Making Montgomery Clift

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Am 17. Oktober 2020 wäre Montgomery Clift 100 Jahre alt geworden. Bildhübsch, sensibel und sexuell ambig verkörperte er in den 1950ern und frühen 60ern vor allem die tragischen Antihelden des Hollywood-Kinos – und gilt mit James Dean und Marlon Brando als einer der drei großen „rebel males“. Doch spätestens seit Clifts frühem Tod mit 46 Jahren dominierte in den Medien das Bild des „sad young man“, der sich nie offen zu seiner vermeintlichen Homosexualität bekannt habe und der dem Starsystem zum Opfer gefallen sei. In einem neuen Dokumentarfilm, den es jetzt auf DVD gibt, zeichnen Robert Clift, jüngster Neffe des Filmstars, und Hillary Demmon ein anderes Bild – von einem lebensfrohen, lustvollen und ambitionierten Schauspieler. Unser Autor Matthias Frings über den Versuch eines Gegennarrativs.

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The Full Monty

von Matthias Frings

Dies ist eine ungewöhnliche Filmhommage – interessant, befremdlich, uneinheitlich –, die ganz gewöhnlich beginnt – würdigend, herkömmlich, brav: Ein Sturm fotografischer Abbilder, private wie professionelle, von einem der hellsten Sterne, die das Kino hervorgebracht hat. Montgomery Clift, ein Bild von Mann. Er sieht aus, als hätte Gott persönlich einen Fineliner zur Hand genommen und ihn entworfen. Das Gesicht ein Muster an Gleichmaß, Augen wie Himmelkörper, edle Nase, elegante Augenbrauen, sinnliche Lippen, markante Kinnpartie. Vom stattlichen Körper zu schweigen. Kein Mann, ein Held. Und was ist die erste Aufgabe eines Helden? Fallen muss er.

Gefallen ist Montgomery Clift in der Tat. Hunderte Male, wenn man den Schlagzeilen, Artikeln und Büchern glauben will, die nun auf den Zuschauer einprasseln: A Gay Tragedy!Hellbound for Ostruction!Beautiful Loser!

Gefallene Götter benötigen einen Olymp, von dem sie fallen können und die erzählt die Kinogeschichte immer wieder als Triumph mit tragischen Ende: Clift, so ziemlich das Gegenteil des saftstrotzenden All American Boy, ein kultivierter Schöngeist aus gutem Hause, verbrachte in seiner Jugend viel Zeit in Europa. Er interessierte sich für Kunst und Literatur und arbeitete zurück in den USA folgerichtig zehn Jahre lang ausschließlich als Theaterschauspieler. Selbst als er schon am Broadway funkelte, zeigte er den immer dringlicheren Offerten der Filmwelt die schöne, kalte Schulter.

Hollywood gierte nach diesem Gesicht, akzeptierte kein Nein und lockte mit Hochkarätigem: Schließlich war es „Red River“ (1948) von Howard Hawks, in dem Clift neben John Wayne auf der Leinwand debütierte. A star was born. Spezialisiert auf sensible und tragische junge Männer, was fast wie ein Code für Homosexualität klingt, spielte er äußerst erfolgreich unter anderem bei Hitchcock („Ich beichte“, 1953), Fred Zinnemann („Verdammt in alle Ewigkeit“, 1953) und John Huston („Misfits – Nichts gesellschaftsfähig“, 1961). Er arbeitete mit Marlon Brando, Dean Martin, Frank Sinatra, Clark Gable, Elizabeth Taylor und Marilyn Monroe, erhielt vier Oscar-Nominierungen und weigerte sich standhaft, die eigentlich für Typen wie ihn maßgeschneiderten Rollen anzunehmen, die virilen Helden als romantisches Dreamboat für Frauen und Kumpel für Männer.

Man könnte diesen Dokumentarfilm zu Clifts 100. Geburtstag als Würdigung seines Schaffens anlegen, Clifts Bedeutung für das Kino herausarbeiten und den Menschen Monty ehren, doch nun geschieht etwas Merkwürdiges: Dieser Film wird persönlich, familiär, intim. Urplötzlich beginnt er von etwas anderem zu erzählen, davon nämlich, wie andere Clifts Leben und Arbeit erzählt haben – „Making Montgomery Clift“ eben.

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Noch vor dem Filmtitel schwört eine Stimme aus dem Off das Publikum ein: „This isn’t a film about a man. It’s about what a life is allowed to mean.“ Diese Stimme gehört Robert Clift, der sich als jüngster Neffe des 1966 an einem Herzinfarkt verstorbenen Filmstars vorstellt. Die Familie, so berichtet er in die Kamera, war seit Jahren unglücklich mit der öffentlichen Aufbereitung von Clifts Leben. Ein durch und durch fröhlicher Mensch sei der gewesen, weder verkorkst durch die ambitionierte Übermutter Sunny, wie Robert LaGuardia in seiner Biografie „Monty“ darlegt, noch in Depression, Selbstzerstörung und Sucht getrieben vom Versteckspiel um seine Homosexualität, wie es bei Patricia Bosworth in „Montgomery Clift: A Biography“ zu lesen ist. Besonders die immer wieder beschworene Schwulentragödie scheint die Familie zu stören.

Recht hat er insofern, als Clift ähnlich wie Marilyn Monroe reflexartig als Paradebeispiel des zerrissenen Talents aufgeführt wird, das an den Zwängen Hollywoods zerbricht. Dieser Film, der ansonsten recht konventionell angelegt ist, stemmt sich gegen dieses Narrativ, stellt die Frage nach dem Framing, also danach, wie verlässlich die Bilder und Erzählmuster sind, die wir in Biografien großer (Film)Stars als wahr oder erfunden oder fraglich betrachten. Und er nimmt paradoxerweise selbst an diesem Framing teil, indem er zu Beginn des Films in beschwörendem Ton seine erwünschte Interpretation gleich selbst vorwegnimmt.

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Der große Pluspunkt des Films besteht darin, die Vorstellung eines im Grunde fröhlichen, talentierten, lebensbejahenden Mannes überhaupt in Erwägung zu ziehen. Plötzlich fällt nämlich auf, wie viele der eingangs gezeigten Fotos und privaten Filmaufnahmen einen gelösten bis ausgelassen herumalbernden Menschen zeigen, was in Interviews mit Filmkollegen klar bestätigt wird. Aber natürlich ist das Drama des tragisch zerrissenen Sensibelchens deutlich attraktiver.

Dennoch sollte man keinesfalls unterschätzen, in welchem Maß das klassische Hollywood von seinen Stars Unterwerfung forderte, auch und besonders bei abweichendem Sexualverhalten. Wie Rock Hudson sahen sich nicht wenige Männer (und Frauen) gezwungen zu heiraten, und selbst dann muss die ständige Angst vor Erpressung und Enttarnung mörderisch gewesen sein. Auch Montgomery Clift hat das hohe Maß an Selbstverleugnung nicht problemlos weggesteckt, wie seine gut dokumentierten Alkohol- und Tablettenabhängigkeit beweist. Die hier gezeigten Ausschnitte aus Talkshows zeigen einen mit Grabesstimme nuschelnden Mann, der Mühe hat, Fassung zu bewahren.

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Motor dieses Versuchs einer filmischen Ehrenrettung, ist offensichtlich Montgomery Clifts Bruder Brooks Clift gewesen, gleichzeitig der Vater des Regisseurs dieses Films. Fast manisch hatte er eine Art Schrein für seinen Bruder aufgebaut, jedes Fitzelchen Papier, jedes Foto gesammelt und hunderte von Bändern mit familiären Telefongesprächen aufgezeichnet, eine Familienangelegenheit, eine Frage der Ehre. Besonders Brooks kommt hier zu Wort, der in einem kleinteiligen Hickhack ausgiebig gegen die Biografien und BiografInnen argumentiert, ein Furor, der etwas langweilt und sehr nervt. Brooks Clift erweist sich als Überbruder, der sein Recht auf die Interpretation des Lebens seines Bruders geltend macht.

Einer dieser Nachkommenfilme also, bei denen die Macher vielleicht etwas zu nah dran sind, um das Bild in seiner ganzen Breite zu sehen. Man solle sich doch bitteschön nicht immer nur auf Homosexualität und Alkoholmissbruch, Tragik und Tabletten stürzen, sondern die Leistungen des Ausnahmeschauspielers würdigen. Vielleicht hätte der Film das selbst beherzigen sollen, der zwar zahlreiche, aber doch recht kurze Ausschnitte seines Schaffens bietet und auch ansonsten nicht unbedingt eine kenntnisreiche künstlerische Einordnung vornimmt.

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Dabei wäre hier vieles der Betrachtung wert gewesen: Sowohl Clifts ebenso moderne wie souveräne Charaktergestaltung – zurückhaltend, psychologisch grundiert, leise, durchlässig – als auch die Prägung eines ganz neuen Männerbildes im amerikanischen Mainstream machen ihn zum Vorreiter. Ein neuer Typus tritt auf, sensibel, empfänglich, mit Eleganz und einem gewissen Maß an First-Class-Erotik. Clift wird zum Sexsymbol der denkenden Frau und Sehnsuchtsobjekt unzähliger schwuler Männer, die bei ihm eine Form von akzeptabler und akzeptierter Maskulinität schätzen. Wie neu dieses Männerbild war, lässt sich besonders in den Filmen begutachten, in denen er als Gegenüber von John Wayne und Clark Gable so unendlich frisch und beweglich wirkt. Kein Wunder, dass beide ihn verabscheut und angefeindet haben.

Montgomery Clifts größte Leistung für die Filmgeschichte bestand wohl darin, einer kompletten zukünftigen Generation männlicher Akteure die Türen weit geöffnet zu haben. Ohne ihn wären weder James Dean noch Marlon Brando jemals denkbar gewesen.




Making Montgomery Clift
von Robert Clift & Hillary Demmon
US 2018, 89 Minuten, FSK 6,
englische OF mit deutschen UT,

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Ab 26. November als DVD und VoD.

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