Caracas, eine Liebe: Interview mit Lorenzo Vigas

Lorenzo Vigas legt Wert darauf, in seinem preisgekrönten Drama „Caracas, eine Liebe“ keine dezidiert schwule, sondern eine universelle Liebesgeschichte zu erzählen. Dennoch zeigt sein Film auch, wie verbreitet Homophobie noch heute in weiten Teile Lateinamerikas ist. Viele Eltern hätten lieber einen Gangster als Sohn als eine Schwuchtel. Mit SISSY hat er darüber gesprochen, was das mit Katholizismus und Machokultur zu tun hat.

Foto: Alexandra Bas

Was es heißt, ein Vater zu sein

Interview: Thomas Abeltshauser

 

In „Caracas, eine Liebe“ verlieben sich Armando, ein älterer Mann aus der Mittelschicht, und der junge Kleinkriminelle Elder. Inwiefern reflektiert diese sehr spezifische Geschichte die Situation in Caracas oder in Venezuela allgemein?

Wir sind gesellschaftlich in einem sehr heiklen Moment, es gibt kaum eine Auseinandersetzung zwischen den Klassen, zwischen der Regierung und der Bevölkerung. Deswegen ist Armando als Figur so interessant, weil er nicht in der Lage ist zu kommunizieren oder eine emotionale Bindung zu seinen Mitmenschen aufzubauen. In seinen sexuell aufgeladenen Begegnungen gibt es noch nicht einmal Körperkontakt, alles ist auf Distanz. Und als er Elder begegnet, prallen plötzlich zwei Welten aufeinander: Elders Alltag auf der Straße, der sehr physisch ist, wo man sich umarmt und küsst, und Armandos, ein Spiegel der anderen Seite des Landes.

Ihr Film hat eine ganz eigene Ästhetik. Wie haben Sie diese ungewöhnliche Bildsprache entwickelt?

Für Armando hatte ich die Idee, viel mit Unschärfe zu arbeiten, als ob er sich wie ein Geist in Caracas bewegt. Er ist physisch präsent, aber emotional ist er in der Vergangenheit gefangen, in den Erinnerungen an seine Mutter und seinen Vater. Er nimmt nicht wirklich teil am täglichen Leben und ich wusste zunächst nicht, wie ich das darstellen kann. Dann begann ich mit Unschärfen zu experimentieren und mit Andeutungen – Dingen, die außerhalb des Kamerablicks stattfinden. Es war zunächst nur eine Idee. Manchmal funktionieren Experimente, manchmal aber auch nicht.

Es ist zehn Jahre nach „Brokeback Mountain“ der erste Film mit einer schwulen Thematik, der in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen hat. Sie wehren sich aber gegen dieses Label und sagen, es sei eine universelle Liebesgeschichte. Warum?

Es geht um Liebe. In Großbuchstaben: LIEBE. Es geht um emotionale Bedürfnisse. Stellen Sie sich vor, es wäre eine 60-jährige Frau, die Elder all das gibt: Aufmerksamkeit, Zuneigung, finanzielle Unterstützung – all die Dinge, die er bis dahin nicht hatte. Dann hätte er sich wahrscheinlich in sie verliebt. Es geht um die unmögliche Liebe zwischen zwei Menschen aus völlig unterschiedlichen sozialen Milieus und wie daraus trotzdem eine Beziehung gedeiht. Es nur eine schwule Liebesgeschichte zu nennen, wäre zu simpel.

Aber trotzdem wählen Sie genau diese Geschichte.

Ja! In Lateinamerika sind wir in vielen gesellschaftlichen Fragen hinterher, ein großer Teil der Bevölkerung ist homophob, nicht nur in Venezuela, auf dem ganzen Kontinent. Ich wollte meinen Finger in diese Wunde legen. Und dadurch wird es sehr viel brutaler. Elder wird nicht nur von einem Mann abgelehnt, sondern von der Gesellschaft als ganzer, von jedem.

Spiegelt das die Situation in Venezuela wider?

Es kommt darauf an, in welchen Kreisen man sich bewegt. Je nach dem, wie gebildet oder kultiviert Leute sind, ist es mal mehr und mal weniger akzeptiert. In den Armenvierteln, in denen Elder lebt, ist der Hass gegen Schwule Alltag.

Spiegelt das auch die rechtliche Situation der Queer Community in Venezuela wider?

Wir sind da noch sehr hinterher, verglichen mit vielen anderen Ländern. Es ist nicht strafbar, aber es ist auch nicht wirklich akzeptiert.

Liegt das eher an der Religion, die in Südamerika großen Einfluss hat, oder an der Machokultur?

Es ist beides. Im Grunde sind das nur zwei Seiten derselben Medaille. Katholizismus ist in Venezuela sehr mächtig, aber das Machoding ist mindestens genauso wichtig. Für viele Mütter ist es in ihren Augen akzeptabler, wenn ihr Sohn Gangster wird als eine Schwuchtel. Aber das trifft nicht nur auf Venezuela zu, sondern auf viele lateinamerikanische Länder.

Ist es denn überhaupt die Geschichte zweier schwuler Männer, die Sie hier erzählen? Oder geht es nicht eher um durch Traumata gebrochener Charaktere?

Absolut! Wir wissen nicht, ob Armando und Elder wirklich schwul sind. Es geht gar nicht um sexuelle Orientierung. Es geht um eine unmögliche Liebe und eine Begegnung, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.

Was hat Sie persönlich daran interessiert, diese Geschichte für Ihren ersten Spielfilm zu wählen?

Ich bin davon besessen, mich damit auseinanderzusetzen, was es heißt, Vater zu sein. Besonders fasziniert mich die Frage, wie es ist, ohne Vater aufzuwachsen. Dazu habe ich schon einen Kurzfilm gedreht, gerade bereite ich einen dritten Teil vor, wieder einen Spielfilm.

Woher kommt diese Obsession?

Das kann ich gar nicht sagen. In Lateinamerika ist die familiäre Situation oft, dass der Vater kaum zuhause ist. Die Mutter kümmert sich um die Kinder. Ich verallgemeinere jetzt natürlich. Mich interessiert dieser Archetyp des Vaters.

Betrifft das auch Ihre eigene Kindheit?

Nein, ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Vater, emotional sehr erfüllend. Er war sehr präsent in meinem Leben, bis zu seinem Tod vor zwei Jahren. Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit, das alles ist nicht autobiographisch motiviert.




Caracas, eine Liebe
von Lorenzo Vigas
VE 2015, 93 Minuten, FSK 16,
spanische OF mit deutschen UT
Weltkino
www.caracaseineliebe.weltkino.de

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