Männerfreundschaften

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Wie schwul waren eigentlich Goethe und seine Zeitgenossen? Inspiriert von Robert D. Tobins geistesgeschichtlicher Studie „Warm Brothers – Queer Theory and the Age of Goethe“ (2000) geht Rosa von Praunheim in seinem neuen Film Homoerotik und -sexualität in der Weimarer Klassik auf den Grund. Briefwechsel, Lyrik und dramatische Texten aus der damaligen Zeit inszeniert er mit Schauspielern an den Orten ihres Entstehens; Interviews mit Literaturwissenschaftlern und Historikerinnen kommentieren die teilweise skurrilen Re-Enactments. Dennis Vetter über eine amüsante und überaus politische Geschichts-Collage, die kritisch auf die Gegenwart deutet – und morgen in den deutschen Kinos startet.

Foto: missingFilms

Kabale und Liebe

von Dennis Vetter

Rosa von Praunheims neuer Film lässt sich prägnant zusammenfassen: „Männerfreundschaften“ beschäftigt sich mit den sexuellen Vorlieben einer Reihe von Promis der deutschen Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Im Zentrum steht zunächst Grundlagenarbeit zu Goethe und Schiller, deren Freundschaft zu ihren Lebzeiten bei weitem nicht die einzige mit homoerotischen Untertönen war. Entlang von Zeitgenossen wie Wilhelm und Alexander von Humboldt, Kleist oder Winckelmann skizziert er fiebrige Brieffreundschaften, fabuliert in Re-Enactments mit Schauspieler*innen Intimitäten herbei und kratzt in Interviews mit Experten an historischen Spekulationen. Viele der behandelten Figuren hätten selbst wohl gar nicht formulieren können, dass sie schwul sein könnten, weil es klar definierte homosexuelle Identitäten und folglich auch einen Hetero-Begriff bis dato gar nicht gab.

Von Abenteuern im Ausland ist in „Männerfreundschaften“ die Rede und von ungesehenen Küsschen. Von Polysexualität und einem Goethe, der selbst vor rasierten Affen nicht Halt gemacht hätte. Von den Ursprüngen des Drag in den extravaganten Roben von Herzog Emil August, der selbst für Napoleon nicht Willens war, auf seine Garderobe zu verzichten. Von einem ganzen Zoo aus Eichhörnchen sprechen Kenner seiner Biografie, von Hühnern und allerlei Getier in den Gängen seines Schlosses, durch die sich fein gekleidete Gäste für eine Audienz bewegen mussten – um dann völlig zerzaust vor dem Herrscher anzukommen.

Letztlich will Praunheim wie in all seinen Filmen aber ganz unmittelbar in die Gegenwart. Das wird besonders anhand einer finalen Schlammschlacht deutlich: Wie Heinrich Heine einst August von Platen öffentlich der Männerliebe anklagte, ist bis heute im Gedächtnis geblieben – ebenso Platens antisemitische Gegenangriffe auf Heine zu der Zeit, als erstmals öffentliche Hetze gegen Juden zum Thema wurde.

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Durch die Männerfreundschaften, die der Film zunächst feingliedrig verhandelt, erschließen sich umso präziser die Mentalitäten, aus denen symbolische Feindschaften der Zeit entstanden sind und sich politische Konsequenzen für alle Beteiligten entwickelten. Die Zielrichtung: Rosa von Praunheim markiert die Verfolgung, Pathologisierung und Ermordung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung im 19. und 20. Jahrhundert als bis heute anhaltendes Politikum. Die Gegenwart, so die These seines Films, hat die Stellungskriege und Eitelkeiten der Vergangenheit nie vollends überwunden. Zu tief sitzen die machtpolitischen Logiken, die aus der wissenschaftlichen Kategorisierung des Sexuellen resultierten. Rosa von Praunheim skizziert die Erforschung des Privaten als eine von zahlreichen Strategien der Diskriminierung, über Generationen hinweg.

Neben der Wissenschaft bleibt auch die Kunst nicht unbedarft. Sie entpuppt sich nicht nur bei besagter Schlammschlacht als Streitpunkt und Austragungsort, als Politikum und Vehikel für Grabenkämpfe. Rosa von Praunheim verhandelt eine Komplizenschaft klassischer Kunstbegriffe und des Politischen, im positiven wie im negativen Sinne. Goethe etwa gelang es, sich durch seinen wachsenden künstlerischen Einfluss von den Begrenzungen seiner Zeit zu emanzipieren. Doch auch ihm hätten Sanktionen gedroht, hätte er zum Beginn seiner Karriere von italienischen Jungs geschwärmt. Und auch er selbst verhängte Sanktionen, indem er jüngere Stimmen wie Kleist blockierte. Die Sache bleibt also kompliziert.

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Freundschaftliche Intimität, auch die Idee von künstlerischer Freundschaft, wird im Film zu einem Konzept der persönlichen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen, zu einer Perspektive für Solidarität über politische Strukturen hinweg. Für die Re-Enactments des Vergangenen würfelt der Regisseur eine junge Schauspieltruppe zusammen und lädt sie ein, Goethes und Schillers Zeitgenossen ein Gesicht zu verleihen und deren Manieren unter Beweis zu stellen. Alle kleiden sich für die Männerfreundschaften an – auch der Regisseur selbst – und schwirren verspielt vor der Kamera umher, sprechen ins Bild und miteinander, vor einem queeren Gegenwartspublikum, in abstrakten Räumen, auf dem Marktplatz, im Wald hinter Masken hervor und unter Perücken heraus.

Den Promis aus Goethes Zeit verleiht Rosa von Praunheims Aufarbeitung eine gestelzte Lächerlichkeit und gleichermaßen eine sorgsam abgemessene Greifbarkeit – bis hin zu detaillierten Gedanken über deren Mundgeruch, die der Regisseur als medialer Gastgeber selbst genüsslich der Kamera darlegt. Der Manierismus der Vergangenheit erweist sich auch durch die Interviewgäste von hohem akademischem Rang als zeitloser Wesenszug des Menschen und wird zum spielerischen Gegenstand einer filmischen Verhandlung, die sich dann doch weniger als manieriert denn als uneitel entpuppt. Nicht zuletzt durch die auffällig hässlichen Bilder des Films.

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Von Szene zu Szene greift „Männerfreundschaften“ zudem deutlicher die Idee einer beschränkten und endlichen Prominenz auf, die in der analogen Goethe-Zeit selbstverständlich war. Insbesondere bei den Szenen des Films, in denen die Schauspielenden im öffentlichen Raum auf Marktplätzen auftreten, und bei Aufnahmen von historischen Kleinstadt-Feierlichkeiten mit schick kostümierten, ahnungslos dreinblickenden Leuten entfaltet der Film ein Interesse an dem Vermessenen und Ungelenken, das Menschen in der Konfrontation mit dem öffentlichen Blick stets begleitet. Auf sonderbare Weise klingt in „Männerfreundschaften“ damit auch Rosa von Praunheims Agitation des öffentlichen Menschen nach, die ihn nach seinem TV-Auftritt bei der RTL-Talkshow „Der heiße Stuhl” im Jahr 1991 einst zum Ziel zahlreicher medialer und persönlicher Angriffe machte. Anders als bei den Schlammschlachten zu Heines Zeiten nahm von Praunheim hier in Kauf, sich selbst zum Ziel zu machen und damit seine Karriere zu ruinieren. Als er die schwulen TV-Promis der frühen Neunziger outete, um schwule Identifikationsfiguren zu schaffen, kamen die Angriffe gegen ihn nicht nur von der Presse, sondern auch von engen Freunden. Von den Menschen also, deren Stimme wirklich zählt.




Männerfreundschaften
von Rosa von Praunheim
DE 2018, 85 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,

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Ab 13. Dezember hier im Kino.

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