Priscilla – Königin der Wüste (1994)

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Auf dem Weg zu einem vielversprechenden Job reisen drei Dragqueens in einem aussortierten Reisebus durch halb Australien, von Sydney nach Alice Springs, und haben dabei trotz diverser Anfeindungen die Zeit ihres Lebens. Stephan Elliotts Roadmovie „Priscilla – Königin der Wüste“ avancierte 1994 zu einem der erfolgreichsten Filme der australischen Filmgeschichte und gilt längst als Kult. Axel Schock über ein bahnbrechendes Wüstenabenteuer, das sehr viel Staub aufwirbelt, aber auch nach 30 Jahren keineswegs verstaubt ist.

Foto: MGM

Drag Queens Crossings

von Axel Schock

Um zu verstehen, wie revolutionär dieser Film für Australien war, muss man sich vor Augen halten, dass das Kino Down Under bis dahin weitgehend durch raubeinige Haudegen wie Paul Hogan („Crocodile Dundee“) und Mel Gibson („Mad Max“) von sich reden gemacht hatte. 1994 aber erscheinen mit „Priscilla – Königin der Wüste“ und „Muriels Hochzeit“ gleich zwei scheinbar unbedeutende, mit kleinem Budget produzierte Indepententfilme, die nicht nur von einem queeren Publikum ins Herz geschlossen wurden, sondern sogar Oscar-Ehren ernteten und einigen Darsteller:innen zu internationale Karrieren verhalfen. Wie schnell „Priscilla“ zum Aushängeschild des australischen Kinos wurde, zeigte sich beim Abschluss der Olympischen Spiele 2000, als das Gastgeberland mit einer ausgelassenen Parade im „Stadium Australia“ in Sydney die größten Ikonen der nationalen Populärkultur feierte: Kylie Minogue intonierte auf einer monumentalen Flip-Flop-Badesandale „Dancing Queen“, Paul Hogan rollte auf einer überdimensionalen Version seines Lederhuts aus „Crocodile Dundee“ über die Aschenbahn und zuletzt zogen zu CeCe Penistons Dance-Klassiker „Finally“ Dragqueens mit bombastischen High Heels in einem silbern glitzernden Reisebus in die Arena. Letzteres war natürlich eine liebevolle Reminiszenz an „Priscilla“, in dem drei Dragqueens im Bus zusammen durch halb Australien touren.

Ein Vierteljahrhundert später, inzwischen war auch die Musicaladaption von „Priscilla“ zu einem weltweiten Erfolg geworden, ist die Bedeutung des Films keineswegs verblasst. Das zeigen die Ausdauer, mit der über 20 Jahre nach dem verschollenen Hauptrequisit, einem zum Wohnmobil umgebauten Bus gefahndet wurde, und die landesweite Begeisterung, als 2019 das herrenlose Wrack auf einem verlassenen Waldgrundstück tatsächlich gefunden wurde. Der Bus, Baujahr 1976, hatte zwar eine Überschwemmung und einen Buschbrand überstanden, sah aber zuletzt dann doch ziemlich heruntergekommen aus. Über eine Million Euro soll die Restaurierung kosten.

Aber dieser Bus ist eben nicht einfach nur ein verrostetes Automobil, sondern ein „national treasure“, den es zu bewahren gilt. Denn das zunächst silbern glänzende, später pink bemalte Fahrzeug wird zum Hauptschauplatz  von „Priscilla“, nachdem Anthony „Tick“, alias Mitzi Del Bra, in seiner Wahlheimat Sydney einen niederschmetternden Auftritt in einem schäbigen Club erlebt hat. Als ihm ein Engagement in einem Touristenhotel in Alice Springs angeboten wird, ergreift er die Chance, in der knapp 3.000 Kilometer entfernten Stadt vielleicht etwas mehr Applaus und auf jeden Fall ein sicheres Honorar zu erhalten – und dort erstmals seinen achtjährigen Sohn kennenzulernen. Begleitet wird er von zwei Freun:dinnen: der alternden, lebensklugen und um den Tod ihres Lebensgefährten trauernden trans Frau Bernadette; und dem jungen Drag-Performer Adam, alias Felicia, einem verwöhnten Twink und fanatischen ABBA-Fan, der im Laufe der langen Fahrt durch die Wüste zu einer verantwortungsvollen Person heranreift.

Formal betrachtet, fügt Stephan Elliot mit „Priscilla“ dem Genre des Roadmovies nichts wesentlich Neues hinzu. Die Qualität und Originalität des Films wird erst deutlich, wenn man „Priscilla“ mit einem Roadmovie vergleicht, das nur kurze Zeit später in die Kinos kam und dessen Plot verdächtig ähnlich ist. Auch in „To Wong Foo, Thanks For Everything! Juli Newmar“ (1995) reisen drei Drag-Künstler:innen quer durchs Land. Hier jedoch geht es nicht in einem ausrangierten Bus durchs australische Outback, sondern in einem nur noch bedingt fahrtüchtigen 1967er Cadillac-Cabrio von New York nach Los Angeles. Wie in „Priscilla“ streikt der Motor und es kommt zu einem ungeplanten Aufenthalt in einem Provinznest. Doch auch wenn es scheint, als habe Hollywood hier schamlos versucht, den australischen Erfolgsfilm zu plagiieren, hatte Douglas Carter Beane sein Skript für „To Wong Foo“ längst abgeschlossen und die britische Regisseurin Beeban Kidron („Oranges Are Not the Only Fruit“) bereits mit den Vorbereitungen für ihre Dreharbeiten begonnen, als in Sydney die erste Klappe für „Priscilla“ fiel. Zwei Menschen hatten auf unterschiedlichen Kontinenten ziemlich ähnliche Ideen.

Foto: MGM

Dass „Priscilla“ national wie international große Bedeutung erlangte, liegt nicht allein an den immer noch fulminanten Shownummern, den zutiefst sympathischen Figuren und den ikonischen Bildern von flatternden Fummeln in weiter australischer Landschaft. Trotz des hohen Entertainmentfaktors ist der Film deutlich politischer und verhandelt mal satirisch zugespitzt, mal mit großer Ernsthaftigkeit Themen wie Trauer und Verlust, sexuelle Identität, Homosexuellen­feindlichkeit und Rassismus gegenüber den Aborigines. Während die Dragqueens in „Priscilla“ von der Landbevölkerung sehr schnell als „Faggots“ „enttarnt“ werden und in einer Bergarbeitersiedlung sogar um ihr Leben fürchten müssen, werden die Hauptfiguren in „To Wong Foo“ im amerikanischen Hinterland schlicht als aufgetakelte Ladies wahrgenommen, ohne dass es zu großen Konflikten käme,

Tatsächlicht reicht in „To Wong Foo“ dem New Yorker Dragtrio Noxeema, Vida und Chi-Chi – dargestellt von Wesley Snipes, Patrick Swayze und John Leguizamo – eine Woche, um das Kaff Syndersville auf den Kopf zu stellen: Es verpasst der weiblichen Bevölkerung ein komplettes Make-over und eine Lektion in Sachen Stil. Eine vermeintlich stumme Frau kann wieder sprechen, ein Mauerblümchen erobert – von den Dragqueens bestens gecoacht – die Aufmerksamkeit des angehimmelten Jungen und eine Ehefrau erfährt das notwendige Empowerment, um ihren gewalttätigen Mann zum Teufel zu jagen. Auch wenn Schwulenhass, Rassismus und sexuelle Gewalt an der einen oder anderen Stelle thematisiert werden, ist „To Wong Foo“ weit entfernt von der Lebensrealität der Dragqueens und trans* Menschen in den USA. Diese Aspekte werden pflichtschuldig angetippt, sollen die gute Laune aber bitte nicht allzu sehr stören. In erster Linie schien es in dem Film darum zu gehen, drei Macho-Stars in einer konträr zu ihrem Image stehenden Rolle zu zeigen und ein breites (also vor allem nicht-queeres) Publikum zu amüsieren. Und so werden, wie in vielen anderen Mainstream-Filmen, Tunten und Dragqueens als letztlich asexuelle (und damit für „echte“ Männer ungefährliche) Wesen gezeigt. „To Wong Foo“ ist eher als Märchen zu sehen, die queere Realität ist hier auf bitchy talk und opulente Dragshows reduziert. Immerhin präsentieren Noxeema, Vida und Chi-Chi in gefühlt jeder neuen Einstellung ein komplett anderes Oufit. Wie soviele Klamotten in so wenige Koffer passen, darf man sich nicht fragen.

Foto: MGM

In „Priscilla“ hingegen werden die Zuschauer:innen nicht nur mit australischen Eigenheiten wie der massiven kulturellen und sozialen Kluft zwischen Metropolen- und Outback-Bewohner:innen konfrontiert, sondern auch mit harten Vorurteilen und Ausgrenzungen. Anfeindungen erleben Adam, Anthony und Bernadette auf verschiedenen Stationen ihrer Reise, selbst mitten in der Wüste. Nachdem der Bus abseits der Straße liegen geblieben ist, wandert Bernadette durch die Badlands, um Hilfe zu holen. Sie trifft dabei auf ein weißes Paar, das sich in einem Geländewagen auf die Jagd nach Kängurus gemacht hat. Das Paar ist immerhin so nett, Bernadette zu ihrem Bus zurückzufahren. Doch als es dort Adam und Anthony sieht, die aufgefummelt ihre Shownummern proben, ist es mit der Pannenhilfe schnell vorbei. Ganz anders die Aborigines, auf die die gestrandeten Dragqueens in einer Nacht treffen und die alternative sexuelle Identitäten nicht als verstörend oder unnatürlich empfinden. Ganz im Gegenteil: sie schließen die drei in ihre Arme und beteiligen sich sogar an einer improvisierten Dragshow am Lagerfeuer.

Tatsächlich inszeniert Elliott sein Drag-Trio immer wieder ganz expliziert inmitten der australischen Landschaft, wie um damit zu zeigen, dass ihre sexuellen Identitäten nichts Widernatürliches haben. Es sind die optisch spektakulärsten Szenen des ganzen Films: Etwa, wenn Adam urplötzlich auf die Bremse tritt, um mit den beiden Mitreisenden auf einem Bergrücken in die endlose Wüste zu blicken. Die Dragqueens mögen in ihren Bühnenoutfits wie bunte Exoten wirken, doch an diesem Ort sind sie genauso selbstverständlich zuhause wie die in vielen Farben schillernden Eidechsen, die Elliott zwischenschneidet. Und als der Bus zu Beginn des Films Sydney in Richtung Wüste verlassen hat, fängt die Kamera das für Australien berühmte gelbe Straßenschild „Kangoroo Crossing“ ein.  Auf dem Rückweg sehen wir wieder ein solches Verkehrsschild, nun aber ist die Känguru-Silhouette durch die eines High Heels ersetzt. Ein schöner, zeitloser, sehr australischer Gag.

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Elliotts Plädoyer für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt mag mit heutigem Blick fast etwas forciert wirken. „Priscilla“ ist natürlich auch ein Film seiner Zeit, der sich gegen die Homophobie  wendet, die in jenen Jahren infolge der Aidskrise gerade auch in Australien erstarkte. Nicht von ungefähr wird der Tourbus nicht mit irgendeiner schwulenfeindlichen Beschimpfung, sondern mit dem Slogan „AIDS fuckers go home“ beschmiert. Zugleich feiert der Film die Selbstakzeptanz, das neu gewachsene Selbstbewusstsein und die neue Kampfbereitschaft der Gay Community.

Veraltet ist die politische Botschaft des Films leider noch nicht. In Australien wurde landesweit erst 1997 ein für homo- und heterosexuelle Handlungen einheitliches Schutzalter festgelegt. Eingetragene Partnerschaften sind bislang nur in wenigen Bundestaaten möglich, die gleichgeschlechtliche Ehe wurde 2004 sogar explizit verboten. Die Anfeindungen und Vorurteile, mit denen Adam, Anthony und Bernadette konfrontiert werden, dürften queere Menschen vielerorts in ähnlicher Form noch heute aus ihrem eigenen Leben kennen. In dieser Hinsicht ist „Priscilla“ dann leider doch immer noch sehr zeitgemäß.

Die Rolle der Bernadette könnte Elliott heute, anders als 1994, mit einer trans* Schauspielerin besetzen; und für die Rolle des Adam müsste er wohl auch nicht mehr unbedingt aus marktstrategischen Gründen auf einen heterosexuellen TV-Liebling wie Guy Pearce („Neighbors“, seit 1986) zurückgreifen. Ungeachtet dessen arbeitet Stephan Elliott an einer Fortsetzung von „Priscilla“ mit der Originalbesetzung, wie er im April 2024 in einem Interview verriet. Bis zum Beginn der Dreharbeiten dürfte dann auch der Originalbus wieder fahrtüchtig sein.




Priscilla – Königin der Wüste
von Stephan Elliott
AU 1994, 104 Minuten, FSK 16
deutsche SF & englische OF, deutsche UT,
MGM

Als DVD, Blu-Ray und VoD

 

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