Life Is a Moment

Trailer

„Bollywoods Antwort auf ‚Brokeback Mountain‘“ versprachen indische Medien, als 2010 „Dunno Y… Na Jaane Kyun“ in die dortigen Kinos kam. Der Film – ein B-Movie um die Liebe zwischen einem Geschäftsmann und einem schwulen Nachwuchsschauspieler, das von plötzlichen Handlungsumschwüngen, Softporno-Ästhetik und allerhand Klischees geprägt ist – lässt den Vergleich gewagt erscheinen. Die Quasi-Fortsetzung „Life Is a Moment“ hat es nun aber sogar in die deutschen Kinos geschafft. Ein Film, dem es an Zwischentönen mangelt, der sich vielleicht aber gerade deswegen als Ausgangspunkt für einen kleinen Diskurs über Queerness in Bollywood anbietet.

Foto: GMfilms

Hungry Hearts im Culture Clash

von Florian Krauß

„Life is a Moment“ („Dunno Y2… Life Is A Moment“) variiert die Geschichte seines Vorgängers mit fast identischem Cast in neuer Kulisse. Statt ins Showbusiness Mumbais tauchen wir nun mit dem Pakistaner Aryan in die vermeintliche Queer-Szene Norwegens ein. Dessen Familie plant Geschäfte in Skandinavien. Und die anstehende heterosexuelle Verlobungsfeier soll kurzerhand hier stattfinden. Aber wenige Tage bevor Freundin und Familie ankommen, lernt Aryan den indischen Sexarbeiter Ashley in der Herrensauna kennen. Aryan bucht den jungen Mann, und es kommt, wie es kommen muss: Die beide verlieben sich ineinander.

Verglichen mit dem Vorgänger ist die Handlung konzentriert. Aber auch „Life Is a Moment“ bleibt in vielen eigentlich interessanten Aspekten nur skizzenhaft und wechselt abrupt zwischen großen Themen hin und her, insbesondere was den Konflikt zwischen individuellem homosexuellen Begehren und kollektivem Familienwohl betrifft. Song-and-Dance-Nummern mit den südasiatischen Protagonisten und der weiblich dominierten Hungry Hearts Performance Band greifen vor allem den indisch-norwegischen Kultur-Clash auf. Wenn eine Frau mit blonder Kurzhaarfrisur „Die große Fickerei“ durch ein Megaphon brüllt und ihre lesbischen Freundinnen dazu marschieren, gesellen sich gar deutsche Lyrics zu dem waghalsigen Kulturmix. In den beiden Hauptfiguren prallen ebenso Kulturen aufeinander, denn Ashley ist hinduistischer Inder und Aryan muslimischer Pakistaner. Letzterer betont die gemeinsame Herkunft und fühlt sich dem Wohl seiner Familie verpflichtet. Hier scheint „Life Is a Moment“ ideologisch recht nah bei den in Indien zeitweise sehr populären Hindi-Familien-Filmen, die die kulturelle Identität von NRIs (Non Resident Indians) in der Ferne verhandeln.

Ästhetisch fällt die indisch-norwegische Koproduktion dann doch deutlich hinter entsprechenden Bollywood-Mainstream zurück. Wüsste man nicht von der Herkunft des Films als indisches B-Movie, so müsste man dem Film noch viel entschiedener eine verkürzte, westliche Perspektive auf das populäre Hindi-Kino attestieren. Ganz so simpel, wie das Gezappel von Ayryan, Ashley und den norwegischen Lesben zu Elektrobeats suggeriert, sind dessen Gesangs- und Tanz-Szenen nämlich doch nicht gestrickt.

Ein grundsätzliches Problem westlicher Bollywood-Parodien der frühen 2000ern lag darin, dass bereits die Originale aus Mumbais Filmindustrie selbst extrem selbstreferentiell sind und sich meist weit eleganter und filmhistorisch kundiger auf die Schippe nehmen als ihre europäischen oder US-amerikanischen Kommentare. Ein Paradebeispiel hierfür ist etwa „Om Shanti Om“ (2007). Die queere Persiflage, auf die das indische-norwegische Regieduo von „Life Is a Moment“, Sanjay Sharma und Tonje Gjevjon, wohl hinaus wollte, gab es schon vor mehr als zehn Jahren witziger und pointierter in dem indischen Kurzfilm „The Pink Mirror“ („Gulabi Aaina“, 2003).

Im Kontext des kommerziellen Hindi-Kinos betrachtet, ist an „Life Is A Moment“ und dem Vorgänger „Dunno Y… Na Jaane Kyun“ zumindest bemerkenswert, wie explizit schwuler Sex dargestellt wird. Mitunter driften beide Filme jedoch in trashige und exploitative Gefilde ab, wo auch der Bollywood-Thriller „Girlfriend“ (2004) um die männermordende Lesbe Tanja zuhause ist. Es sagt freilich einiges über die indische Gesellschaft und ihre Filmindustrien aus, dass oft nur solche durchwachsenen B-Movies das ‚Skandalthema‘ Homosexualität anpacken.

Foto: GMfilms

Andererseits öffnet sich der Hindi-Mainstream aktuell zaghaft für interessantere homosexuelle Figuren: „Kapoor & Sons“ (2016), ein in Indien sehr erfolgreiches Familiendrama vom Star-Produzenten Karan Johar, weist einen schwulen Sohn auf, der weder Psychopath noch überkandidelte Sissy ist. Schon seit einigen Jahren bemüht sich der Regisseur Onir um positive Sichtbarkeit von Schwulen, etwa in dem Episodenfilm „I Am“ (2011).

Und auch jenseits von Bollywood, im bengalischen Kino, das den Ruf hat, arty und intellektuell zu sein, gibt es Queeres zu entdecken: „Just Another Love Story“ („Aarekti Premer Golpo“, 2010) von und mit Rituparno Ghosh porträtiert die Beziehung zwischen einem Dokumentarfilmer, den man nach westlichem Vokabular als trans klassifizieren könnte, und seinem/ihrem bisexuellen Kameramann. Die klare Gegenüberstellung von homo- und heterosexuell – so zeigt sich hier – eignet sich oft nur bedingt, um alternative Liebeskonstellationen in Indien zu beschreiben.

„Life Is a Moment“ ist von derart feinen Zwischentönen weit entfernt. Einer alleinigen Einordnung als Trash verweigert sich der Film jedoch auch, indem er sehr deutlich Botschaften formuliert: Im schwulen Hochzeitsfinale bekundet Ashleys Mutter, der neuen Generation anzugehören und alles zu honorieren, was richtig sei. „This is your happiness. Don’t be sorry“, gibt Aryans Mutter ihrem Sohn mit auf den Weg. „Dunno Y… Na Jaane Kyun“ schloss noch mit einem tragischen, an „Brokeback Mountain“ angelehnten Ende. „Life Is a Moment“ führt Homosexualität und Familienglück zusammen.

 



Life Is a Moment
von Tonje Gjevjon & Sanjay Sharma
IN/NO 2015, 94 Minuten, FSK 12,
norwegisch-indische OF mit deutschen UT,

GMfilms

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