Lichtes Meer: Interview mit Stefan Butzmühlen

 Video-Interview mit Stefan Butzmühlen und Jan Künemund • DVD / VoD

Stefan Butzmühlen hat seine Hochseeromanze „Lichtes Meer“ auf einem echten Containerschiff gedreht. sissy hatte dazu ein paar Fragen – und nutzte gleich zwei Gelegenheiten, mit dem Regisseur über seinen zweiten Langfilm zu sprechen. Er erzählte uns von wilden Matrosenträumen, schwärmt von mutigen Laiendarstellern, klärt die Frage, wie man Freddy Quinn ersetzt – und gibt in einem Video-Interview mit seinem Co-Autoren Jan Künemund preis, wie man das Drehbuch für einen Film schreibt, in dem Improvisation und erzählerische Offenheit als Stilprinzipien gelten.

Foto: Edition Salzgeber

Bereit sein für das Wagnis

Interview: Christian Weber

Du hast für Deine Geschichte über queeres Erwachsenwerden ein Milieu gewählt, das zum einen extrem homoerotisch aufgeladen ist, zum anderen als latent schwulenfeindlich gilt: ein Hochseeschiff. Hat Dich gerade dieser Widerspruch am Setting gereizt? Oder gibt es in Deinen Augen diesen Widerspruch gar nicht?

Dieser Widerspruch stand nicht so sehr im Fokus, als ich mit meinem Co-Autor Jan mit dem Schreiben begann. Was uns viel mehr interessierte, war die Frage, wie man die Ebene dieser homoerotischen Träume und Sehnsüchte mit einem dokumentarischen Ansatz verbinden konnte, der zugleich zeigt, wie moderne Frachtschifffahrt heute aussieht. Um darüber mehr herauszufinden, bin ich ein Jahr zuvor für einige Zeit auf einem Containerschiff mitgefahren. Die Arbeitsabläufe in der heutigen Schifffahrt sind zum größten Teil automatisiert. Da spielen die Matrosen eine eher untergeordnete Rolle. Auf meinem Recherche-Schiff wurde zumindest noch jeden Tag das Deck geputzt und Lack ausgebessert. Auf dem Schiff, auf dem wir dann gedreht haben, gab es neben den Offizieren und dem Kapitän nur noch Matrosen unter Deck im Maschinenraum. Das sieht man am Zustand des Schiffs, aber auch daran, dass beim Löschen der Ladung auf Martinique Hafenarbeiter an Bord kommen müssen, weil die Stammcrew schlicht zu klein ist. Auch dass ein Schiff wie früher mal zwei Tage im Hafen liegt, wie wir es im Film zeigen, gibt es in der heutigen Zeit kaum noch. Das kann sich heutzutage keine Reederei mehr leisten. Nur in Ausnahmefällen verlässt ein Besatzungsmitglied während des Hafenaufenthaltes noch das Schiff. Da haben wir zugunsten der Geschichte ein wenig gemogelt.

Es gab eine lose Vorlage für den Film, den Roman „Pêcheur d’Islande“ (1886) des franzö­sischen Schriftstellers und Marineoffiziers Pierre Loti. Wie entstand davon ausgehend Euer Drehbuch?

Wir haben uns insgesamt stark mit Seefahrerliteratur auseinandergesetzt. Neben Pierre Loti waren auch Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ (1851) und die autobiografischen Aufzeichnungen aus seinem Matrosenleben wichtige Bezugspunkte. Jan hatte die Idee, von einem Jungen zu erzählen, der ein Praktikum auf einem Containerschiff macht. Also haben wir Praktikumsberichte von Jungs studiert, die zur See gefahren sind. Das waren dann meist Texte über ein paar leichte Arbeiten an Deck, aber auch über das Gefühl der Verlorenheit. Und dann gab es natürlich noch meine Erfahrungen von der Recherchereise. Auf der Basis dieses unterschiedlichen Materials entwickelten wir unser Drehbuch. Während den Dreharbeiten habe ich zudem unseren Hauptdarsteller Martin gebeten, ein Tagebuch zu führen. Das wurde später im Schnitt über den Off-Kommentar ebenfalls Teil unserer Erzählung.

War es schwierig, dafür das richtige Schiff zu finden – sowohl was Deine räumlichen Vorstellungen betrifft, als auch eine aufgeschlossene Besatzung?

Es war ziemlich früh klar, dass wir die Geschichte auf einem Containerschiff drehen wollten. Aber tatsächlich haben wir sehr lange nach einem passenden Schiff gesucht, auf dem wir dann auch drehen durften. Als wir es endlich gefunden hatten, wurde es nicht leichter: Das Schiff, mit dem wir eigentlich zu den französischen Antillen gelangen wollten, hatte plötzlich einen Motorschaden, und so mussten wir kurzfristig auf ein anderes Schiff ausweichen. Eigentlich hatten wir noch großes Glück, dass wir überhaupt so spontan ein anderes Containerschiff gefunden haben, sonst hätten wir am Ende noch ein Segelboot nehmen müssen.

Wie in Deinem Debütfilm „Sleepless Knights“ hast Du auch hier wieder zum Teil mit Laien gedreht. Was macht die Arbeit mit ihnen für Dich so reizvoll und fruchtbar? Und wie hast Du für „Lichtes Meer“ Deine Hauptdarsteller gefunden?

Wenn ich für meine Filme mit dem Casting beginne, begebe ich mich auf die Suche nach etwas Körperlichem. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, und diese Geschichten hinterlassen Spuren und formen unsere Körper. Das ist es, was mich interessiert. Es ist oft ein erster physischer Eindruck, der sich dann in dem Moment richtig für die Geschichte anfühlt. Natürlich muss man später noch überprüfen, wie gut die gemeinsame Arbeit funktioniert und wie es in der Kombination mit anderen DarstellerInnen passt, aber dieses erste Gefühl ist sehr wichtig. Aus diesem Grunde hat das Casting für mich einen extrem hohen Stellenwert. Martin kannte ich aus der Videoinstallation einer Freundin. Er stand relativ früh fest. Für die Figur des Matrosen Jean habe ich dann sehr lange gesucht. Irgendwann habe ich Jules gefunden, bei einem Straßen-Casting vor der Berlinischen Galerie. Ich war zuerst etwas irritiert, als er mir erzählte, dass er Schauspieler sei.
Aber es geht mir tatsächlich nicht darum, ob jemand als Laie zum Film kommt oder über eine Schule. Auf was es mir ankommt, ist die Bereitschaft für das Wagnis, sich auf etwas Unbekanntes einzulassen. Da kann manchmal das vermeintliche Handwerkszeug von einer Schauspielschule ziemlich nerven, weil es schnell als eine Art Absicherung missbraucht wird und nicht als ein Mittel, um vorwärts zu kommen. Das mag ich an der Arbeit mit Laien: dass ich das Gefühl habe, dass sie sich weniger absichern müssen. Aber eigentlich ist es mir egal! Ich arbeite auch gerne mit tollen Schauspielern.

Du findest für die Einsamkeit und Suche Deiner Figuren zu einer überaus poetischen Bildsprache. Gab es vorab ein klares visuelles Konzept für den Film oder entstanden die meisten Bildideen erst an den jeweiligen Drehorten?

Die Bilder meiner Filme entstehen zu einem großen Teil an den konkreten Orten. Es kommt mir ziemlich idiotisch vor, Einstellung um Einstellung am Schreibtisch zu skizzieren ohne die Orte vorher zu kennen. Aber natürlich gibt es auch so etwas wie Geschmack, oder, vielleicht schöner ausgedrückt, eine bestimmte Haltung gegenüber der Geschichte. Und diese Haltung gibt es selbstverständlich bereits bevor man loszieht.
Jonas, unser Kameramann, ist erst sehr spät in das Projekt eingestiegen, aber wir kennen uns schon lange und so wussten wir auch schnell, wo es gemeinsame Interessen gab. Wir haben uns im Vorfeld ein paar Filme angesehen, aber vor allem Seefahrerlieder gehört und von der Ferne geschwärmt.

Dein Film ist nicht nur voller Sehnsuchtsbilder, sondern auch voll von Musik, die in die Ferne greift: vom Seefahrerlied „Auf, in weite Ferne“ bis zu einer Arie aus Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“. Ging es Dir bei der Musik darum, die Universalität dieses Gefühlzustands zu betonen?

All diese Musikstücke sind für mich eher Fundstücke, die im Laufe des Prozesses zu mir gekommen sind und sich nach und nach mit dem Film verbunden haben. Auch wenn manche Stücke nachkomponiert werden mussten, stehen sie doch jeweils für eine bestimmte Art von Musik. Es sind Zitate, die unsere Geschichte, parallel zu den eingesprochenen Texten, mal ironisch kontrastieren, mal sehnsuchtsvoll beladen, sich aber eben vor allem assoziativ mit den Erfahrungen anderer Seefahrer verbinden. „Madame Butterfly“ beruht beispielsweise zu einem Teil auf einer anderen Erzählung von Pierre Loti, „Madame Crysantheme“.
Jan kam irgendwann während unserer Recherche mit Songs von Paul Clayton an, von dem jetzt drei Traditionals im Film gelandet sind. Paul Clayton ist eine sehr interessante Figur: Er stammte aus einer Walfänger-Familie, war schwul, erfolgreicher Folkmusiker und Mentor des jungen Bob Dylan, ehe er sich 1967 das Leben nahm. Seine Art, diese Traditionals zu singen und zu spielen – was er übrigens auch in den 1950ern live auf einer Kinotour zu John Hustons „Moby Dick“-Verfilmung gemacht hat –, hat uns sehr berührt. Und was die Schlager betrifft: dafür habe ich einfach eine kleine Schwäche!  Auch wenn wir Freddy Quinn nicht für den Film bekommen haben, musste diese Art von Musik einfach rein. Aber vielleicht hast du Recht und man könnte all das mit dem Gefühl der Sehnsucht erklären.


Video-Interview mit Stefan Butzmühlen und Jan Künemund

Interview: Aileen Pinkert




Lichtes Meer
von Stefan Butzmühlen
DE 2015, 79 Minuten,
deutsch/französisch/englische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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