Lollipop Monster
Trailer • DVD/VoD
Ein Film, wie man ihn aus Deutschland nicht erwartet. Comic-Autorin Ziska Riemann hat zusammen mit Luci van Org eine sehr besondere Mädchenfreundschaft auf die Leinwand gezeichnet. „Lollipop Monster“ ist ein herrliches Geschöpf geworden. Das quietschbunte Kuddelmuddel mit dunklen Abgründen zeigt Jella Haase in ihrer ersten Kinorolle – und steht ab heute als Stream zum Ausleihen und Kaufen im Salzgeber Club zur Verfügung. Unsere Autorin Jenni Zylka schreibt über ihre Filmeindrücke als „Ex-Pubertistin“.
Aufruhr im Hypothalamus
von Jenni Zylka
Als Teenie war alles dramatisch. Man hasste in glänzendem Schwarz, liebte in feurigem Rot, neidete in schmerzhaftem Gelb und schwärmte in sirupartigem Pink. Sämtliche Erziehungsberechtigte verhielten sich bescheuert, Eltern, erwachsene Verwandte, Lehrer sowieso, größere Geschwister im Zweifelsfall auch, doch wenn man Glück hatte, dann konnte man sich auf die beste Freundin verlassen: Die hatte schließlich die gleichen doofen Eltern (sogar wenn sie ganz anders waren), und die war natürlich die einzige, die einen verstand.
Ziska Riemann hat aus diesem Zustand einen Film gemacht. Mit Schreibhilfe ihrer Schulfreundin, der Musikerin, Schauspielerin und Autorin Luci van Org, beschreibt sie jene widersprüchliche, emotional aufgeladene Lebensphase, die die meisten Menschen auf dem Weg zum rationalen Erwachsenen verwirrte. „Lollipop Monster“ erzählt die Welt der Teenage Angst und Teenage Lust, und er erzählt so subjektiv, sprunghaft und glänzend, wie man seine Umgebung eben mit 15 wahrnimmt. Die Geschichte von Oona und Ari, die eine dunkelhaarig, die andere blond, die eine mit schwarz gekleideten Künstler-Eltern, die andere mit Kawaii-Mama und Hypochonderbruder, ist eine Geschichte über Außenseiter. Die beiden Mädchen nähern sich an, nachdem Oonas Vater sich – vielleicht aus Eifersucht über die Affäre seiner Frau mit seinem Bruder – umgebracht hat. Oona zeigt Ari, wie herzerfrischend offen nach außen getragener Hass sein kann, Ari ist für Oona eine Freundin, auf die sie – zumindest anfangs – in schlechten Zeiten bauen kann.
Unstet wie pubertäre Stimmungsschwankungen wechselt der Film von der Story in Musikclips, vom Spielfilm über Super8 in eine Comicästhetik. Egal, wann man jung war, ob zu Tolle-, Flattop-, Föhnwelle- oder Stachelfrisurzeiten, egal, ob die Eltern einem Rolling Stones, Joy Division oder Chicago House verbieten wollten: Riemanns Film, bei dem die Berliner Comiczeichnerin, Autorin und Musikerin erstmalig Regie führte, versucht, das globale Pubertistinnengefühl einzufangen, und es in der gleichen Windstärke bildlich umzusetzen, in der es subjektiv empfunden wird. Sie hat dazu Musik er- und gefunden, die das Außenseitermotiv illustriert: die imaginäre Oona- und Ari-Lieblingsband „Tier“, deren Sänger aussieht wie der Voodoo-Priester Baron Samedi (aus „James Bond – Leben und sterben lassen“), und die in Rammstein-Manier rocken, nur mit mehr Gitarre, besingen „Trieb, Lust und Instinkt“. Eine andere der vielen Musikeinlagen zeigt strippende Barbiemädchen beim Teddypeitschen. Wer das ein bisschen protzig und übertrieben findet, hat Recht. Aber es geht hier schließlich um Aufruhr im Hypothalamus.
Dass es für die Bebilderung dieses Aufruhrs nicht nur eine, sondern zwei Protagonistinnen braucht, zeigt neben dem Freundschaftsmotiv auch die Bandbreite dieser merkwürdigen Backfischjahre: Selbst, wenn man damals auf der coolen Seite des Schulhofs stand, wenn man Babydolls hasste, sich über die dummen, gickernden Tussen aufregte, und sicher war, sich eben nicht in dieser von den Eltern vielbeschworenen und -belächelten Zeit zu befinden, war das hormongesteuert. Nur fällt einem das meistens erst auf, wenn man erwachsen ist.
Bei „Lollipop Monster“ ist Oona auf den ersten Blick cool, abgeklärt und die Freundin ihrer Mutter, die blonde Ari ist sich dagegen noch nicht sicher, was sie ist. Als sie lernt, in Sekundenschnelle vom schläfrigen, rundlichen Schulmädchen zur lasziven Venusfliegenfalle umzuschalten, lernt sie damit selbstredend auch Pussypower. Und ihr favorisierter „bad guy“, herrlich überzeichnet mit flammengetuntem Hotrod und nie lächelndem Halbstarkengesicht, wird plötzlich soooo klein mit Hut: Nach dem Sex auf durchgesessenen Sofas muss er weiter den Club fegen, in dem er als Putzmann arbeitet, während Ari das Geld aus der Kasse klaut und ihn sitzen lässt.
Ziska Riemann und Luci van Org legen einen starken Fokus auf die sexuelle Erweckung, die Aris Freundschaft mit Oona folgt: Die Blondine macht vor nichts mehr Halt, vögelt nach dem Discofeger noch nonchalant die schöne schwarze Freundin ihres verhätschelten Bruders, denn die Zeiten, in denen man sich für eine sexuelle Orientierung entscheiden muss, sind glücklicherweise in einem Film von 2011 längst vorbei. Zum Missvergnügen ihrer besten Freundin treibt sie es aber auch mit dem neuen Freund von Oonas Mutter. Dramaturgisch zwingend kommt also die Katastrophe hereingebrochen, in der die Freundschaft sich bewähren muss, und nebenbei auch noch alle anderen Feinde (Mütter, Geschwister) ihr Fett wegkriegen.
Das Team Oona und Ari mutiert durch den Freundschaftsprozess zu einer Mischung aus Lolita und Cindy Lauper: Selbst überrascht davon, was anderer Leute Verhalten in ihnen selbst anrichtet, evozieren sie ebenso ungebührliches oder übertriebenes Verhalten in den anderen. Oona bringt Ari zuerst bei, die neue Aufmerksamkeit zu genießen, die Ari geschminkt und aufgebrezelt entgegenschallt. Dann läuft Aris Verführungshobby aber aus dem Rahmen und macht Oona am Ende unglücklich. Und Ari merkt, dass Verknalltsein auch Blind- und Taubheit bedeuten kann, und dass Erwachsene zuweilen noch besser lügen können als Teenager.
Die Mädchen werden von ihren prototypischen Muttis gespiegelt: Beide Mütter versuchen, ihrer adoleszenten Brut mit unterschiedlichen Methoden beizukommen. Und hauen vollauf daneben: Aris Mutter trägt Blümchenröcke, bunte Pflaster und lustige Zöpfe, und entgegnet Aris rebellischem Renovierungsakt (Barbies raus, schwarze Farbe rein) mit eifrigem Aktionismus: „Dann brauchen wir aber einen anderen Teppich … Zebra oder Schachbrettmuster …“. Oonas Mutter dagegen, die durch die Freundschaft zu ihrer Tochter jung bleiben möchte, überfordert diese permanent mit der Offenlegung ihrer Bohemienwelt: Vino, Zichten, Sex und nach der Beerdigung ihres Mannes ein gutes Saufgelage mit Freunden, das muss Oona ja wohl verstehen … Tut sie natürlich nicht. Die beiden bemühten Rabenmamas stehen für die üblichen Schwierigkeiten, die Mütter und Töchter auf der ganzen Welt gern über ihren ungenießbaren Beziehungssalat streuen: Überfordern auf der einen Seite, Kleinhalten auf der anderen. Dazu drangsaliert Aris Bruder Eltern und Schwester mit seinen angeblichen Malaisen, bis für Ari-als-junge-Frau kein Platz mehr in der Familie zu sein scheint.
Als Erwachsene, als Ex-Pubertistin schaut man auf dieses quietschbunte Kuddelmuddel und ist, je nachdem, wie weit weg einem diese Zeit vorkommt, amüsiert, gerührt oder auch gelangweilt. Der Film behandelt kein neues Thema, sondern Coming-of-Age, er kapriziert sich – außer in der Ästhetik – auch auf die bekannten Themen Mutter-Tochter-Konflikt, erwachende Lust, Freundschaft, sich-unverstanden-Fühlen und eben jene typischen ständig platzenden Gefühlsknoten. Das muss man einfach wollen: Kann man über sich selbst mit Pickeln, blöden Frisis und nach Tommi Ohrner schmachtenden Herzen lachen, dann kann man sich auch über Oona und Ari amüsieren. Wenn man kein Herz für Trash hat oder einfach die Nase voll von Barbiegirl-goes-Rrriotgirrl-Ästhetik, dann braucht man die Geschichte der beiden Tierfreundinnen nicht: In die „Berliner Schule“ geht Lollipop Monster jedenfalls nicht, er positioniert sich eher lustvoll in der entferntesten Ecke.
Das ist mutig und süß. Schade nur, dass die Ernsthaftigkeit, mit der Riemann und van Org ihr Anliegen trotz Neonfassade und leichthändig ausgestatteter Clipästhetik vorbringen, dabei bisweilen auf der Strecke bleibt, vergraben unter raschelnder, poppiger und zuckersüßer Lollipop-Deko. Denn man glaubt den Autorinnen, dass sie tatsächlich Nöte schildern, Mut machen, Lösungsansätze bieten, und ihre Protagonistinnen wirklich ernst nehmen wollen – lächerlich sind nur die anderen, die Großen, die denken, sie hätten alles im Griff.
Andererseits: Teenies brauchen starke Bilder, mit Subtilität kann man denen nicht kommen. Dass sie genau so einen Film damals gern gesehen hätte, gab Riemann im Interview zu ihrem auf der Berlinale uraufgeführten Film zu, und vielleicht ist es diese immer noch intakte Verbindung zur Vergangenheit, die ihr Werk vor allem für Hannah-Montana-Hasser und -Hasserinnen interessant macht, für Teens und Twens, die schon ohne Liebes-Happy-End leben können, und für Thirty- und Fortysomethings, die sich wieder dran erinnern möchten, dass bei ihnen ja auch einmal alles Drama war.
Lollipop Monster
von Ziska Riemann
DE 2010, 96 Minuten, FSK 16,
deutsche OF,
Salzgeber
Hier auf DVD.