Simon Raven: Die Säbelschwadron

Buch

Fielding Gray“ machte im Frühjahr den Auftakt der erstmals ins Deutsche übertragenen, zehnbändigen Romanreihe „Almosen fürs Vergessen“ von Simon Raven. Nun folgt „Die Säbelschwadron“, in dem es nicht nur ein Wiedersehen mit Fielding Gray gibt, sondern auch um den jüdischen Wissenschaftler Daniel Mond geht, der 1952 von Cambridge nach Göttingen reist, um sich dem Nachlass eines deutschen Mathematikers zu widmen. Ravens Roman ist zugleich harter Agententhriller und homoerotisch aufgeladene Milieustudie der britischen Armee. Tilman Krause hat sich in eine Männerwelt der schillernden Rituale in kräftigem Altrosa begeben.

 

Soldaten in engen Hosen

von Tilman Krause

Da ist er wieder, der attraktive Fielding Gray! Wir hatten ihn im Frühjahr kennengelernt. Da machte er sich uns als Held des ersten Romans aus der zehnteiligen Saga „Almosen fürs Vergessens“ bekannt, die ein gewisser Simon Raven in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu Papier gebracht hat. Nach dem so intelligenten wie verführerischen Fielding Gray war das Buch, das die Serie eröffnete, auch benannt, und ein kundiges Nachwort belehrte uns darüber, dass der Autor, der diese Figur aus der Rückschau ihren Start ins Leben erzählen lässt, in ihr auch ein Alter Ego seiner selbst vor den Leser hinstellt.

Kein Wunder also, dass wir Fielding nun in „Die Säbelschwadron“ wiederbegegnen. Aber ach, was ist aus dem hoffnungsvollen Jungtalent geworden! Schon in Folge eins hatte sich ja abgezeichnet, dass Fielding über seine hedonistische Bedenkenlosigkeit straucheln würde, von Neidern zu Fall gebracht, die ihm seine raschen Erfolge zunächst in der Schule, dann aber auch in der Liebe nicht gönnen wollen. Als sich dann auch noch die hübsche Sportskanone Christopher wegen Fielding aus Liebeskummer das Leben nimmt, kann letzterer im Jahre 1945 nicht, wie gewünscht, das renommierte Lancaster College in Cambridge beziehen, um alte Sprachen zu studieren.

Er muss sich vielmehr mit einem Posten bei der Armee begnügen. Und dort begegnen wir ihm jetzt also wieder. Als Hauptmann und stellvertretender Kommandeur einer Panzerspähschwadron, die aus einem älteren Traditionsregiment hervorgegangen ist, das unter britischen Militärs nur als „Säbelschwadron“ bekannt ist, doch dazu später mehr. Wir schreiben jedenfalls, wenn der Roman einsetzt, inzwischen das Jahr 1952. Und wir befinden uns in der jungen Bundesrepublik, genauer gesagt in Göttingen. Ja, der ganze Roman „Die Säbelschwadron“ spielt in Deutschland, überwiegend in Niedersachsen.

Simon Raven scheint sich da enorm gut ausgekannt zu haben, jedenfalls kann der Verfasser dieser Rezension, der seine Schulzeit in Hannover verbracht hat, ihm bescheinigen, dass die Topographie der Landeshauptstadt mit staunenswerter Akribie wiedergegeben ist, auch wenn er (der Rezensent) leider nie etwas von dem Männerpuff gehört hat, der sich zumindest 1952 in der Nähe des Hauptbahnhofs befunden haben muss und zu dem Fielding Gray bei einem Ausgehabend einen Abstecher macht. Doch da er von dort enttäuscht zu seinen Kameraden zurückkommt („nichts als Straßenbahnschaffner und alternde Kellner“) ist es vielleicht nicht ganz so schlimm, das Etablissement nicht mehr gekannt zu haben…

Wie auch immer: Die vorstehenden Bemerkungen deuten schon darauf hin: Nachdem wir in „Fielding Gray“ in erster Linie die Welt der englischen Gymnasialinternate kennengelernt haben, führt uns Simon Raven in „Die Säbelschwadron“ nun in die Welt der britischen Armee. Es ist, um es gleich zu sagen, eine reine Männerwelt. Zwar kann „Die Säbelschwadron“ nicht als so explizit homosexuell gelten wie der Vorgängerroman, aber sie vibriert nur so von unterschwelliger Homoerotik, allein der Name „Säbelschwadron“! Frauen kommen denn auch im gesamten Text schlechterdings nicht vor, nicht einmal als Zimmerwirtin oder deren Töchterlein.

Und damit sind wir auch schon bei der zweiten Hauptfigur, ja sogar dem eigentlichen Protagonisten der „Säbelschwadron“, denn der ist keineswegs Berufssoldat, sondern Zivilist, ein junger englischer Mathematiker von eben jenem Lancaster College übrigens, in das es Fielding nicht geschafft hat, und selbst dieser Mathematiker wohnt bei einem Zimmerwirt. Der 22 Jahre alte Forscher heißt Daniel Mond, ist väterlicherseits jüdischer Abstammung und im Rahmen eines Postgraduierten-Stipendiums im Land seiner Väter, um die Aufzeichnungen eines deutschen Mathematikers zu entziffern und auszuwerten, der 1938 während der Arbeit daran verstarb.

Für diese Aufzeichnungen interessieren sich so ziemlich alle westlichen Geheimdienste. Denn obwohl bis zum Schluss der Geschichte nicht recht klar wird, was man aus ihnen eventuell für die Kriegsführung im Allgemeinen sowie für den „Atomschlag“ im Besonderen ableiten kann, muss irgendetwas an ihnen sein, doch Daniel Mond hält sich hartnäckig bedeckt, was seine Forschungsergebnisse angeht. Diese Schweigsamkeit ist es, die die Handlung antreibt. Nachdem Daniel unvorsichtigerweise ausgeplaudert hat, dass er bei seiner Entzifferungsarbeit gut vorankommt, wird er von englischer, deutscher und sogar amerikanischer Seite unter Druck gesetzt. Auf diese Weise wächst sich der Roman mit dem so gemütlich altertümlich klingenden Titel unter der Hand zu einem knallharten modernen Agententhriller aus, in dem der gejagte Wissenschaftler von einer Gefahrensituation in die andere gerät, bis er schließlich … nein, das soll nicht verraten werden, nur so viel sei gesagt, dass es mit diesem ein wenig scheuen und ganz in seiner Arbeit aufgehenden Daniel Mond kein gutes Ende nimmt.

Doch neben dem inhaltlichen Reiz dieser nach einem ruhigen ersten Drittel immer mehr Fahrt aufnehmenden und dann sehr spannenden Geschichte gibt es auch den Reiz des Subtexts sowie des Milieus. Gleich im ersten, noch gemütlichen Teil lernt Daniel einen jungen Amerikaner kennen, der sich angeblich ebenfalls zu Forschungszwecken, allerdings historischen, in Deutschland aufhält. Später wird sich herausstellen, dass dieser Earle Restarick vom amerikanischen Secret Service auf Daniel angesetzt ist, aber Simon Raven beschreibt ihren Kontakt so, als solle sich hier eine Liebesgeschichte entwickeln. Immer wieder ist von Earles verführerischem Lächeln die Rede, dann folgt eine romantische Landpartie nach der anderen. Man ist also bei der Lektüre schon bald ziemlich schwul angetunt. Aber als Earle plötzlich vorübergehend aus der Geschichte verschwindet, geht es erst richtig los.

Der vereinsamte Daniel gerät nämlich nun unter die Soldaten aus der „Säbelschwadron“ und in die ganz spezielle Obhut von Fielding Gray. Nun folgen Schilderungen von Kasinoabenden, Mannschaftsausflügen und Militärmanövern, die in ihrer Homosozialität ein ganz eigenartiges Flirren verströmen, zu der sich steigernd noch die Rituale der alten britischen Armee mit allerlei Mummenschanz und Verkleidung gesellen. Und erst der erotische Reiz der Uniform! Es braucht wohl einen Insider des Milieus, der selbst schwul ist, wie es eben Simon Raven war, um so wollüstig herauspräparieren zu können, was da für ein Spiel im Gange ist, wenn junge Männer sich in ihren Galauniformen zeigen.

Fielding Gray erklärt dem staunenden Daniel Mond, der sich übrigens trotz seiner linken Ansichten pudelwohl fühlt unter all den netten Soldaten: „Wir tragen dekorative, in einem kräftigen Altrosaton gefärbte Hosen, weil Lord Hamilton gerade in seinem Rosengarten weilte, als ihn sein Offiziersbrief erreichte; und kirschrot nennen wir sie aus Respekt vor König William IV., der die Geschichte falsch verstanden hatte und dachte, es wäre ein Kirschgarten gewesen. Im Winter tragen wir Reiterumhänge, die mit Seide in derselben Farbe gefüttert sind und deren Krägen einen weißen Fellbesatz haben.“ Das ist eine Menge rosa und schmeichelnder Stoff für ein so martialisches Gewerbe wie das Panzerfahren, und wenn dazu noch immer wieder hervorgehoben wird, wie körperbetont gerade die Hosen ausfallen, so beschleicht den Leser mitunter der Verdacht, die jungen Soldaten machten sich vor allem fürs Cruisen zurecht, wenn sie sich den Bräuchen ihres Regiments gemäß in Schale schmeißen. Was treiben sie wohl miteinander, wenn sie die knallengen rosaroten Hosen wieder ablegen?

Das bleibt alles kunstvoll in der Schwebe. Simon Raven vermag allerdings auch dann ein schwules Fluidum zu entfalten, wenn er das Handfeste ausspart. Vielleicht spielt dabei eine Rolle, dass er die britische Armee nicht zu sehr als geheime Homosexuellenhochburg dem Skandal preisgeben wollte (der Roman erschien schließlich in England noch vor der sogenannten sexuellen Befreiung). Aber es gibt noch einen anderen Grund: Ausgerechnet die Mitglieder der vornehmen Säbelschwadron sind es, die den von Geheimdiensten gehetzten Daniel Mond schließlich kameradschaftlich und hilfsbereit bei sich verstecken und aus Deutschland herausschaffen wollen. Dabei bewährt sich der offenbar geläuterte Fielding Gray als ganz besonders fürsorglich. So bizarr es bei den Panzerfahrern zugehen mag: Ihr Herz haben sie, so will es jedenfalls der Autor, offenbar doch alle am rechten Fleck. Und man ist als Leser außerordentlich neugierig, wie es nun im weiteren Verlauf der fünfziger Jahre beziehungsweise der Saga „Almosen fürs Vergessen“ mit Fielding Gray weitergehen wird.




Die Säbelschwadron
Almosen für das Vergessen
von Simon Raven
Aus dem Englischen von Sabine Franke
Gebunden, 280 Seiten, 22,00 €,
Elfenbein Verlag

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