The Garden

TrailerDVD / VoD

Derek Jarmans „The Garden“ (1990) ist ein subjektiver, höchst sinnlicher Strom von Bildern, der kühn die Möglichkeiten des Kinos austestet. Der Experimentalfilm kommt ohne Dialoge aus, lyrische Erzählstimmen und ein betörender Soundtrack von Simon Fisher-Turner bestimmen die Tonspur, über allem schwebt eine madonnenhafte Tilda Swinton. Jarman, der 1994 an den Folgen von Aids starb, verhandelt in dem Film nicht nur die eigene Sterblichkeit, er klagt auch wütend das repressive Klima gegen Schwule und Lesben unter der Regierung Margaret Thatchers in der Hoch-Zeit der Aids-Krise an – und hinterfragt kritisch die Rolle der katholischen Kirche in der Jahrhundert-langen Homosexuellen-Verfolgung. Knapp 30 Jahre nach seiner Uraufführung wurde Jarmans visionäres Meisterwerk vom British Film Institute digital restauriert und erscheint in dieser Fassung jetzt erstmals auch in Deutschland als DVD und VoD. Andreas Köhnemann über ein zeitloses Manifest queeren, filmischen Widerstandes.

Foto: Liam Daniel / Basilisk Communications / Edition Salzgeber

Gegen die Kälte

von Andreas Köhnemann

Wut und Hoffnung, davon wurde er angetrieben. Jeder Einstellung aus dem Experimentalfilm „The Garden“ ist diese zwiespältige Haltung zum Leben und zu der Zeit, in der dieses Leben sich entfaltete beziehungsweise an der Entfaltung gehindert wurde, anzumerken. Der britische Regisseur Derek Jarman (1942-1994) setzt sich in seinem achten Langfilm aus dem Jahr 1990 selbst als unruhig Träumenden sowie als hingebungsvollen Gärtner in Szene. Mal hat er seinen Kopf auf ein Buch auf dem Schreibtisch gebettet und wird kurz aus dem Schlaf gerissen, mal liegt er nackt und sichtlich gequält im Freien in einem Bett, das im Meer steht und von ebenfalls halbnackten Menschen mit Fackeln in den Händen umtanzt wird. Und dann ist er im eigenen, titelgebenden Garten zugange, in Dungeness an der Südostküste Englands in Kent.

Eine „Reise ohne Richtung“ wird uns zu Beginn via Voice-over angekündigt, eine „Suche nach mir“, mit vielen Wegen und vielen Zielen. Zu den wiederkehrenden Motiven dieser Reise, die irgendwo zwischen Albtraum und Vision angesiedelt werden kann, gehört eine sehr queere und in Teilen feministische Umformung biblischer Gestalten. Der Teufel kommt darin als Leather Daddy mit schwarzem Dildo daher; als Apostel sind zwölf ältere, schwarz gekleidete Frauen zu sehen, die gemeinsam durch Kreisbewegungen ihrer Finger Gläser zum Klingen bringen.

Jesus Christus tritt zum einen als stummer Beobachter in Erscheinung und lässt sich zum anderen in einer zusätzlichen Doppelrolle als junges schwules, beinahe zwillingshaft anmutendes Paar erkennen. Die beiden Männer – anfangs in weißen Hemden und mit dunklen Hosen – küssen und streicheln sich zärtlich am Strand. Was als wunderbar kitschige Garten-Eden-Fantasie seinen Anfang nimmt, wandelt sich in eine Passionsgeschichte, als die Liebenden von einem Polizisten-Trio in Santa-Claus-Kostümen aufgegriffen werden. Im Folgenden werden sie gefesselt und geknebelt, gedemütigt und verlacht, geteert und gefedert, ausgepeitscht und gekreuzigt.

Foto: Liam Daniel / Basilisk Communications / Edition Salzgeber

Über all dem schwebt (an einer Stelle gar wortwörtlich) Tilda Swinton als madonnenhafte Figur. Ein markerschütternder Schrei von ihr antizipiert das Schicksal der verliebten Jesus-Twins und bleibt in seiner Intensität unvergesslich. In einer Passage flieht sie vor einer Gruppe übergriffiger Fotografen, bis sie sich gegen deren aggressives Verhalten rabiat zur Wehr setzt. „The Garden“ ist eine halluzinatorische Jagd durch Raum und Zeit, in der Verfolgung und Drangsalierung von Außenseiter_innen immer wieder als Sujets auftauchen. So versucht etwa auch eine rauchende Drag Queen einer wilden Meute zu entkommen und wird doch irgendwann eingeholt und mit Schlägen traktiert.

Foto: Liam Daniel / Basilisk Communications / Edition Salzgeber

Der gesellschaftliche Umgang mit queeren Menschen sowie der Hass gegenüber Schwulen sind Leit- und Leidthemen im Œuvre Jarmans. Der Filmemacher, der Ende 1986 von der eigenen HIV-Infektion erfuhr, macht auch in „The Garden“ deutlich, dass nicht-heteronormatives Begehren von der Gesellschaft automatisch kriminalisiert wird. Neben der physischen Gewalt zeigt er die Ausübung von Gewalt durch institutionelle Macht auf. Gegenüber Autoritäten legt er – der als Sohn eines Offiziers zur Welt kam und ein Internat besuchte – ein spürbares Misstrauen an den Tag. Besonders stark ist eine Komposition, in der ein kleiner Junge von finsteren Gelehrten unter Druck gesetzt wird, indem diese mit ihren Stöcken auf einen Tisch klopfen. Einer der älteren Männer benutzt ein Buch, um damit nichts weiter zu tun, als es laut auf- und zuzuschlagen. Von einem anderen wird eine Sanduhr unablässig hin- und herbewegt. Das Kind ist der Willkür dieser Männer schutzlos ausgeliefert.

Foto: Liam Daniel / Basilisk Communications / Edition Salzgeber

Die Repressionen der Thatcher-Regierung, die Homophobie des Staates und der Kirche – sie werden von Jarman in treffende, originelle Bilder übersetzt, werden in den Klängen von Simon Fisher-Turner hörbar, in den Licht- und Farbexperimenten der Super-8-, 16-mm- und Videoaufnahmen erlebbar und zuweilen mit einer trotzigen Camp-Attitüde, mit betont artifiziellen, homoerotischen Motiven bekämpft. Stets wird das niedrige Budget der Produktion selbstbewusst ausgestellt, unter anderem mit herrlich billig wirkenden Rückprojektionen.

Zu den meditativen Momenten, in denen die Ambivalenz der Natur zwischen Zerstörung und (Neu-)Schöpfung erfasst wird, und die ein elegisches Spiel mit Feuer, Wasser, Erde und Luft präsentieren, gesellen sich grelle, schwarzhumorige Nummern, die etwa die Perversion des Kapitalismus illustrieren. Plötzlich wirbt ein erhängter Judas in Lederkluft mit heraushängender Zunge für Kreditkarten. In dieser Galligkeit zeigt sich der Zorn über falsche Versprechungen und Lügen, über den Zynismus und die Brutalität, die Jarman in seinem Umfeld antraf. Und zugleich ist sie Ausdruck der Trauer, die im Film immer präsenter wird.

Foto: Liam Daniel / Basilisk Communications / Edition Salzgeber

„I walk in this Garden / Holding the hands of dead friends, / Old age came quickly for my frosted generation“, heißt es gegen Ende. Kalt, kalt, kalt sei es – und so leise sei der Tod einer vergessenen Generation gekommen. Das ist die Wut. Das ist die tiefe Traurigkeit. Aber dann gibt es doch noch die Hoffnung. Wenn in der „Wildnis des Scheiterns“ – in einem Garten, in dem sich vermeintlich nichts anpflanzen lässt – wider Erwarten etwas entsteht. Wenn in eine karge Landschaft unweit eines Kernkraftwerks Leben und Schönheit einkehren. Oder wenn am Ende eine kleine Figurengruppe beieinandersitzt und die Solidarität unter den Ausgestoßenen demonstriert wird. Es ist „kein süßes Ende“, es ist die Darstellung eines unzerstörbaren Widerstandes, die sagt: Auch wenn ihr uns verachtet und schikaniert, auch wenn ihr uns elendig sterben lasst – etwas wird bleiben, wird sich durchsetzen. Und es wird wachsen und gedeihen.




The Garden
von Derek Jarman
UK 1990, 95 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (deutsche Fassung): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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