst ein Jaguar – aber du gleichst halt doch mehr einer Pussy-Cat. Und ihr gemeinsames Gelächter hört sich dabei viel beweglicher an als das bedeutungsraunende Wispern des Jaguars, das der Film über seine anderen Bilder legt.




The Whisper of the Jaguar
von Thais Guisasola & Simon(e) Jaikiriuma Paetau
DE/CO/BR 2018, 79 Minuten, FSK 12,
portugiesische OF mit deutschen UT,
Tails International

Ab 4. September hier im Kino.

 

↑ nach oben