Punch

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Ein Küstenstädtchen in Neuseeland. Der 17-jährige Jim ist ein großes Boxtalent. Sein Vater trainiert ihn streng, hat selbst aber ein Alkoholproblem. Jim ist sich nicht sicher, wo er eigentlich hin will. Nach der Begegnung mit dem jungen schwulen Māori Whetu lichtet sich der Horizont: Zusammen mit ihm gibt es auf einmal Dinge, für die es sich wirklich zu kämpfen lohnt. Neben Hollywood-Star Tim Roth glänzen die Nachwuchstalente Jordan Oosterhof und Conan Hayes, der selbst Māori-Wurzeln hat, als zwei junge Männer, die sich gegen die auch in Neuseeland noch durchaus gegenwärtige Homophobie behaupten müssen. Christian Horn über einen rauen Film mit gefühlsbetontem Fundament, der aktuell in der Queerfilmnacht zu sehen ist.

Foto: Salzgeber

Tender is the Fight

von Christian Horn

Ein Küstenort in Neuseeland, graue Wolken ziehen darüber hinweg, es ist windig, dazu gedämpfte Gitarrenklänge. Willkommen im Kaff, das sich gerade so Kleinstadt nennt, und von dem eine der Hauptfiguren sagt, es stinke hier überall nach Testosteron. Männlichkeit ist hier an der schroffen Küste banal definiert, sie dreht sich um Muckis, Autos und ein markiges Auftreten, um Wortkargheit und Härte. Auf den ersten Blick passt der 17-jährige Jim da wunderbar ins Bild, ist er doch ein vielversprechendes Boxtalent und entsprechend gut in Form. Den Schulkameradinnen gefällt das: „You are such a tease!“

Trainiert wird Jim seit Kindertagen von seinem alkoholkranken Arbeitervater Stan. Ein entscheidender Preiskampf steht kurz bevor. Neben dem Training bleibt Jim kaum Zeit für übliche Jugendaktivitäten. Der Junge interessiert sich für Fotografie und Musik, dreht und schneidet Musikvideos. Während er aber spät abends sichtlich involviert am Schnitt feilt, platzt der Vater ins Zimmer und unterbindet die Ablenkung von der Kampfvorbereitung. Er habe auch noch ein eigenes Leben, begehrt Jim einmal kleinlaut auf. Und schon befinden wir uns in einer Vater-Sohn-Geschichte, bei der der Vater all seine Hoffnung auf den Sohn legt, um das eigene Scheitern zu übertünchen. Stans Frau, Jims Mutter, ist abwesend, vielleicht tot, vielleicht getürmt.

Weit weniger ins Bild der groben Ortschaft passt Whetu. Der junge Māori ist offen schwul und lebt mit seinem Hund wie ein Paria in einer schnuckeligen Strandhütte. In der Schule wird er von allen gemobbt, mal mit rassistischem, mal mit homophobem Unterton. Aber Whetu schießt schlagfertig zurück. Die Fronten sind längst verhärtet, Whetu hegt als angeblich einziger Homosexueller im Ort gar nicht erst die naive Hoffnung, die Rednecks zu missionieren. Er will einfach direkt nach der Schule weg von hier und ab nach Sydney.

Auch Jim begegnet Whetu zunächst angriffslustig, als dieser zufällig sein Training am Strand beobachtet. Kurz darauf, als Jim unangenehme Bekanntschaft mit einer Qualle macht, hilft der Māori ihm mit einem Hausmittel aus der Patsche. Der Beginn einer Freundschaft, aus der mehr wird. Erst verleugnet Jim die Bekanntschaft zur Whetu vor seinen Kumpels, doch bald rudert er zurück.

Foto: Salzgeber

Was Jim und Whetu gemeinsam haben, ist die harte Schale, hinter der sensible Kerne stecken. Beide sind den brutalen Regeln der Provinz ausgesetzt, und beide wollen genau das hinter sich lassen. Autor und Regisseur Welby Ings fasst das eindrücklich in einer Einstellung zusammen, in der die jungen Männer mit jeweils einem blauen Auge nebeneinander sitzen. Die innere Verletzung wird nach außen gekehrt.

Generell gelingt Ings, der zuvor beachtete Kurzfilme wie „Sparrow“ (2016) gedreht hat, mit seinem Spielfilmdebüt eine sehr visuelle Erzählweise, die viel mit reinen Stimmungsbildern arbeitet. Die generelle Einsilbigkeit der mehrheitlich männlichen Figuren spielt ihm dabei in die Karten. Mit viel ästhetischem Gespür entwirft Kameramann Matt Henley atmosphärische, eindrückliche Bilder, in denen die triste Umgebung das bedrückende Innenleben der Charaktere spiegelt. Viel Grau, erdfarbene Töne und tief hängende Wolken – das passt zur kernigen Story. Nur ein paar entrückte Bildfolgen in Zeitlupe brechen die bisweilen fast dokumentarisch wirkende Bodenständigkeit auf.

Foto: Salzgeber

Die emotionalen Momente berühren im Kontext der Härte des Settings umso mehr. Dazu tragen auch die erstklassigen schauspielerischen Leistungen bei: Wie zuletzt im kleinen Meisterwerk „Sundown” strahlt Tim Roth als Vater Stan eine enorme Leinwandpräsenz aus. Aber auch die Newcomer Jordan Oosterhof und Conan Hayes sind beeindruckend: Oosterhof wirkt als Jim beim intensiven Training und im Boxring, aber auch in den emotionalen Szenen glaubhaft. Und Hayes, der selbst Māori-Wurzeln hat, macht Whetus permanente Verletzung durch die Nichtakzeptanz im Ort ebenso plausibel wie sein entschlossenes Aufbegehren dagegen.

„Punch” ist ein rauer, hemdsärmliger Film mit einem gefühlsbetonten Fundament. Jim verteidigt seinen Vater auf dem Männerklo schon mal effektiv mit Fäusten, scheint aber vor allem bei der kreativen Arbeit für seine Musikvideos und den zwischenmenschlichen Momenten ganz bei sich zu sein. Durch den Kontakt zu Whetu lernt er, das festgefahrene soziale Gefüge seiner Kindheit und Jugend ernsthaft zu hinterfragen und nach Alternativen zu suchen. Als Whetu brutal mishandelt wird, sagt sich Jim endgültig vom ruppigen Mikrokosmos seines Heimatorts los. Beim entscheidenden Boxkampf geht es dann ganz wortwörtlich darum, sich einen Freiraum zu erkämpfen. Jim tut das auf eine Weise, die die Buchmacher so nicht auf dem Zettel hatten. Sein Sieg ist ein ganz persönlicher, der ein neues, hoffentlich besseres Lebenskapitel aufschlägt.




Punch
von Welby Ings
NZ 2022, 98 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT

Im November in der Queerfilmnacht