Liebe geht seltsame Wege

 Trailer

In „Liebe geht seltsame Wege“ greift Ira Sachs das Hollywood-Format der „Wiedervermählungskomödie“ auf – nur, dass es hier um ein betagtes schwules Paar geht, das ausgerechnet durch die Möglichkeit, endlich zu heiraten, auseinandergebracht wird und zusehen muss, wie es wieder zusammenfindet. Durch Jobverlust und unbezahlbare Mieten in Manhattan separiert, erfahren die von John Lithgow und Alfred Molina gespielten Helden die Hilfe eines mehrgenerationalen Freundes- und Familien-Netzwerks. Ein wunderbar leiser und charmanter Film über New York und das, was Menschen einander weitergeben können.

Foto: Sony Pictures Home Entertainment

Das Metronom tickt

Von Matthias Frings

Es ist ganz einfach vorherzusagen: Spätestens ab Zeile drei dieses Textes werdet ihr weiterblättern. Wetten?

Also: Zwei ältere, schwule Männer, der eine Mitte sechzig, der andere Anfang siebzig… Seht ihr! Was habe ich gesagt? Falls ihr noch nicht die Flucht ergriffen habt, reicht vielleicht die Information, dass es in der ganzen Lebens- und Liebesgeschichte von Ben und George null Sex gibt, auch nicht von jüngeren Protagonisten.

Auf Wiedersehen.

In letzten Film von Ira Sachs, „Keep the Lights On“, sah das noch anders aus. Hier stand ein attraktives junges Männerpaar im Zentrum einer wundersam erwachsenen Erzählung. Die Hauptfiguren, ein Anwalt und ein Filmemacher, mussten sich nicht an den üblichen schwulen Verwicklungen (Coming-Out, Eifersucht, Sexaffären, Diskriminierung) abarbeiteten, sondern durften sich den ganz gewöhnlichen Unwägbarkeiten des Lebens stellen: Beruf und Karrierewunsch, Ambition und Geld, Drogen- und Beziehungsabhängigkeit, der Fremdheit zwischen den Menschen und ihrer Sehnsucht nach einander.

„Love Is Strange“ – Sachs bestätigt dies ausdrücklich – könnte eine Fantasie über genau dieses Paar dreißig Jahre später sein. Hier kämpfen nicht mehr zwei Halbfertige um- und miteinander. Die Stürme haben sich gelegt, und das Beziehungsbarometer zeigt milde Herbsttage an. Eine lange, vertraute, ja durchaus glückvolle Beziehung, die so unspektakulär daherkommt, dass sie den Film zu etwas ganz Besonderem macht.

Eine glückliche Beziehung – dieser Ausgangspunkt des Drehbuchs ist außergewöhnlich, auf eine Art fast schon radikal. Wann sieht man das schon, eine Story ohne Kontroverse, Kollision, Kampf, ohne Knalleffekt. Obwohl.

Wie das jüngere Paar in „Keep the Lights On“ leben Ben (John Lithgow) und George (Alfred Molina) in New York City. Die Bilder Manhattans sind ein Orgasmus für jeden New-York-Nostalgiker. Downtown haben die Straßen noch Namen, die Häuser sind aus Backstein und davor stehen echte Bäume. Diese Idylle wird mit einem scheinbar samtweichen Einstieg komplettiert: Nach 39 Jahren Beziehung heiraten die beiden Männer im Beisein ihrer Familie – Familie im hergebrachten wie im modernen Sinn. Reden, Party-Glück. Der Himmel hängt voller Geigen.

Und dann ist Schluss mit lustig.

Der Himmel nämlich erweist sich als katholischer Himmel, und George, der als Musiklehrer an einer konfessionellen Schule arbeitet, fällt aus allen Wolken, als sein priesterlicher Vorgesetzter ihm die Kündigung überreicht. Ein schwuler Lehrer war eine Herausforderung, einer, der dies per Hochzeit öffentlich macht, ist untragbar.

Ben lebt von einer kleinen Rente, George wird Privatstunden geben müssen, und so sehen sie keinen anderen Weg, als sich etwas Günstiges zur Miete zu suchen. Ein Albtraum. Ganz en passant erzählt der Film auch davon, wie es alteingesessenen Metropolenbewohnern ergeht, die Job und Krankenversicherung verlieren. Das Wort „vorübergehend“ wird ihr neues Mantra. Vorübergehend zieht George bei einem benachbarten jungen Schwulenpaar ein, und Ben kommt bei seinem Neffen und dessen Familie unter. Vorübergehend. Er kampiert im Zimmer des Teenagersohns in der unteren Abteilung des Stockbettes, George auf dem Sofa seiner Nachbarn.

Foto: Sony Pictures Home Entertainment

Die plötzliche Obdachlosigkeit ließe sich erzählerisch saftig ausschlachten, aber Ira Sachs entscheidet sich gegen das Spektakel und für die pointierte Beobachtung der nun drei Paare. Ein komödiantisches Glanzstück, wie der eher ruhige George in der Hedonistenwelt des jungen Schwulenpaars versucht, Gelassenheit zu bewahren. Die beiden sind Polizisten, von ihren Freunden „the policewomen“ getauft, und führen ein offenes Haus mit ausufernden Spielabenden und „Game of Thrones“-Marathons. George aber vermisst seinen Chopin.

Und Ben. Der ist einsam, möchte sich gerne unterhalten, keine gute Idee, wenn die Frau seines Neffen an einem Roman arbeitet. Besuch, so heißt es, stinkt spätestens nach drei Tagen wie Fisch, aber die beiden Männer können so schnell keine neue Unterkunft finden. Mit delikat austarierter amerikanischer Höflichkeit bemühen sich alle, die Situation zu meistern, doch die schnellen Blicke, die kleinen Gesten und das tapfer unterdrückte Stöhnen erzählen mehr vom Brodeln unter der Wohlerzogenheit als jeder Dialog.

Wie sich die Gereiztheit bei den hilfreichen Gastgebern langsam aufbaut, wie jeder der Beteiligten um seine Privatheit, seinen geschützten Raum fürchtet, wird nicht mit Knalleffekt gezeigt, sondern ganz subtil und deshalb umso effektvoller. So etwas erfordert exzellente Schauspieler, und besonders Marisa Tomei als Roman-autorin Kate spielt das mit hochintelligenter Leichtigkeit, ihr Schweigen dröhnend, ihr Lächeln eine Waffe. „Uncle Ben“ bringt es auf den Punkt: „Wenn du bei Leuten lebst, erfährst du mehr über sie, als du je wissen wolltest.“

Foto: Sony Pictures Home Entertainment

Der Zuschauer glücklicherweise auch. „Love Is Strange“ kann auch als Film über drei Beziehungsphasen gelesen werden: Der verliebte Beginn, der erkaltende Gefühlshaushalt im Alltagstrott, die liebevolle Nachsichtigkeit der späten Jahre. Auch wenn die Nerven langsam blank liegen und die hübschen New-York-Bilder durch Aufnahmen in der dreckigen, lauten U-Bahnen komplettiert werden, droht hier kein Problemfilm. Die knappen Szenen sind scharf beobachtet und entwickeln immer wieder ihren hübschen Witz, etwa wenn Ben und George versuchen, im Stockbett des Kinderzimmers miteinander zu schlafen. Was würde der motzige Teenager Joey wohl sagen, wenn sein fragiles Bett unter zwei fickenden alten Männern zusammenbräche?

Apropos Joey: Ben ist sprachlos, als der Teenager ihn „too gay“ findet, aber beschwichtigend erklärt, er meine damit nicht schwul, sondern nur „stupid“.

Im wahrsten Wortsinn zeigt sich die Vermeidung jeder Weinerlichkeit an den Farben des Films. Stets malt er ein Sonnenlicht, einen Lichteinfall von der Seite durch ein Fenster, die helle Weite einer Dachterrasse. Will gar keine Sonne scheinen, geben Lampen ein Licht wie Butter ab. Und die Farbe Grün ist stets präsent, ein helles freundliches Grün, also Hoffnung. Trotz seiner heiklen Ausgangslage schreitet dieser Film munter voran.

Foto: Sony Pictures Home Entertainment

Bemerkenswert, wie herkömmlich und gleichzeitig schon wieder ausgefallen eine Filmerzählung wirkt, die nichts groß hochzwirbelt, sondern den Figuren Zeit und Raum lässt. Und immer dann, wenn der Film in Gefahr ist, in einen Trab zu fallen, wechselt er in den Galopp. Ganz unvermutet macht er dann einen gewaltigen zeitlichen Satz nach vorn. Ira Sachs ist ein Meister der Ellipse und setzt sie äußerst wirkungsvoll ein. Der Zuschauer sitzt plötzlich sehr gerade und reißt die Augen auf. Musiklehrer George erklärt in einer Szene einer Klavierschülerin: „Improvisation ist gut, aber man muss immer auch das tickende Metronom hören.“ Wohl nicht zufällig beschreibt dieser Satz auch das Credo des Regisseurs. Er besteht darauf, dass alle Beteiligten sich strikt an sein Buch halten. Improvisiert wird nicht, aber die Schauspieler sollen ihre Figuren schon beim ersten Take parat haben. Sachs will überrascht werden. Keine Wiederholungen. Und immer wieder heißt es: „Don’t act!“ Das ist für Schauspieler nun wirklich eine Herausforderung, fast eine Beleidigung, aber ihrem Spiel tut es paradoxerweise ungeheuer gut.

Nicht zu schauspielern, das dazu braucht es absolute Könner. Alfred Molina und John Lithgow, beide Experten für Charakterrollen, beide oft erste Wahl für zweite Hauptrollen, glänzen hier wie selten. So auf den Punkt und gleichzeitig lässig, so uneitel und lustig und sparsam. Zu genau wissen sie um ihr Talent, als dass sie es ausstellen müssten. Nichts an ihnen soll besonders sein, das ist das Besondere. Berührend zu sehen, wie angstlos und zärtlich die beiden gestandenen Männer die körperliche Seite der Beziehung spielen, den liebevollen Kuss, den aufmunternden Klaps, die innige Umarmung.

Diese alten Männer haben vielleicht nicht den Turbokörper, aber sie haben es drauf. Dass dieser herzerwärmende Film von seinem deutschen Verleih nur auf DVD herausgebracht wird – deutscher Titel „Liebe geht seltsame Wege“ – liegt definitiv nur an Ersterem




Liebe geht seltsame Wege
von Ira Sachs
US 2014, 91 Minuten, deutsche SF & englische OmU
Sony Pictures Home Entertainment


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