Rafiki

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„Gute kenianische Mädchen werden gute kenianische Ehefrauen“ – Kena lernt schon früh, was von Mädchen und Frauen in ihrem Heimatland erwartet wird: artig sein und sich dem Willen der Männer fügen. Doch die selbstbewusste Kena lässt sich nicht vorschreiben, wie sie zu leben hat. So freundet sie sich auch mit der hübschen Ziki an, obwohl ihre Väter politische Konkurrenten sind. Das Gerede im Viertel ist den Mädchen zunächst ziemlich egal. Doch als sich Kena und Ziki ineinander verlieben, müssen sie sich entscheiden: zwischen der vermeintlichen Sicherheit, ihre Liebe zu verbergen, und der Chance auf ihr gemeinsamen Glück. „Rafiki“ – der Titel bedeutet auf Suaheli „Freund(in)“ – ist der erste kenianische Film, der bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde. In Kenia selbst, wo Homosexualität noch immer unter Strafe steht, wurde der Film zunächst mit einem Aufführungsverbot belegt, das erst nach einer Klage der Regisseurin gelockert wurde. Beatrice Behn geht in ihrer Besprechung den Ursprüngen der homophoben Ordnungen auf den Grund, die noch immer in weiten Teilen Afrikas herrschen – und feiert den lesbischen Liebesfilm als mitreißende Utopie, die tief in afrikanischen Traditionen verwurzelt ist.

Foto: Salzgeber

Ich bin, denn wir sind

von Beatrice Behn

Da steht Ziki. Ziki mit den bunten Haaren und den großen Augen. Ziki mit den schönen Lippen, über die das süßeste Lächeln huscht, vor allem wenn sie Kena sieht. Ziki und Kena – aus ihnen wird bald etwas werden: eine heimliche, eine erste, große, epische Liebe. Und eine versteckte Beziehung zweier junger Frauen in Kenias Hauptstadt Nairobi. Es ist ein zarter Anfang, der Beginn einer Selbstfindung, die im Verborgenen blüht, auf dem Dach eines rosafarbenen Hochhauses. Hier schwören sie sich, nicht die typischen kenianischen Frauen zu werden, die brav ihre Ehemänner ehren und Kinder großziehen. Hier oben, über der Stadt, sind sie frei: Ziki, die die Welt bereisen will, um allen zu zeigen, was es heißt, eine moderne Afrikanerin zu sein, und Kena, die nicht Krankenschwester werden wird, sondern verdammt nochmal Ärztin.

Aber unter ihnen, verankert auf dem Boden kenianischer Tatsachen, inszeniert Regisseurin Wanuri Kahiu in ihrem Film „Rafiki“ die Realität des gegenwärtigen Kenias. Hier nehmen die Väter der beiden jungen Frauen den Platz auf der Straße und der Öffentlichkeit ein. Die beiden Männer treten gerade im Wahlkampf gegeneinander an und kämpfen darum, wer den Stadtteil regieren wird. Und hier unten sind auch ihre Mütter, die die privaten Räume, die Wohnungen, besetzen und die man sonst nur in der Kirche sieht. Die Aufteilung der Räume in „Rafiki“ macht schnell klar, wie dieser Ort organisiert ist: ganz oben in der Hierarchie steht das Gesetz des Vaters (das psychoanalytische und das christliche), getragen durch die Männer und die Kirche als Phalanx der Macht. Dann kommen die Frauen. Zuerst die älteren, die sich dem Gesetz beugen, es tragen, verteidigen – und die helfen, die jüngeren in die „richtigen“ Bahnen zu lenken.

So wie Mama Atim, die alte Besitzerin des Kiosks, die zusammen mit ihrer jungen Tochter alles sieht und alles hört und jedes Bisschen Transgression per Tratscherei zur Anzeige bringt. Sie ist Anklägerin im Namen des väterlichen Gesetzes, und niemand wird an diesem Ort ungestraft dessen Grenzen überschreiten. Dafür sorgt die Gemeinschaft selbst, die sich um jedwedes Ausbrechen kümmert und es entsprechend sanktioniert. Und wer es wagt, wer anders ist und sich nicht einordnen will oder kann, der wird leiden. So wie dieser junge Mann, der keinen Namen und keine Geschichte hat, aber ein paar Mal zu sehen ist Er hat nur ein Gesicht mit feinen Gesichtszügen, einen schmalen Körper, einen nicht perfekt „maskulinen“ Gang, der ihn als „schwul“ deklariert und damit als Freiwild. Zwei Mal taucht er mit einem geschundenen Gesicht im Film auf, einmal auch in der Kirche, wenn der Pastor Homosexualität verurteilt – denn nach Gottes Gesetz ist sie Sünde. Und wer setzt Gottes Gesetze auf Erden durch? Natürlich er und seine Kongregation. Auch Ziki und Kena hören diese Predigt. Doch Ziki will in ihrer unbeschwerten Freude über ihre Liebe zunächst nicht wahrhaben, was unweigerlich auf sie und Kena zukommen wird.

Kahiu erfindet in „Rafiki“ den lesbischen Liebesfilm nicht neu. Ihre Figuren und deren Liebe zueinander folgen dem gängigen Muster, das in vielen Filmen des Subgenres zu finden ist. Vom taiwanesischen Film „Spider Lilies“ über Todd Haynes amerikanisches Epos „Carol“ bis hin zum schwedischen Drama „Raus aus Åmål“ – all diese Filme bearbeiten die große lesbische Liebe mit viel Melodramatik, die sich aus dem Begehren und den widrigen Umständen schöpft, welche es zu ertragen und mit viel Glück zu überwinden gilt. Leid und Liebe fungieren als Kern, aus dem sich einerseits sexuelles Begehren schöpft. Andererseits wird dadurch die Liebe selbst zu einem oft stark überhöhten Leidensakt stilisiert. Der Druck von außen tritt als antagonistisches Element auf, das selbst den heterosexuellen ZuschauerInnen aufzeigt, dass wahre Liebe eine Daseinsberechtigung hat und die Welt sich ändern, sich öffnen sollte. Diese dramaturgischen Strukturen können furchtbar plakativ sein oder zu einem Gefühlsporno verkommen, in dem die Frauen und ihre Liebe nichts weiter sind als eine herrlich emotionale Geschichte, bei der man mal so richtig im Kino lieben und leiden kann – und noch dazu die Chance auf etwas vorsichtigen Lesbenblümchensex bekommt.

Foto: Salzgeber

Man kann dieses Konstrukt aber auch benutzen und daran eine geschickte gesellschaftspolitische Analyse an eine Liebesgeschichte anzudocken, die einer unsichtbaren Community Gesichter und Geschichten gibt. Genau das tut Wanuri Kahiu in jedem einzelnen Filmbild von „Rafiki“. Und bezieht sich dabei nachdrücklich auf afrikanische Traditionen.

„Ubuntu“ heißt wortwörtlich übersetzt „Ich bin, denn wir sind“ und beschreibt eine philosophische Denkrichtung, die die Idee von Menschheit als eine Gemeinschaft aller Menschen sieht, die miteinander in Beziehung stehen und das Leben und die Ressourcen der Welt teilen. Ubuntu ist eine Philosophie des Humanismus, dessen Wiege in Südafrika steht und mit Nelson Mandelas Präsidentschaft weite Verbreitung auf dem Kontinent gefunden hat. Kahiu verbindet diese Idee in ihren Filmen oft mit Elementen des Afrofuturismus, von dem in „Rafiki“ aber nur ein hoffnungsvoller Hauch zu spüren ist. Zu verwurzelt ist der Film in der Realität Kenias, zu wütend darüber, dass der Grundsatz von Ubuntu, die Anerkennung der Eigenheiten von Menschen, die zugleich ein Zugewinn für die gesamte Gesellschaft ist, mit Füßen getreten wird. Doch Wut hilft nicht weiter. Analyse schon. Und so setzt Kahiu alles daran, mit Hilfe von Kena, Ziki und ihrer Liebe die Strukturen hinter der Homophobie Kenias (und vieler anderer afrikanischer Länder) zu verstehen.

Foto: Salzgeber

Ihre Antwort ist deutlich, vor allem für ein europäisches Publikum: die Wurzeln der Homophobie sind eindeutig kolonialistisch. Erst 1963 wurde Kenia unabhängig von Großbritannien, das bis heute tiefe Einschnitte hinterlassen hat. Die straff-christliche Kirche und die Gesetze, die Homosexualität strafbar machen, sind Überbleibsel der Kolonialherren, die etabliert haben, dass es nur eine Art der natürlichen Liebe gäbe – die heterosexuelle. Doch die weißen Herrscher sind jetzt weg, in „Rafiki“ sieht man nicht eine einzige weiße Person. Ihre alten Ideen von Natürlichkeit und christlicher Religion, die sie den Einheimischen auf besonders brutale und kleinkarierte Weise eingeflößt haben, sind maßgebender Teil der Gesellschaft und bilden eine unheilige Allianz mit den vorherrschenden patriarchalen Strukturen. Als Instrumente der Macht dienen sie der Unterdrückung von sämtlichen Minderheiten und einer Elitebildung, die jetzt nicht mehr entlang ethnischer Grenzen, sondern von Gender und Sexualität verlaufen.

Doch genau deshalb ist Zikis und Kenas Liebe ein transgressiver Moment, der dort oben auf dem Dach all diese Strukturen unterläuft. „Rafiki“ ist genauso lesbischer Liebesfilm wie feministische und politische Utopie in der kleinsten gesellschaftlichen Einheit – dem Liebespaar. Es ist eine Liebe, die die Gesetze der Väter zum Einsturz bringt und das Patriarchat unterläuft. Es ist eine Liebe, die sich selbst eine neue Idee von Zukunft baut, die Kahiu vor allem den konformen, folgsamen und gebrochenen Frauen gegenüberstellt, die sich keinerlei Zukunft vorstellen können, die außerhalb der väterlichen Ordnung liegt. Das ist der Afrofuturismus dieses Films, der sich verankert in Ubuntu und dem Wunsch, dem Imaginieren eines besseren Kenias, eines besseren Afrikas.

Doch ist das in Anbetracht der Realität nicht nur Wunschdenken auf dem Dach eines rosafarbenen Hauses? Nicht ganz. Nachdem der Film nach seiner Cannes-Premiere in Kenia verboten wurde, weil er Homosexualität in einem guten Licht darstellt, gewann Wanuri Kahiu vor Gericht Aufführungsrechte und „Rafiki“ durfte gezeigt werden. Zwar nur für eine begrenzte Zeit. Aber: Mehrere hundert KenianerInnen konnten ihn so im Kino sehen. Und mehrere hundert nicht-heterosexuelle Menschen sahen sich zum ersten Mal liebevoll und menschlich repräsentiert.




Rafiki
von Wanuri Kahiu
KE 2018, 83 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT,

Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (deutsche Fassung): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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