Saint Laurent

Trailer

„Ich hasse Biopics“, ließ sich Regisseur Bertrand Bonello zitieren, als die Pläne eines weiteren, nämlich seines, Films über Yves Saint Laurent bekannt wurden, nachdem die vom Saint-Laurent-Nachlassverwalter und -Lebensgefährten abgesegnete (und rechtschaffend öde) Version „Yves Saint Laurent“ bereits in den letzten Produktionszügen war. Seine Annäherung an die somit schon heiliggesprochene queere Figur der internationalen Modegeschichte versucht dann auch etwas ganz anderes, etwas Unmögliches vielleicht: ein queeres Pic über das Monster, das aus einer Biografie erwachsen kann, ohne diese Biografie zu schließen und die überlieferten Fakten kausal anzuordnen. In Deutschland lief „Yves Saint Laurent“ erfolgreich in den Kinos. „Saint Laurent“, immerhin im Wettbewerb von Cannes uraufgeführt, erschien lediglich auf DVD.

Foto: Universum Film

Saint Laurent entzieht sich

von Sebastian Markt

Ein Mann tritt an die Rezeption eines Hotels und bezahlt in bar für ein Zimmer, seinen Namen gibt er an als „Swann“, und auf die Frage, ob er geschäftlich in Paris sei, antwortet er: Nein, zum Schlafen. Dann sieht man ihn, in den abgetönten Farben eines Hotelzimmers von hinten, wenig bekleidet auf dem Bett sitzend, in einer Hand den Telefonhörer, in der anderen eine Zigarette, und im Gegenlicht über der Schulter ist der Blick auf das Fenster frei, hinter dem sich durch milchiges Glas der Eifelturm abzeichnet. Er spricht, stellt sich vor als Yves Saint Laurent, gibt ein Interview und erzählt von Algerien, von der Psychiatrie und Dingen, die ihm dort widerfahren sind, während sich der Zoom der Kamera langsam seinem Hinterkopf nähert, die Erzählung bricht ab, ein Schnitt. (Viel später wird der Film zu dieser Episode zurückkehren, wenn Saint Laurents Lebensgefährte und Geschäftspartner Pierre Bergé die Veröffentlichung des Interviews verhindert.) Der Mann liegt seitlings und regungslos in einer Baugrube im Dreck, ein zweiter Mann, von dem man noch nicht weiß, dass es sich um Bergé handelt, tritt hinzu und dreht ihn um, halb sieht man schon des ersten Gesicht, noch ein Schnitt, schwarze Seide füllt die Leinwand und ein Schriftzug: Saint Laurent, der Titel.

Es fällt schwer, schwerer als gewöhnlich, über „Saint Laurent“ zu schreiben, weil der erste Impuls, nachdem der Film zu Ende gegangen ist, der erste Impuls im Nachdenken über ihn, immer der ist, ihn nochmal anzusehen, weil alle Fragen, die sich stellen, alle Versuche, ihn zu beschreiben, über seine Entscheidungen und Operationen, über seine Bilder und Bewegungen sofort wieder in ihn zurückführen. „Saint Laurent“ ist augenscheinlich ein biographischer Film über Yves Saint Laurent, der wenig von dem tut, was einen dazu verleiten könnte, den Film einen biographischen Film zu nennen.

Bertrand Bonello, der Co-Autor und Regisseur, taucht gegen Ende des Films selbst auf, in der Rolle eines Journalisten der Libération, der mit Redaktionskolleg_innen berät, wie man den Nachruf auf Yves Saint Laurent, von dem man glaubt, aber nicht sicher weiß, dass er eben verstorben ist, gestalten sollte. Bonellos Figur fragt nach den richtigen Bildern – im weiteren Sinne – für ein Leben, danach, wie man fassen kann, welches Erbe Saint Laurent als öffentliche Figur hinterlässt. Bei der Schlagzeile einigt man sich auf: „Saint Laurent se derobé“, was auf Deutsch wohl etwa hieße: Saint Laurent entzieht sich (aber auch: entkleidet sich).

Die erzählerische Arbeit, die ein Biopic konventionellerweise verrichtet, ist einem Nachruf nicht unverwandt. Es gestaltet ein Bild im Rückblick, von einem Leben, das einen Anfang hat, und ein Ende, eine Richtung, entscheidende Momente, an denen sich Bedeutungen klären, Zusammenhänge, durch die Sinn gestiftet wird, Einordnungen getroffen werden, Kausalitäten geschlossen und Konsequenzen vermessen. Die kleine reflexive Vignette im Film, eine der wenigen, in denen er Saint Laurent von der Seite weicht, legt den Zusammenhang nahe, und deutet zugleich auf eine Abweichung, ein Nicht-Einlösenwollen hin, das seine Form kennzeichnet. (Bonello gab in Cannes, wo der Film im Wettbewerb seine Premiere feierte, zu Protokoll, dass er sich nach anfänglicher Irritation von dem Auftrag, eine definitive und umfassende Schilderung von Saint Laurents Leben geben zu müssen, durch den später entwickelten, aber früher fertiggestellten „Yves Saint Laurent“ von Jalil Lespert endgültig entbunden fühlte.)

„Saint Laurent“, der Film, interessiert sich nicht sonderlich für ein Werden von Saint Laurent (gespielt von Gaspar Ulliel, so fragil wie nie zuvor), der Figur, eher für eine Ausstrahlung, im mindestens doppelten Sinn. Mit einigen wenigen, aber signifikanten zeitlichen Abschweifungen konzentriert er sich auf die Dekade von 1967-1977, setzt also lange nach seinem Durchbruch ein, als er seinen eigenen Stil gefunden hatte, die prêt-à-porter Revolution angestoßen, in seiner vielschichtigen Partnerschaft mit Bergé (Jérémie Renier) etabliert war. Komplexe, die in der Erzählung viel Platz finden, aber weniger als Fluchtpunkte behandelt werden, sondern tangential umkreist: Die Beziehung zu Jacques de Bascher (Louis Garrel), der auch Karl Lagerfelds Liebhaber war (welcher wiederum nur einmal ganz nebenbei als „Karl“ erwähnt wird), die Musen-Freundschaft zu Loulou de la Falaise (Lea Seydoux) die triumphale „russischen“ Kollektion von 1976.

 

Foto: Universum Film

In seiner Struktur fügt der Film Set-Piece an Set-Piece, in einem überragenden chronologischen Bogen, weniger als geschlossene Erzählung. Momente, denen das Gewicht der Wegmarke mal mehr (Saint Laurent begegnet de Bascher zum ersten Mal), mal weniger (Saint Laurent nimmt den letzten Feinschliff an Kleidern im Atelier vor) zufällt; abmessend, ausstellende Abschreitungen seiner Kunstsammlungen; Reimaginationen von Bildern, die schon vor dem Film gemacht wurden und außerhalb ihr eigenes Leben haben: Helmut Newtons berühmtes Bild des „Le Smoking“, Jeanloup Sieffs Portrait des nackten Saint Laurent für die Werbekampagne von „Pour Homme“ etwa; Momente der Lust, ungeschützt und verletzbar, wenn Saint Laurent suchend durch die nächtlichen Straßen schleicht, berauscht, in einer vom ungezügelten de Bascher angezettelten Orgie, oder intim, im von einer komplexen Beziehungsdynamik getrieben Spiel mit Bergé; dazwischen auch: eine sich über acht Minuten ziehende geschäftliche Unterredung zwischen Bergé und seinen Investoren, vermittelt durch die Anwesenheit einer kühl rauchenden Übersetzerin, der man anfangs kaum zu folgen vermag, bis sich langsam vermittelt, was auf dem Spiel steht: die Wiedererlangung der Verfügung über YSLs Namen.

Diese Set-Pieces folgen zuerst ihrer eigenen inneren Logik, bevor sie sich mit den anderen Teilen des Films verbinden; und der Film wechselt immer wieder seinen Aggregatszustand, stets entflammbar, selten ganz ins Lodern geratend. Flirrende Traumbilder und Fantasmen, nüchterne Beobachtungen alltäglicher Verrichtungen, zitierte Gemälde und Fotografien, einmal ein Splitscreen, das ganze Jahre vorbeiziehen lässt, rechts in Wochenschauaufnahmen, links in Kreationen, die von Models die Treppe im Atelier hinabgeschritten werden. Saint Laurent fügt diese aber nicht nur wie Bausteine aneinander, immer wieder gibt es Schleifen und Brüche, Wiederholungen und Wiederaufgreifen, Ellipsen und Paraphrasen, Blicke, bei denen Schuss und Gegenschuss durch Filmminuten und Lebensjahre getrennt sind.

Und dann, im letzten Abschnitt, dessen Kern die Erarbeitung und Präsentation der erwähnten Herbst/Winterkollektion von 1976 ist, dreht „Saint Laurent“ sich in ein wirbelndes Crescendo. Es entfaltet sich in einer unscheinbaren und zugleich atemberaubenden Vielschichtigkeit, die exemplarisch dafür ist, wie „Saint Laurent“ das tut, was er tut.

Der Abschnitt setzt ein mit Saint Laurent down & out, der Episode, die der Beginn an-erzählt, den Bergé aufliest, und versorgt, der ihm aber doch entgleitet, gesundheitlich, psychisch, emotional, kreativ. Müde sei er, sagt Saint Laurent im Atelier, sich selbst sehen zu müssen. Auf diese in wenigen Zügen skizzierte, sehr umfassende Krise schließt eine Folge von Szenen an, die den Moment einer Idee umschreibt. Sie beginnt mit einem langsamen Zoom auf ein Zimmer, das Saint Laurent betritt. Das Zimmer sieht genauso aus, wie das Gemälde von Prousts Schlafzimmer, das Bergé ihm einige Zeit davor geschenkt hat, und von dem er bemerkte, er würde es so gerne betreten, und sich in Prousts Bett legen, was er auch tut. Saint Laurent träumt, Kindheitserinnerungen, und Szenen aus Ophüls’ „Madame De…“. Er wird aufwachen, in seinem Bett, von Entwürfen und Schlangen fantasieren, und wieder arbeiten.

Zu alledem setzt, verknüpft über die Bilder und Kunst-Dinge, mit denen Saint Laurent sich umgibt, ein parallel montiertes Hin- und Herspringen zwischen dem Saint Laurent von 1976 und einem gealterten; der Körper: Helmut Berger, die Stimme immer noch die von Ulliel.

(In einer Einstellung sieht sich der gealterte Saint Laurent im Fernsehen Viscontis „La caduta degli dei“ an, sieht der von Helmut Berger gespielte Saint Laurent dem jungen Helmut Berger bei Spielen des Martin von Essenbeck zu.) Der Film umkreist einen klimaktischen Moment von zwei Seiten, Vor- und Nachläufen, Einfällen und Verschwinden. Er erzählt zugleich mit dem Ersinnen und Entstehen der Kollektion, ihrer Fertigung von Hand im Atelier, vom Alter in Bergers Gestalt, von dem Verbleichen seiner Arbeit, dem Gang an die Börse, vom Tod de Baschers und des eigenen.

 

Foto: Universum Film

Die triumphale Modenschau schließlich ist eingefangen in einem Tableau aus Splitscreens, das seine Räume gliedert wie ein Gemälde von Mondrian (jenen Maler, an dessen Bildern sich eine der ersten aufsehenerregenden Eigenkreationen von Saint Laurent orientiert hat), in sieben, acht verschiedenen umrahmten Flächen vereint: Publikum, defilierende Modelle, das hektische Treiben hinter den Kulissen, einen schmalen aber breiten Blick auf die Füße am Laufsteg, und einen schüchtern, auf die Bühne blickenden Saint Laurent, kaum noch mit dem in Verbindung, was sich gerade seinem Einfluss entzieht und in die Welt tritt, als Werk.

Ein Schwindel der Bilder, aber einer, der stets etwas bezeichnet. Es gibt in „Saint Laurent“ keinen echten, keinen eigentlichen Saint Laurent, keinen öffentlichen und keinen privaten.

Bonello bedient sich textueller Bezüge, die er Saint Laurents eigenen Leidenschaften entlehnt, allen voran Visconti & Proust, und setzt sie ein, um seine eigenen Formen zu finden. Die Korrespondenzen sind aber mehr als schlichte Anleihen: in ihnen lebt ein begehrender Blick und Anverwandlungen. Wenn Saint Laurent Betty Catroux zum ersten Mal im Nachtclub begegnet, da sieht er sie für einen kurzen Moment als er selbst. Solche Korrespondenzen, Vertauschungen und Ansteckungen gelingen dem Film oft, es ist seine Art, von einer ganz konkreten Individualität zu erzählen, in der sich viel um Sehen und Gesehen Werden dreht, und das Hinaustragen von neuen Bildern in die Welt. Saint Laurent, der Film wie die Figur, entsteht im Bezug von Bildern aufeinander, von sich auf die Welt, von anderen auf sich. Und das Ich, um das „Saint Laurent“ kreist, ist kein Wesen, sondern eine Bewegung und eine Spannung, ein Wesen allerdings, das an einen ganz konkreten Körper gebunden ist, dessen Erregungs- und Ermattungs-Zustände der Film immer mitschreibt.

Das letzte Bild dann, ein Jahr später: Saint Laurent im Atelier, 1977, er lächelt uns an.

Es ist ein Portrait aus refraktierten Blicken, ausgedehnt auf zweieinhalb Stunden, das eine doppelte Bewegung vollzieht: Entmystifizierung eines Schöpfungsprozesses zum einen, und zugleich die Wiedererrichtung von Intimität in einem veröffentlichten Leben, ein Sehen, das nicht daran interessiert ist, einem öffentlichen Lebenslauf seine Geheimnisse zu entreißen. Mit einem Blick, dem das Bild das erste Mittel von Erkenntnis ist, nähert sich Bonello Saint Laurents Individualität an wie dem Stoff, der den Hintergrund für Titel und Abspann gibt: mit einem Interesse an Textur und Faltenwurf, nicht allein, weil er den schimmernden Oberflächen verhaftet wäre, sondern einer Form des In-der-Welt-Seins, in der der Körper nicht übergangen werden kann. Bei aller visuellen Klugheit ist in „Saint Laurent“ die Figur, mit der er sich seinem Objekt nähert, nicht die Betrachtung, sondern die Berührung.




Saint Laurent
von Bertrand Bonello
F 2014, 144 Minuten, FSK 12,
deutsche SF, französische OF mit deutschen UT
Universum Film

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