Daniel Zomparelli: Die Welt ist schlecht und du bist echt unausstehlich

Buch

Der kanadische Schriftsteller Daniel Zomparelli lässt in seinen originell miteinander verwobenen Short Stories schwule Männer Büromaterial klauen, sich über Grindr verabreden, Obstkuchen backen und Dreier mit Geistern haben. Was seine neurotischen Großstädter am Rande des Nervenzusammenbruchs eint, ist die Angst vor dem Glück. Der nun in deutscher Sprache erschienene Band mit dem taktgebenden Titel „Die Welt ist schlecht und du bist echt unausstehlich“ ist sarkastisch, komisch, zutiefst traurig und ein schlicht umwerfend gut komponiertes Prosadebüt über flüchtigen Sex und dysfunktionale Beziehungen im Zeitalter der Dating-Apps, findet unser Rezensent Axel Schock.

Geschichten aus der Datinghölle

von Axel Schock

Zugegeben, es fällt schwer bei dieser Vielzahl an Personen den Überblick zu behalten: Da sind Steve, Erik, Anthony, Jacob und Danny, nicht zu vergessen Kevin, Ryan und Darryl. Abgesehen davon tragen sie in der virtuellen Welt der schwulen Dating-Apps und sozialen Medien noch ganz andere Namen. Sie sind die HarleyQueen, der PornoBart oder der MuskelMann. Oder sie haben von ihren Dating-Partnern Spitznamen wie IchKannNochMehr und Tropen-Bill-Murry verpasst bekommen. Derlei Gedächtnisstützen helfen dem beharrlichen Online-Cruiser, die diversen Dates und Dudes auseinanderzuhalten.

Daniel Zomparelli führt uns mit seiner 2017 veröffentlichten Sammlung von 32 Short Stories – manche sind nur ein paar Zeilen, andere ein Dutzend Seiten lang – das Problem gewissermaßen unmittelbar vor Augen. Selbst in einer Metropole wie Vancouver, wo die Geschichten des kanadischen Autors fast durchweg spielen, scheinen alle schwulen Männer unter 40, die nach einem Sexdate, der großen Liebe oder beidem suchen, miteinander verbandelt – und sei es über zwei Betten. Wer in dem einen Text nur als Chat-Partner auftaucht, wird  in einem anderen zur Hauptfigur und erzählt dort einem neuen Date von eben jenem merkwürdigen Typen, dessen Chat-Dialog uns Zomparelli zuvor in Gänze präsentiert hat.


;p

Soll heißen?

Na ja, also ;p halt na ja

Hä?

Na wie: Ich hab was gesagt und jetzt
Isses irgendwie Murks, also ;p

Tut mir leid, aber damit kann
ich echt nichts anfangen.

 

Gerade bei diesen Chats zeigt sich Zomparelli als perfider Beobachter des schwulen Zeitgeists (oder vielleicht besser: als erfahrener schwuler Nutzer sozialer Medien). Oft genügen nur ein paar Chat-Nachrichten, um das ganze Leid und Elend, aber auch die unfreiwillige Komik samt der unvermeidlichen Cruising-Debakel im Zeitalter von Smartphone, Grindr & Facebook vorzuführen.


Neil
: Und, wie siehst du aus?

Anthony: Braune Haare und blaue Augen.
Und ich bin Surfer, also ziemlich fit.

Neil: Hm, ich stehe eigentlich mehr auf Asiaten.

Anthony: Ganz vergessen, ich bin halb Asiate.

 

Das hat bisweilen die pointierte Schärfe und klug beobachtete Boshaftigkeit einer gut geölten Comedy. Zumal Zomparelli uns auch noch vorführt, wie man eine Trennungsgeschichte in Form einer Hotelbewertung auf einem Booking-Portal erzählen und Geschichten durch Therapiegespräche miteinander verbinden kann.

Daniel Zomparelli – Foto: Luke Fontana

Doch Zomparellis Short Storys sind mehr als das. Denn in diesen mit trockenem Humor erzählten Momentaufnahmen aus der Dating- und Cruisinghölle offenbart sich unaufdringlich, aber unübersehbar die Angst vor Intimität wie vor der Einsamkeit; der Wunsch nach Perfektion und das zwangsläufige Scheitern an den hohen Anforderungen. Widersprüche, die kaum einer der Protagonisten für sich aufzulösen vermag. Dazu adaptiert Daniel Zomparelli für sich eine literarische Form, die in der queeren Literatur der westlichen Welt eher selten ist: den magischen Realismus.

Gleich die erste Geschichte, „Man kann auch mit Gespenstern zusammen sein“, ist ein besonders gelungenes Beispiel dafür. Der Mittzwanziger Jared zieht mit seinem neuen Freund Derek zusammen. Der aber hängt noch an seinem verstorbenen Ex. Keine leichte Situation also für Jared, wenn der Vorgänger gewissermaßen unsichtbar mit im Raum und zwischen der neuen Beziehung steht. Vor allem, wenn Derek auch noch behauptet, den eifersüchtigen Toten im wahrsten Sinne spüren zu können. Okay, denkt man: Derek ist noch lange nicht über den Ex hinweg, und anstatt seinen Lover zum Therapeuten zu schicken, um die Trauer zu verarbeiten, macht Jared den Geisterblödsinn auch noch mit. Doch Zomparelli spinnt diese fixe Idee einfach weiter. Was zunächst wie Wahn, Wunsch oder Hirngespinst erscheint, entwickelt sich bei Zomparelli zu einem vielleicht etwas bizarren, aber sehr realistischen Dreier mit Geist.

Was diese Geschichten dabei so verstörend und berührend macht: Sie zielen nicht einfach nur auf eine möglichst überraschende oder groteske Schlusspointe hin. Vielmehr erleben wir, wie ein offensichtlich als Metapher für Depressionen, Einsamkeit, Trauer oder Body-Shaming eingesetztes Bild sich verselbstständigt, die Geschichte immer weitertreibt und die psychischen Grenzsituationen der Charaktere tatsächlich greifbar macht. Da ist beispielsweise der Mann, der sich in seiner Haut nicht wohlfühlt, und nun rutscht sie ihm, wenn er sie nicht unter Kontrolle hält, tatsächlich einfach vom Leib. In „Klasse Shorts, Bro“ wirft ein von einem Unbekannten beiläufig auf der Straße ausgesprochenes Kompliment einen Büroangestellten komplett aus der Bahn. Wie war das wohl gemeint? Verächtlich, ironisch oder etwa ehrlich? Es braucht nun nur noch etwas Milch im Kaffee des Laktose-Intoleranten, um die Situation völlig eskalieren – und in eine sonderbare SM-Nummer münden zu lassen.

Sechs Jahre hat Zomparelli an diesem für den kanadischen Ethel-Wilson-Literaturpreis nominierten Band gearbeitet. Währenddessen hat er nicht nur die Lyrikzeitschrift „Poetry is Dead“ mitbegründet und sich als Co-Moderator des Literatur-Podcasts „Can’t Lit“ betätigt, sondern selbst zwei Lyrikbände – „Davie Street Translations“ (2012) und, gemeinsam mit Dina Del Bucchia, „Rom Com“ (2015) – veröffentlicht. Auch seine Prosa scheint verdichtet. Befreit von allen verzichtbaren Ausschmückungen und Abschweifungen bedient sich Zomparelli einer klaren, aufs Wesentliche reduzierten Sprache und Erzählweise. Was auf den ersten Blick schlicht erscheint, ist in Wahrheit einfach nur schnörkellos perfekt.




Die Welt ist schlecht und du bist echt unausstehlich
Storys
von Daniel Zomparelli
aus dem Englischen von Nicola Heine und Timm Stafe,
Klappenbroschur, 240 Seiten, 18 €,
Albino Verlag