Luis Alegre: Lob der Homosexualität

Buch

Der deutsche Sexualwissenschaftler Martin Dannecker widmete 1978 ein Kapitel seiner Doktorarbeit dem „superioren Homosexuellen“, das heißt der Unsitte der Schwulenbewegung, sich den „armen Heteros“ haushoch überlegen zu fühlen. Der spanische Philosoph Luis Alegre war gerade ein Jahr alt, als dieser Text Danneckers erschien; offenbar hat er ihn weder damals noch später gelesen. In seinem Buch „Lob der Homosexualität“ trägt er alle positiven Klischees über Queere und alle negativen über Heteros zusammen. Unser Rezensent Elmar Kraushaar meint: Soll er doch!

Frei laufende Homos versus Heten in Käfighaltung

von Elmar Kraushaar

Der Mann darf das, der Mann ist klug. Der spanische Philosophieprofessor Luis Alegre kann sich ruhig mal die Welt durch die rosa Brille anschauen. Dabei sieht er nur Großartiges, vor allem wenn er schwule, lesbische und queere Menschen betrachtet. Denn sie sind es, die eine Gesellschaft nach vorne treiben, meint der schwule Alegre, von denen nämlich kann die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft noch eine ganze Menge lernen.

Heterosexuelle Männer und Frauen, so Alegres Modell, leben in festgefügten Waben wie Käfigen und kommen da nicht mehr so richtig raus. Am Beispiel einer Verlobung macht er klar, wie das augenblicklich ein ganzes Programm zur Folge hat, „eine Art Handbuch für unser eigenes Leben“. Und weiter: „Genau das erweckt den Eindruck, dass die Dinge von Natur aus so sind.“ An diesem Punkt hilft uns Alegre mit Simone de Beauvoir und Judith Butler auf die Sprünge. „Man ist nicht als Frau geboren: man wird es“, zitiert er die französische Schriftstellerin, und Männlichkeit und Weiblichkeit sind Konstrukte, gibt er mit Verweis auf die US-amerikanische Philosophin zu verstehen.

Aber zum Glück, und jetzt kommen wir wieder zur Brille mit dem rosa Durchblick, müssen sich homosexuelle Menschen nicht mit Waben rumschlagen, schließlich hätten sie schon sehr früh gelernt, daraus auszubrechen, hätten sehr früh begriffen, dass die geschlechtlichen Zuordnungen weder gott- noch naturgegeben sind. Die herrschende Ordnung der Welt ist nicht die ihre, Frauen tragen schon mal Bärte, und echte Kerle können auch im Kleid gut aussehen. Ihr Drang nach Freiheit steht für sie im Vordergrund, für den sie selbst persönliche Nachteile in Kauf nehmen. Bei Alegre wird alles zum Spiel, so als könne man die ursprünglichen Zuordnungen zum männlichen bzw. weiblichen Konstrukt einfach mal auflösen, durcheinanderwirbeln und ganz nach eigenem Bedürfnis wieder neu zusammensetzen.

 

Luis Alegre – Foto: privat

Und dann legt der Spanier so richtig los, klärt uns darüber auf, welche Elemente eines – vor allem – schwulen Lebensstils besonders großartig sind und woran die Heteros in Käfighaltung sich ein Beispiel nehmen können. Alegre feiert schwulen Sex mit Drogenkonsum und Dating-Apps, wie Grindr oder die spanische Variante tuamo.net, bei der – so hebt er hervor – die Profile nach 129 Kriterien gefiltert sind, von „Achseln“ über „Kreuzigung“ bis zu „Züchtigung, seelisch oder körperlich“. Es sei gut für den urbanen Hedonisten, „dass es zu jedem Zeitpunkt selten weniger als acht oder zehn Männer gibt, die in deinem Häuserblock auf der Suche sind“. Und er kennt noch einen weiteren Vorzug: „Aber den größten Nutzen daraus ziehen die Kleinstädte und die ländlichen Gegenden. In einer solchen nach wie vor repressiven und erstickenden Umgebung ist es von entscheidender Bedeutung, die Kontaktdaten aller Schwulen zur Hand zu haben.“

Schwule Männer hätten, so Alegre, in Fragen der Sexualität Pionierarbeit geleistet, schließlich sei es ihnen gelungen, das sexuelle Begehren von der Fortpflanzung zu trennen. Das daraus resultierende Maß an Freiheit will der Autor auch der heterosexuellen Mehrheit ermöglichen. Der Begriff der Freiheit durchzieht das Manifest des Philosophen, der auch Politiker ist – er hat 2014 die linke Partei Podemos mitgegründet – wie ein roter Faden. Am Beispiel von Sexparties spielt der 42-Jährige durch, wie schwule Männer hier zu ihrer Freiheit gelangen, wie sie sich ihre Zeit nehmen für ihre sexuellen Spiele, wie sie in eine „unbekannte ozeanische Tiefe“ vorstoßen, ihre – wie er es nennt – „B-Seite“ entdecken, das, was gemeinhin als Geheimnis, als Laster begriffen werden kann. „Wir haben gelernt, mit allem Verborgenen zu spielen und es zu genießen, anstatt es möglichst zu ignorieren und schließlich von unbekannten Strömungen (mit möglicherweise schrecklichen Folgen) kontrolliert zu werden.“

Bei allem Fleiß, die Pluspunkte einer homosexuellen Lebensführung gegenüber der heterosexuellen herauszuarbeiten, überzieht Alegre die Zukurzgekommenen mit einer Fülle schlichter Klischees; unbarmherzig lässt er nichts zu, das ihnen ihr Los erleichtert, solange sie nicht die Seiten wechseln. Bei allem Schwung, den der Autor hier beweist, muss man aber auch festhalten, dass er die positive Gegenseite, die Queers, zu denen er neben den Schwulen und Lesben auch die Bisexuellen und die Trans- und Intersexuellen zählt, ebenso immer wieder in gleichförmige Bilder und Klischees steckt. Aber Halt! Lassen wir dem klugen Mann doch seine rosa Brille. Wir sind so daran gewöhnt, bei einem Überblick über die LGBTIQ-Gemeinde nur das Dunkle zu sehen, die Anstrengungen, die in diesen Leben stecken, die Verletzungen und Diskriminierungen, die Mängel und Verluste. Da tut es doch mal gut, wenn einer wie Alegre das alles noch einmal durcheinanderwirbelt, auf den Kopf stellt, mit einer Lust am Denken und Spekulieren, und nur noch das Positive sieht, das Schöne. Schließlich bringt nur das – so scheint es seine Überzeugung zu sein – uns weiter in der individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung.

Der Philosoph glaubt nicht daran, dass alle Schlachten gegen die Waben-Bewohner gewonnen sind, wenn die Homosexualität eines Tages „normalisiert“ sei. Die „historische Mission der Q-Community“ ist damit noch nicht beendet. „Es werden immer wieder neue, nicht einzuordnende, unterschiedliche komische Vögel in Erscheinung treten, die entweder gar nicht oder nur mit dem Etikett „Sonderbare“ hineinpassen“.

 



Lob der Homosexualität
von Luis Alegre
Aus dem Spanischen von Thomas Schultz
Broschiert, 220 Seiten, 18 Euro,
C.H. Beck

 

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