Die Florence Foster Jenkins Story

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Florence Foster Jenkins gilt als die schlechteste Sängerin aller Zeiten. Dennoch machte die selbsternannte Operndiva im New York der 1920er Jahre unaufhaltsam Karriere: In ausgefallenen Kostümen und mit hemmungsloser Hingabe trat sie vor einem stetig wachsenden Publikum auf, veröffentlichte Schallplatten und brach 1944 mit ihrem legendären Auftritt in der Carnegie Hall alle Verkaufsrekorde. Regisseur Ralf Pleger spürt in „Die Florence Foster Jenkins Story“ (Kinostart: 10. November) der unfassbaren Karriere einer Frau nach, die durch ihre phänomenale Talentlosigkeit und exzentrische Selbstüberschätzung zur Kultfigur und frühen Camp-Vertreterin wurde. In seiner flamboyanten Mischung aus Drama und Dokumentarfilm wird die Jenkins nicht von Meryl Streep dargestellt (die tritt erst Ende November in Stephen Frears‘ Biopic „Florence Foster Jenkins“ auf), sondern von einer, die wirklich so singen kann, wie die Jenkins selbst immer zu klingen glaubte: US-Opernstar Joyce DiDonato. Ein Plädoyer für die Freiheit des schiefen Ausdrucks.

Foto: Edition Salzgeber

Like a Bird

von Klaus Kalchschmid

Es ist die schönste, berührendste Szene dieser musikgesättigten, oftmals rhythmisch geschnittenen, ebenso semi-dokumentarischen wie revuehaft überdrehten Hommage an das Phänomen Florence Foster Jenkins: Da beobachtet Florence (Joyce DiDonato) von draußen durch eine Glastür einen jungen Journalisten, wie er bei ihr zuhause naiv staunend eine ihrer Platten über Kopfhörer hört. Plötzlich träumt sie sich mit dem smarten, jungenhaften, kulleräugigen Mann (Jan Rekeszus) in ein Duett hinein, das sie so nie gesungen hat. DiDonato steht da mit goldenen Engelsflügeln, die sich sanft hin- und her bewegen, und beginnt eine neue (Musical-)Version ihres „Like a Bird“, Rekeszus stimmt ein und schließlich finden beide während einer galanten Rosenüberreichung in vollendeter Übereinstimmung zusammen: er mit zarter, feiner Kopfstimme, sie wieder ganz in klassischer Manier nach dem Zitat einer Koloratur und einem vollendeten Triller auf einem schwebenden hohen Ton.

Es ist das große Thema der „Florence Foster Jenkins Story“, dass sich die reiche, selbstbewusst emanzipatorische und unsterblich in die Oper verliebte Salonlöwin – möglicherweise durch die Folgen ihrer Syphilis-Erkrankung, mit der sie ihr erster Mann ansteckte  – wohl selbst anders wahrnahm als ihre Hörer. Weil aber die Darstellerin der Florence – anders als in den aktuellen Spielfilmen zum Thema wie „Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“ von 2015 Catherine Frot oder in „Florence Foster Jenkins“ Meryl Streep – nicht nur Schauspielerin, sondern vor allem eine großartige Sängerin ist, hören wir Florence immer doppelt. Einmal ist sie dank Joyce DiDonato so brillant zu erleben, wie sie sich selbst hört – gefilmt in leuchtendem Technicolor; dann kippen plötzlich Stimme und  Bild, zusammen mit der Farbe weicht auch sekundenschnell die richtige Intonation. Weil aber die Mezzosopranistin hintereinander beides singt, entstehen beeindruckende, im Innersten das Herz rührende Momente. DiDonato erklärt es im Interview selbst so: „Ich musste gegen all meine natürlichen Instinkte und antrainierten Reflexe als Sängerin ankämpfen. Aber als ich erst einmal eine musikalische Sprache gefunden hatte, die sich so anfühlte, als könnte sie jene von Florence sein, war ich plötzlich wie befreit: Ich konnte […] den reinen Ausdruck aus mir herausströmen lassen.“

Foto: Edition Salzgeber

Der Musikwissenschaftler Kevin Clarke ist unter den „sieben Experten“, die immer wieder aus heutiger Warte Leben und Singen von Florence Foster Jenkins kommentieren – zusammen mit dem Zeitzeugen David Lerner („Man musste sie dafür respektieren, dass sie an sich glaubte“) und Gino Francesconi (Archivleiter der Carnegie Hall) – der Einzige, der nicht die falschen Töne und „das Monster der Eitelkeit“ sowie die daraus resultierende unfreiwillige Komik in den Mittelpunkt rückt, sondern die Faszination, die hinter den schrägen Tönen lag und liegt. Er betont die durchaus heraushörbare Ernsthaftigkeit, mit der Foster Jenkins „gestaltete“ und macht sich auch nicht lustig über ihren Hang zur optischen Exzentrik: „Ich sah da schon immer eine entzückende alte Dame in fantastischen Kostümen.“

Foto: Edition Salzgeber

Regisseur Ralf Pleger, der schon viele originelle Filme zum Thema Musik gedreht hat, und seine Austatterin Daria Kornysheva erfanden im Studio wunderbar surreal anmutende Tableaux vivants, für die Foster Jenkins berühmt wurde. Da steht sie einmal thronend in der Mitte, während um sie herum drapiert halbnackte Jünglinge mit Glitzer auf der Haut in der Bewegung erstarrt sind. Da besteht etwa eine Hutkreation aus einem riesigen Schmetterling, und auch privat trägt die Grand Dame schon mal einen umgedrehten Schuh auf dem Kopf. Ob auf einer riesigen Schallplatte in russischem Folklore-Kostüm sich drehend – und am Ende von einer sich verselbständigenden Schnur gefesselt – oder in Slow Motion durch den leise rieselnden Schnee schwebend zwischen allerlei futuristischen Objekten à la Magritte: Man kann sich lebhaft vorstellen, wie die Foster Jenkins ausgesehen und fasziniert haben mag.

Foto: Edition Salzgeber

Aufnahmen des modernen New York oder großartige, in jeder Hinsicht farbige Dokumentaraufnahmen der Weltausstellung von 1939 sind eine ebenso prägnante Folie wie Fotos und klingende Zeugnisse. Auch Interviews, die es nur in gedruckter Form gibt, inszeniert Pleger auf raffinierte Weise: So versieht er ein Gespräch aus dem Jahr 1954 mit Jenkins‘ Klavierbegleiter Cosmé McMoon, der ihr stets das allerschönste klingende Bett bereitete, mit dem stillen Bewegtbild des Schauspielers Adam Benzwi, der stumm vor der Kamera sitzt, während seine Stimme aus dem Off kommt. Jenkins‘ zweiter Mann St. Clair Bayfield sowie dessen spätere, vor Mißgunst nur so strotzende Frau Kathleen werden im gleichen Stil präsentiert. Und immer wieder dreht sich einsam ein Grammophon wie ein Zauberinstrument oder schrillt ein Telefon wie in Hitchcocks „Bei Anruf Mord“.

Foto: Edition Salzgeber

Wie weit Florence Foster Jenkins selbst ein Bewusstsein der technischen Unzulänglichkeit ihres Singens hatte, kann man heute kaum mehr beurteilen, hat doch alle Welt sie in ihrem tragisch wahnhaften Glauben gelassen, der zugleich in den 1920er Jahren vielen Charity-Projekten eine Menge Geld verschaffte. Nur ihr größter Triumph – der Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall 1944 im Alter von 76 Jahren! – war zugleich ihre größte Niederlage, nicht zuletzt in ebenso vernichtenden wie beleidigenden Kritiken. Fünf Wochen später starb sie an Herzversagen.




Die Florence Foster Jenkins Story
von Ralf Pleger
DE 2016, 93 Minuten, FSK 0,
deutsch-englische OF, deutsche SF,
Edition Salzgeber

www.florencefosterjenkins.de

Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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