Fireworks

TrailerQueerfilmnacht

Sizilien im Sommer 1982: Während ganz Italien vom Gewinn der Fußball-WM träumt, träumen die Teenager Gianni und Nino von einer Liebe ohne Angst. Wild entschlossen kämpfen die beiden für ihre Beziehung, auch gegen den Widerstand ihrer konservativen Familien – und bringen sich damit in Lebensgefahr. „Fireworks“ von Giuseppe Fiorello basiert auf einer wahren Kriminalgeschichte, die Anfang der 1980er Jahre zur Gründung von „Arcigay“ geführt hat, dem bis heute wichtigsten Verband für queere Bürger:innenrechte in Italien. Getragen von zwei fabelhaften Hauptdarstellern, zeichnet der Film ein authentisches Porträt der problematischen Lebenssituation von Schwulen im italienischen Süden nicht nur jener Jahre. Christian Horn hat sich das Feuerwerk aus Sommerbildern, das im Juli in der Queerfilmnacht leuchtet, angesehen.

Die Sonne als Zeuge

von Christian Horn

Sizilien im Sommer 1982. Gianni ist 17 und schwul. Die kleingeistige Dorfgemeinschaft will das nicht nur nicht akzeptieren, sondern bekämpft es sogar aktiv. Außenseiter Gianni bekommt gegen seinen Willen die Lippen rot angemalt, wird von seinen Mitschülern angefeindet, selbst seine Mutter begegnet ihm mit Argwohn – weil sie nach eigenen Angaben um den Ruf ihres Sohns besorgt ist. Dann passiert ein Unfall: Als zwei Macho-Typen Gianni auf Mopeds hinterherjagen, prallt dieser mit Nino zusammen, dem sensiblen Teenager aus der Auftaktszene, dem die Kaninchenjagd seines ebenfalls testosterongeschwängerten Onkels nicht ganz geheuer ist. Gianni und Nino werden Freunde und verlieben sich ineinander. Doch als das rauskommt, ist die Hölle los.

Der Regisseur und Co-Autor Giuseppe Fiorello hat in Filmen wie „Baarìa – Eine italienische Familiengeschichte“ (2009) oder „Terraferma“ (2011) bisher vor allem als Schauspieler reüssiert. Daher wundert es nicht, dass sein Augenmerk bei seinem Spielfilmdebüt ganz den Charakteren, ihren Konflikten, Dialogen und Interaktionen gilt – und dass er mit Samuele Segreto und Gabriele Pizzurro zwei vielversprechende Newcomer auf den Punkt besetzt hat. Fiorello nimmt sich Zeit, die vielen Beziehungen, Streitpunkte und Nebenfiguren zu etablieren. Der Figurenreigen erscheint zunächst etwas unübersichtlich, wächst mit zunehmender Laufzeit aber zu einer lebendigen Milieuschilderung heran. Schnell sprühen zwischen Segreto und Pizzurro die Funken. Der Regisseur verlässt sich indes nicht allein auf seine starke Besetzung, sondern arbeitet auch mit den genuinen Mitteln des Kinos, um seine Botschaft zugänglich zu präsentieren.


Man kann „Fireworks” als klassisches Erzählkino, Sittenbild und period piece beschreiben. Das Breitbildformat lässt es zu, dass oft mehrere Figuren gleichzeitig auftreten, wobei der Fokus auch auf der zeit- und umgebungsgerechten Ausstattung, insbesondere den Kostümen liegt. Der Cast trägt Jeans mit Schlag, ärmellose Shirts oder Polohemden sowie Lederschuhe ohne Socken, und versammelt sich anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft um einen Röhrenfernseher auf der Straße. Italien sieht hier ähnlich nostalgisch aus wie in Fatih Akins „Solino“ (2002). Die satten Farben und insbesondere die prägnanten Frauenfiguren erinnern derweil an das Kino Pedro Almodóvars.

Lange wiegen die sonnendurchfluteten Bilder das Publikum in der trügerischen Gewissheit, dass am Ende doch noch alles gut werden wird. Aller Dramatik zum Trotz ist die Stimmung insgesamt lebensbejahend und optimistisch. Dazu trägt auch die bittersüße Musik des sizilianischen Sängers Franco Battiato bei. Gegen Ende aber, als das Geheimnis der Liebenden an die Öffentlichkeit gezerrt wird und unerbittliche Reaktionen hervorruft, verdunkeln sich die Bilder und auch filmisch gewinnt das Melodram die Oberhand. Fiorellos sommerliche Bilder zeigen ganz plastisch, wie schön alles sein könnte – eigentlich. Die zuvor auch mit plakativen Gut-Böse-Schemata etablierte Homophobie schlägt jetzt unerbittlich zu.

Foto: Salzgeber

„Fireworks“ basiert auf einem realen Kriminalfall, der im Oktober 1980 auf Sizilien passiert ist. Das sogenannte „Delitto di Giarre“ führte zur Gründung des Verbands „Arcigay – Associazione LGBTI+ italiana“, der bis heute die wichtigste Plattform für queere Bürger:innenrechte in Italien ist. Auch wenn die Geschichte schon über vierzig Jahre her ist, lässt sich die im Film dargestellte problematische Lebenssituation von Schwulen im damaligen Süden Italiens auf das Heute übertragen. In Italien wurde der Film unter anderem mit dem Globo d’oro als Bester Debütfilm prämiert, was nicht nur als bloßes Lippenbekenntnis in Richtung Vielfalt zu verstehen sein dürfte.

„Fireworks“ ist ein Problemfilm ohne Problemfilmallüren. Fiorello hat begriffen, dass Anspruch und Unterhaltung keine Gegenpole sind, sondern bestenfalls Hand in Hand gehen, um das Publikum wirklich mitzunehmen. Die vielen Vereinfachungen in puncto Figurenzeichnung sind keine Nachlässigkeit, sondern Methode. Das beginnt in der Auftaktszene, in der Nino, sein jüngerer Bruder Totò und sein Onkel mit der Flinte durchs sizilianische Hinterland pirschen, als seien sie in einem Western. Und mündet in eine als Showdown inszenierte Konfrontation zwischen Nino und seinem Vater, bei der parallel ein Feuerwerk abbrennt. Hinzu kommen viele kleinere Momente, die das soziale Klima spürbar machen. Nach dem Mopedunfall etwa verliert Gianni kurz das Bewusstsein. Bevor Nino zur Mund-zu-Mund-Beatmung ansetzt, blickt er prüfend um sich, damit auch ja niemand auf der Landstraße die Erste Hilfe mit einem Kuss verwechselt.

Foto: Salzgeber

Bei all dem wabert im Hintergrund stetig die Fußball-WM und reflektiert auch darüber eine bestimmte Art von Männlichkeit. Nationalstolz, Bier, Muckis, die harte Arbeit im Steinbruch, Frauen als sexuelle Verfügungsobjekte und ein schwuler Jugendlicher, der als „Teufel“ verschrien ist – die Machos haben Oberwasser. Im Finale schlägt Italien die BRD mit 3:1. Auch Gianni und Nino feiern den Sieg – und in einem Moment der Selbstermächtigung auch ihre Liebe. Das letzte Bild zeigt einen landestypischen Roller auf einer Brücke, auf dem Sitz liegt eine Italien-Flagge. Man darf das platt finden, gefällig, seifenopernhaft. Doch gerade wegen der eingängigen Erzählweise spüren nun womöglich auch die Zuschauer:innen aus der letzten Reihe, wie brutal unfair das Spiel gelaufen ist.




Fireworks
von Giuseppe Fiorello
IT 2023, 134 Minuten, FSK 12,
italienische OF mit deutschen UT

Im Juli in der Queerfilmnacht