Love Club

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Dem queeren „Love Club“ in Mailand droht die Schließung. Vier Stammgäste stehen noch vor ganz anderen Herausforderungen: Wird Luz einen Weg für die Beziehung mit ihrer Freundin finden? Wird Tim seinem Traum als DJ folgen? Wird Rose sich trauen, auf der Bühne zu singen? Und wird Zhang die Dragqueen sein, die er schon immer sein wollte? Der Love Club ist die Bühne für ihr Leben: Ein Ort für Freundschaft, Liebe, Sex und viele unerwartete Wendungen. Die vierteilige Miniserie „Love Club“ ist eine Feier der queeren Partykultur, ihrer Sehnsüchte und Träume. Jetzt ist der italienische Hit als VoD in Deutschland zu sehen. Eine Serie, „die den Rausch der Nacht zelebriert und tagsüber die Scherben aufkehrt“, findet unser Autor Christian Horn.

Foto: Salzgeber

Alles wird gut!

von Christian Horn

Technobeats im pinken Neonlicht, ein nebliger Dunst wabert durch den Raum, tanzende Körper im Rhythmus der Nacht. Die Kamera lotet den Club mit einem Schwenk aus, Männer küssen Männer, Frauen knutschen Frauen. Eine verschwindet mit einer anderen im Separee, es geht explizit zur Sache, die Namen werden hinterher an der Bar ausgetauscht.

Dann ein Zeitsprung. Ein Jahr später, helles Tageslicht, die zwei sind ein Paar geworden. Eigentlich soll die Beziehung zwischen der Barkeeperin Luz (Veronique Charlotte) und ihrer Eroberung Roberta (Martina Rinaldi) eine neue Stufe erreichen, doch es rumpelt, Verletzungen, Liebeskummer und dann all die anderen Probleme. Luz‘ Beziehung zu ihrer wohlhabenden Mutter ist hoffnungslos eisig, zudem ist der queere Club, in dem sie als Teil eines Kollektivs arbeitet und den wir aus der ersten Szene kennen, von der Zwangsräumung bedroht. Ein großes Event, bei dem alle zusammenkommen, soll Rettung bringen.


Ihren Puls und Herzschlag offenbart die italienische Miniserie „Love Club“, direkt am Anfang. Der titelgebende Club in Mailand wird in den vier jeweils halbstündigen Episoden noch öfter als ekstatischer Feier- und Rückzugsort der queeren Party-Community inszeniert. Regisseur Mario Piredda fängt die vibrierende Atmosphäre dieses Ortes in stilisierten Aufnahmen ein, die das Publikum mit künstlichem Licht, treibender Musik und regelmäßigen Zeitlupenpassagen erfolgreich ins Nachtleben reißen. Der Club ist eine Bühne für das bunte Leben, das Feiern lenkt vom Kummer ab und gehört zur Selbstbehauptung. Auch manch kreisende Kamerafahrt und andere Spielereien können wie eine Pose wirken, etwa wenn auf der Clubtoilette zu klassischer Musik feierlich geblasen wird. Aber auf jeden Rausch folgt in jeder der lose miteinander verbundenen Folgen eine Ernüchterung, und wir sind ganz nah bei den unterschiedlichen Charakteren und ihren tief sitzenden Problemen.

Piredda hat mit „Love Club“ eine episodische Serie gedreht, die den Rausch der Nacht zelebriert und tagsüber die Scherben aufkehrt. Wie in seinem Spielfilmdebüt „L’agnello“ („The Lamb“, 2019) geht es auch in seiner neuen Regiearbeit viel um familiäre Beziehungen, ob Wahlfamilie oder Herkunftsfamilie. Der enge Zusammenhalt der queeren Community, die außerhalb ihrer eigenen Räume oft den Feindseligkeiten des Alltags ausgestzt ist, bleibt bei Licht betrachtet indes eher eine Behauptung, die Luz in einer Ansprache zur Rettung des Clubs auf Social Media in den Raum wirft.

Foto: Salzgeber

Denn die Figuren aus den vier Episoden agieren unabhängig voneinander, ihre Geschichten überschneiden sich kaum mit denen der anderen. Die Klammer ist der Club. Und der Umstand, dass alle der Figuren dafür kämpfen, ihr äußeres Leben mit ihren inneren Wünschen in Einklang zu bringen und dabei immer wieder Rückschläge durchstehen müssen. Erst das finale Event führt die Hauptfiguren zusammen, allerdings auch dann ohne allzu direkte Interaktion. Die Grenze zwischen einer Miniserie und vier thematisch wie inszenatorisch aufeinander abgestimmten Kurzfilmen bleibt hier fließend.

Die zweite Folge zum Beispiel startet mit einer ähnlichen Partysequenz wie die erste. Diesmal liegt der Fokus auf dem DJ Tim (Rodrigo Robbiati), der mitten im Gig am Pult kollabiert. Ein Jahr später arbeitet er in der Pizzeria seines Bruders, will aber eigentlich wieder auflegen – wären da nicht seine psychischen Probleme. Als Tim wieder eine Panikattacke hat und keine Luft bekommt, hilft ihm der zufällig vorbeilaufende Gamer David (Pietro Turano). Der erzählerischen Kurzform einer Miniserie gemäß geht das spontane Kennenlernen rasch in tiefgründige Gespräche über, bevor ein Missverständnis die gerade beginnende Liebe wieder zu ersticken droht. Die dritte Episode folgt wiederum der jungen Rose (Ester Pantano), die als Webcam-Performerin ihr Geld verdient, aber von einer Gesangskarriere träumt. Doch seit ihr dementer Vater ausgerechnet während eines Auftritts seiner Tochter verstorben ist, trauert sie in sich gekehrt und wagt sich nicht mehr als Sängerin auf die Bühne. Als sie dann doch wieder ihre Stimme findet, hören wir in einem der schönsten Momente der Serie, dass sie wirklich meint, was und wie sie singt; dass sie es gefühlt und erlebt hat.

Foto: Salzgeber

Dieser queere Mailänder Mikrokosmos, den Mario Piredda mit markanten Figuren und klaren Konflikten bevölkert, fühlt sich nicht immer sonderlich innovativ an, ist aber allemal unterhaltsam und gut gespielt. Piredda dekliniert die Schattierungen der Liebe und verschiedener Lebensentwürfe durch, wirft sein Personal in Hochs und Tiefs, streift Themen wie Rassismus, Trauer, sexuelle Übergriffe oder toxische Beziehungen – doch am Ende ist immer die im Titel verankerte Liebe wieder obenauf. Sie hellt auch die Stimmung des DJs Tim auf, was sich bei seiner nächsten Schicht am Pizzaofen auch ästhetisch in sonniger Ausleuchtung und glücklichen Gesichtern in Zeitlupe zum Pop-Soundtrack überspitzt widerspiegelt.

Und Luz, die ihren Kummer zwischenzeitig mit Wodka zu lindern versucht, gibt letztlich auch ein tolles Paar mit Roberta ab. Die zwischenmenschlichen Momente, auf die Piredda immer wieder abhebt, funktionieren durch die Bank gut. Letztlich steht das emotionale Gepäck der Figuren im Zentrum und nicht der Oberflächenglanz der Partynächte. Wie im starken Schlussbild der zweiten Folge, das Tim und David auf dem Moped zeigt und eben nicht das nächste DJ-Set. Stilistisch schlägt sich die Reibung zwischen den Figuren auch in den immer wieder im Bild eingeblendeten Chatverläufen und verpassten Anrufen nieder.

Foto: Salzgeber

Die finale und vierte Folge greift das angekündigte Großevent im Love Club wieder auf. Zhang (Alessio Lu), der im Berufsleben als Anzugträger Leute über den Tisch zieht, will dort in einem Kleid seiner verstorbenen Mutter als Dragqueen auftreten. Sein herrischer Freund Antoine (Maxcene Dinant) ist davon überrascht und schießt verletzend dagegen: „Du bist lächerlich.“ Und auch vor seinem Vater versteckt Zhang sein wahres Ich. Dass sein Ringen um die eigene Befreiung am Ende der Serie steht, passt schon deshalb, weil Zhang von allen vorgestellten Figuren die höchste Fallhöhe hat und damit den größten Triumph erleben darf.

Als lose miteinander verbundenes Gesamtpaket endet „Love Club“ passend auf einer wunderbar melancholischen Note, die trotzdem das Leben feiert. Ein letzter Auftritt all unserer Held:innen mit Glitter und Opernmusik, in positiv kämpferischer Stimmung. Und auch wenn nicht alles an dieser schönen, kleinen Serie vollends aufgeht, könnte man sie doch gern noch eine Weile weiterschauen.




Love Club
von Mario Piredda
IT 2024, 120 Minuten (4×30 Minuten), FSK 16,
italienische OF mit deutschen UT

Auf VoD im Salzgeber Club