Roads

Trailer Kino

Drei Jahre nach dem sensationellen Erfolg seines Film „Victoria“ schickt Regisseur Sebastian Schipper in „Roads“ zwei 18-Jährige auf einen Trip quer durch Europa. Der britische Shootingstar Fionn Whitehead („Dunkirk“) und der französischen Schauspieler und Stand-Up-Comedian Stéphane Bak („Elle“) spielen zwei Jungs, die sich auf ihrer Reise emotional immer näher kommen und in einer Welt im sozialen Umbruch erwachsen werden. „Roads“ steht in der Tradition die Roadmovies und des Buddyfilms, denkt beide Genres aber neu, indem er der Beziehung zwischen seinen Hauptfiguren ihre sexuelle Ambivalenz lässt. Auch wenn der Film damit keine klassische schwule Romanze ist, so ist er doch ein berührender, queer-relevanter Film über eine lebensverändernde Liebe, findet unser Autor Andreas Köhnemann.

Foto: Studiocanal

You Made My Day

von Andreas Köhnemann

Zwei unterschiedliche Männer begeben sich gemeinsam auf eine Reise. Diese Tagline, die den Film „Roads“ zusammenfast, verweist auf zwei Genres, die Sebastian Schipper in seiner fünften Regiearbeit auch bedient, das Roadmovie und den Buddyfilm. Aber er reproduziert dabei nicht einfach die Bilder und Worte, die Stimmungen und Gefühle vergangener Filme, sondern denkt beide Genres noch einmal neu. Er erfüllt sie mit Leben, verleiht ihnen Aktualität und lädt sie mit einer Liebe auf, die zwar zu beiden Genres gehört, aber gerne kaschiert oder gar gewaltvoll verleugnet wird.

Als klassisches Roadmovie hätte „Roads“ den Trip zweier Heranwachsender von Marokko über Spanien bis nach Frankreich als Abenteuer schildern können: Freiheit, Spaß, Chaos, Konflikte und am Ende dann deren Lösungen, die schließlich den Coming-of-Age-Prozess der jugendlichen Figuren vorantreiben. Tatsächlich beginnt „Roads“ auch so. Der Brite Gyllen (Fionn Whitehead) hat an seinem 18. Geburtstag während des Familienurlaubs in Marokko kurzerhand das Wohnmobil seines Stiefvaters gestohlen. Nun steht er ratlos an der Küste, da er den Wagen nicht mehr starten kann. Der fast gleichaltrige William (Stéphane Bak), der aus dem Kongo stammt, leistet im wahrsten Sinne des Wortes Starthilfe, und wenig später sind die beiden gemeinsam unterwegs. Während Gyllen zu seinem Vater nach Frankreich fahren möchte, ist William auf der Suche nach seinem Bruder, der sich womöglich in Calais aufhält.

Foto: Studiocanal

Wenn Gyllen einen Deal mit einem Alt-Hippie (ostentativ vulgär verkörpert von Moritz Bleibtreu) eingeht, damit dieser den Campingbus als Fahrer über die Grenze nach Spanien bringt, ist der Erzählton noch heiter und turbulent. Je mehr wir jedoch über Williams familiären Hintergrund erfahren, desto ernster wird der Film. In die Genredramaturgie dringen mehr und mehr realistische Probleme. Die beiden Protagonisten treffen auf ihrer Reise auf Geflüchtete, und müssen Entscheidungen treffen. Schipper macht mit seinem Film deutlich, dass unser Bewegen durch die Welt, das das Kino mit dem Roadmovie schon immer gezeigt und gefeiert hat, heute mit neuen Verantwortungen und neuen Dringlichkeiten verknüpft ist.

Foto: Studiocanal

Dabei verliert „Roads“ nie seine beiden Hauptfiguren und deren Beziehung aus dem Blick, die sich vom Genre-haften Kumpeltum zu einer engen Freundschaft entwickelt. Gyllen und William sind, wie im Buddyfilm üblich, als gegensätzliche Figuren angelegt. Der eine wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf, dem anderen fehlt eine Aufenthaltsgenehmigung, „Ich habe gar nichts, ich bin hier nicht willkommen“, sagt William an einer Stelle des Films. Gyllen ist impulsiv, oft naiv und unvorsichtig. William hingegen handelt meist sehr überlegt, weil er weiß, dass er es muss.

Dass sich konträre Figuren annähern und ergänzen, ist im Genre nicht neu und natürlich auch wenig überraschend. Wohl aber die Art, wie dies in „Roads“ geschieht. Der Homoerotik, die in der homosozialen Figurenkonstellation des Buddyfilms immer unweigerlich mitschwingt, ist traditionell mit zwei aus queerer Perspektive problematischen Methoden verknüpft: entweder mit einem überwiegend nachlässig ausgearbeiteten Subplot, der mindestens einen der beiden zentralen Männer in eine heteronormative Liebesgeschichte verwickelt – „women have no function other than to signal the men’s heterosexuality“, hat der Filmwissenschaftler Richard Dyer diese Anordnung, die sich freilich schon im Western, dem Vorläufer des Roadmovies und des Buddyfilms, finden lässt, einmal treffend zusammengefasst; oder, weit schlimmer noch, mit unverhohlener Homophobie, etwa indem eine betont lächerliche schwule Figur als Gegenbild zu den hypermaskulin in Szene gesetzten Helden auftritt oder die Protagonisten und deren Umfeld gar homophobe Sprüche reißen, die sie von jedwedem nicht-heterosexuellen Verdacht befreien sollen.

Foto: Studiocanal

„Roads“ ist da ein paar Schritte weiter. Ob die Protagonisten hetero oder schwul sind, bleibt bis zum Ende hin offen, und die Momente der Nähe zwischen den beiden, die sich im Laufe der Reise ergeben, dürfen sich in ihrer Ambivalenz entfalten. Wenn Gyllen und William etwa in einer Szene miteinander kiffen, ist das eigentlich ein totales Coming-of-Age-/Indie-Film-Klischee. Selten kommt man zwei Figuren aber so nah wie in Schippers Variante, es fühlt sich so an, als säße man neben den beiden – was natürlich stark mit dem harmonischen Zusammenspiel von Fionn Whitehead und Stéphane Bak zusammenhängt.

In einer anderen Szene lassen Schipper und sein Kameramann Matteo Cocco die beiden eine Variation des Kuleschow-Effekts vorführen: Auf die Benennung von Gruppenbezeichnungen, hinter denen Vorstellungen von bestimmten Identitäten stehen, wie „Fußballspieler“, „Kindersoldat“ oder „Boygroup-Mitglied“ folgen Einstellungen, die das Gesicht einer der beiden Jungs zeigen. Der Ausdruck in ihren Gesichtern verändert sich nicht – und doch lesen wir, die Zuschauer*innen, immer wieder Neues in sie hinein. In den Bezeichnungen steckt Erlebtes und Mögliches, Stereotypes und Wahres. Es zählt zu den Stärken von „Roads“, dass diverse Aspekte, die Gyllens und Williams innere und äußere Verfassung betreffen, nicht ausbuchstabiert und die Hauptfiguren damit vielschichtig und authentisch werden.

Foto: Studiocanal

Nähe findet in „Roads“ durch Blicke und Berührungen statt. Eine Umarmung kann schon mal länger als 20 Sekunden dauern – da erst ab dieser Zeitspanne Endorphine freigesetzt werden, wie wir nebenbei lernen. Zum anderen wird Nähe im Film erstaunlicherweise dann am intensivsten spürbar, wenn sich die Figuren physisch voneinander entfernen, wenn sie sich räumlich verloren haben. Zwei der emotionalsten Szenen zeigen Telefongespräche. Sie haben trotz der räumlichen Distanz eine enorme Wucht, weil die beiden Protagonisten zu diesem Zeitpunkt bereits eine innige Freundschaft entwickelt haben.

Nicht zuletzt bringt „Roads“ die Nähe zwischen William und Gillen auch in seinen Dialogen auf den Punkt. „You made my day“, heißt es etwa an einer Stelle – und wir wissen nach der Reise mit den beiden, wie verdammt viel diese Aussage bedeutet. Eine klassische schwule love story ist „Roads“ vielleicht nicht. Aber ganz sicher ein berührender, kluger Film über die Liebe.
 



Roads
von Sebastian Schipper
DE 2018, 100 Minuten, FSK 6,
deutsch SF & englische OF mit deutschen UT,

Studiocanal

Ab 30. Mai hier im Kino.

 

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