Das letzte Spiel – La Partida

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In Antonio Hens’ kraftvollem Spielfilm „Das letzte Spiel – La Partida“, der jetzt im Salzgeber Club zu sehen ist, wird die Liebe zweier kubanischer Jungs schlicht und einfach dadurch erdrückt, dass sie kaum etwas zu essen haben, die Bedürfnisse ihrer Familien, ihrer Frauen und ihrer Freier befriedigen müssen und gar keine Möglichkeiten haben, ihren eigenen nachzugehen. Das erreicht eine ungeheure Komplexität, wenn Hens diese beiden zerbrechlichen Jungs handlungsunfähig macht, ohne ihnen seine Liebe zu entziehen. Unser Autor Malte Göbel über eine tragische Boy-meets-Boy-Geschichte.

Foto: Salzgeber

Ein Traum auf Fußballschuhen

von Malte Göbel

Reinier ist gut am Ball, er hat Talent. Falls mal Talentscouts am Bolzplatz in den Slums von Havanna vorbeikommen sollten, würde er bestimmt entdeckt werden. Raunt das ganze Freizeitkickerteam. Und es wäre Reiniers großer Traum, ein bisschen vom Ruhm seiner Barca-Vorbilder zu haben: Piqué, Iniesta, Messi. Nur: Ob jemals Scouts vorbeischauen werden, ist unklar. Bis dahin ist Reinier bitterarm, wie (vermutlich) die meisten seiner Mitkicker. Er hat keinen Job und geht abends anschaffen, um Geld für sein Baby, seine Freundin und deren Mutter aufzutreiben, bei denen er wohnt. Und er gönnt sich mal ein Designer-Shirt, das er beim Schwiegervater seines Teamkollegen Yosvani kauft. Yosvani ist einer von den Freizeitfußballern, aber einer, dem es gut geht: Zwar wohnt auch er bei der Familie seiner Braut, aber die schenkt ihm bunte Hipster-Fußballschuhe. Sie hat Geld: Ihr Vater macht Geschäfte auf dem Schwarzmarkt. Yosvani hat also Braut, Job und Zukunft. Reinier hat manchmal nicht einmal Essen im Haus.

Als eines Abends Straßenräuber Yosvani seine bunten Fußball-Töppen abnehmen, eilt ihm Reinier zu Hilfe, und die beiden freunden sich an. Sie treffen sich mit ihren Freundinnen in der Disco. Sie hängen nach dem Training herum, Yosvani kauft Reinier etwas zu essen und bekommt mit, dass dieser sein Geld damit verdient, mit spanischen Touristen ins Bett zu gehen.

So startet „Das letzte Spiel – La Partida“ des spanischen Regisseurs Antonio Hens als klassische Boy-meets-Boy-Geschichte im homophoben Umfeld: In Kuba ist Homosexualität zwar nicht mehr explizit strafbar, 2010 übernahm Fidel Castro die Verantwortung für vorhergehende Homo-Diskriminierung und erkannte diese damit an. Es gibt seit ein paar Jahren eine Diskussion um die staatliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften. Dennoch ist Homosexualität gesellschaftlich weiterhin verpönt, wird sogar noch wie Trunk- und Drogensucht als „antisoziales Verhalten“ von der Polizei registriert.

Auch Yosvani und Reinier haben ihre Vorurteile, Reinier lässt sich von seinen Freiern nicht ficken („Ich bin doch keine Schwuchtel!“). Und beide wissen ganz genau, dass es für ihr Umfeld ein Problem wäre, wenn es mitbekommen würde, wie nahe sich die beiden gekommen sind. Natürlich starten sie trotzdem eine Liebesstory, zunächst enthemmt durch Ecstasy-Konsum in der Disco. Später turteln sie über den Dächern von Havanna und schieben sogar eine flotte Nummer auf der Strandtoilette, während ihre Bräute draußen in der Sonne braten.

Wobei es in Reiniers Heim kein Geheimnis ist, wie er sein Geld verdient. Im Gegenteil: „Lass den Spanier nicht entwischen! Gib’s ihm da rein, wo er es haben will, du weißt schon“, rät ihm seine Schwiegermutter beim Abendessen, und Reinier bringt besagten Spanier Juan sogar einmal mit nach Hause, sehr zum Ärger von Yosvani. (Als Rache foult er Reinier beim nächsten Match brutal.) Und irgendwie ist da auch mehr zwischen Reinier und seinem spanischen Touristen. Reinier macht Passfotos, schenkt eines davon Yosvani, eine romantische Geste, doch Yosvani wird gleich misstrauisch. „Wozu brauchst Du Passfotos? Wozu brauchst Du einen Reisepass?“ Reiniers Schwiegermutter hingegen ist begeistert: „Du musst dich mit Juan zusammentun! Geh mit ihm und heirate ihn!“, sagt sie, und auf Reiniers entgeisterten Blick: „Sieh mich nicht so an, in Spanien geht das! Und dann holst du uns und deinen Sohn hier raus!“

Foto: Salzgeber

Homosexualität ist da ein Vehikel des Kapitalismus, ein unschöner, aber gangbarer Weg aus der Armut, möglicherweise die einzige Chance, dem tristen Leben in der Bruchbude von Havanna zu entkommen – und zwar für die ganze Familie. Eine reale Chance im Gegensatz zum Fußball-Traum. Das sieht auch Reinier so und verstärkt seine Bemühungen um Juan – doch der reist natürlich irgendwann ab, allein.

So ist „Das letzte Spiel – La Partida“ nicht nur Boy-meets-Boy-Romanze, sondern auch Sozialdrama. Regisseur Antonio Hens geht dabei etwas subtiler vor als bei seinem ersten Film „Clandestinos“ von 2007. Damals vermengte er eine schwule Liebesgeschichte mit Thriller-Stoff: Da flüchtet der junge Xabi aus dem Gefängnis, um seinem Mentor von der baskischen Terrororganisation ETA wieder nahe zu sein. Um Geld zu verdienen, prostituiert er sich und bringt einen Fahnder auf die Terrorspur – und verliebt sich auch noch in diesen. „Das letzte Spiel – La Partida“ ist da wesentlich subtiler, auch für Antonio Hens: „Es geht mir vor allem um Teenager, um den kritischen Moment im Leben, kurz bevor wir erwachsen werden“, erklärte der Regisseur im Interview mit havanatimes.org. „Ich interessiere mich für die Widersprüche dieses Moments, seine Illusionen und die Stärke der ersten Liebe, die immer die intensivste, leidenschaftlichste und so auch authentischste ist. Später, als Erwachsene, schaffen wir uns einen Schutzschild gegen so starke Gefühle.“

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Für Hens ist „Das letzte Spiel – La Partida“ auch kein geniun kubanischer Film, kein Porträt des Havanna der Gegenwart. „Es ist eher ein Porträt der unterprivilegierten Leute, die es natürlich in der kubanischen Gesellschaft gibt, aber auch in anderen. Sie suchen nach ihrer persönlichen Freiheit, und das ist eine universale Angelegenheit.“

So ganz recht hat er aber nicht, denn natürlich ist „Das letzte Spiel – La Partida“ auch ein Kommentar zu den Lebensverhältnissen in Kuba, zur Bedeutung, die Geld in der vermeintlich sozialistischen Gesellschaft dort hat. Für den Film muss man sagen: Glücklicherweise ist die Liebesgeschichte von Reinier und Yosvani nicht der einzige Spin, es geht auch um Träume, vor allem um die Verheißung Fußball. Aber das harte Geld wird zum Problem: Reinier gibt mehr aus als er hat, für fesche T-Shirts, Hütchenspiel und Discobesuche. Er steht bei Yosvanis Schwiegervater immer tiefer in der Kreide, versetzt sogar Radio und Fernseher seiner Schwiegermutter, verliert die Pesos dann gleich wieder beim Glücksspiel.

Yosvani soll das Geld, das Reinier seinem Schwiegervater schuldet, eintreiben – und versagt. „Schlag zu!“, ruft der Schwiegervater, als er mit Yosvani und einem Schergen Reinier auflauert. „Schlag zu!“ Und als Yosvani es nicht tut: „Glaubst Du, ich habe nicht gemerkt, dass er in Wahrheit deine Freundin ist? Dich will ich nicht mehr sehen!“ – Er hat gewittert, dass Yosvani gegenüber der Hochzeit mit seiner Tochter nur wenig enthusiastisch ist, hat ihn zudem bei einer intimen Berührung mit Reinier beobachtet. Außerdem schmeißt Reiniers Schwiegermutter ihn raus, weil er es nicht geschafft hat, Juan das Geld aus der Tasche zu ziehen und sogar ihren Fernseher versetzt hat.

Foto: Salzgeber

Alles im Eimer, alles gut? Yosvani und Reinier zusammen gegen den Rest der Welt? Man wünscht es den beiden Jungs, die auch ein ziemlich niedliches Pärchen abgeben. Auch Yosvani will das: abhauen, ganz woanders hin, dort neu anfangen zu zweit. Doch Reinier will nicht mehr, oder kann nicht, denn unverhofft hat sich ein anderer Traum von ihm erfüllt: Beim Kiezbolzen waren Scouts da und haben ihn zur Jugendnationalmannschaft geladen. Seine große Chance!

So dreht sich das Kräfteverhältnis vom Anfang des Films: Damals hatte Yosvani eine Existenz, eine anstehende Hochzeit, Job und Perspektive, Reinier hatte nur Hoffnung. Nun hat Reinier ein Ziel vor Augen, eine Chance, ein Ziel, eine Existenz. Und Yosvani lebt von der Hand in den Mund. Ihm geblieben ist nichts als seine Hingezogenheit zu Reinier, und er nimmt auch nichts anderes mehr wahr.

Yosvani kehrt zurück zu seinem Schwiegervater, um von ihm Geld zu verlangen. Dabei belauscht er einen Streit zwischen Vater und Tochter, sie ist wütend, weil er Yosvani vergrault hat. „Er ist eine Schwuchtel!“, verteidigt sich der Vater, als wäre alles damit gesagt. Aber sie: „Na und? Das ist mir egal! Ich hab nicht versucht, ihn zu ändern. Und ich sag dir eins: Bring ihn mir zurück!“ So scheint es fast, als wäre der Schwiegervater der einzige, der etwas gegen Homosexualität hat. Aber das stimmt natürlich nicht. Die ganze Dramatik von „Das letzte Spiel – La Partida“ speist sich aus der allgegenwärtigen Verachtung für schwule Liebe. Eine Boy-meets-Boy-Geschichte, die durch gesellschaftliche Umstände keine unbeschwerte Love-Story sein darf.




Das letzte Spiel – La Partida
von Antonio Hens
CU/ES 2013, 94 Minuten, FSK 16,

spanische OF mit deutschen UT,
Salzgeber

Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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