Barash

Trailer • DVD / VoD

Der israelische Coming-of-Age-Film „Barash“, der im November in der queerfilmnacht läuft, wurde von der Filmkritik mit Abdellatif Kechiches Cannes-Gewinner „Blau ist eine warme Farbe“ verglichen: ähnlich authentisch, genauso hip! Das Besondere an Michal Viniks Regiedebüt ist sein politischer Subtext: „Barash“ erzählt nicht nur davon, wie es für ein Mädchen ist, sich das erste Mal in anderes Mädchen zu verblieben, sondern stellt auch die Frage, wie frei man als junge Frau im heutigen Israel leben kann.

Foto: Edition Salzgeber

A Girl Falling In Love. A Family Falling Apart.

von Tania Witte

Die siebzehnjährige Na’ama ist ein stinknormaler Teenager. Sie trinkt, nimmt Drogen jeder chemischen Zusammensetzung – und natürliche auch – und hängt am liebsten mit ihren beiden Freundinnen Lili und Yfat ab. Die dreiköpfige Clique pubertierenden Mittelmaßes sucht nach Antworten, findet Fragen und arbeitet sich an dem Versuch ab, cool zu sein. Das Leben tröpfelt vor sich hin, alles ist bedeutungsvoll und nichts von Bedeutung. Zu dritt durchstreifen sie das tägliche und das nächtliche Tel Aviv, bemühen sich um eine abgerockte Attitüde, die so recht nicht gelingen will. Nicht mal, wenn sie sich Jungs nehmen, mit denen sie keine Worte, aber Körperflüssigkeiten austauschen, nicht mal, wenn sie kiffen oder Pillen einwerfen.

Vieles von dem, was Na’ama tut, ist eine Flucht vor ihrem Zuhause, in dem sie mit ihrem patriarchalen Vater Gideon, ihrer neurotischen Mutter Michel, dem jüngeren Bruder Dudu und der älteren Schwester Liora lebt. Die ist sperrig, wie Na’ama es gerne wäre, arbeitet als Sekretärin beim Militär und verschwindet eines Tages. Nicht zum ersten Mal – aber diesmal wirft ihr Weglaufen längere Schatten.

Während die eine junge Frau verschwindet, taucht eine andere in Na’amas Leben auf. Dana Hershko ist anders, nicht nur wegen ihres langen, hellblondierten Haares mit Sidecut, den Tattoos, den skinnyskinnyskinny Jeans und den Oversized Shirts. „Sie sieht magersüchtig aus“, konstatiert Na’amas Freundin Lili, und das stimmt. Dana ist der Heroin Chic der 1990er Jahre und der Punkrockappeal der 80er. Sie besucht die Schule kaum, „sie mögen mich hier nicht“, sagt sie und es ist überdeutlich, dass die Abneigung beidseitig ist. Im Gegensatz zu Na’ama und ihren Freundinnen stammt Dana aus einer instabilen Familie, sie verkörpert, was die anderen imitieren. Und Na’ama ist fasziniert.

Der erste Kuss auf einem Spielplatz. Kein Kommentar dazu, keine Irritation, dann küsst ein Mädchen eben ein Mädchen, so läuft das heute. „Du hast mir den besten Kuss meines Lebens gegeben“, sagt Na’ama in ihre Handycamera, mehrmals, immer wieder, den besten Kuss. Es ist leicht zwischen ihnen, alles ist leicht, fast träumerisch und plötzlich wird das Leben so unglaublich cool, wie Na’ama sich das vorstellt. Sie löst sich aus der schützenden Hülle ihrer Freundinnen, Dana nimmt sie mit in einen Lesbenclub, sie knutschen, sie feiern, wie es nur Teenager können: im Jetzt. Ohne gestern und vor allem ohne morgen.

Foto: Edition Salzgeber

Na’ama ist zu weggeschossen, um nach Hause zu laufen, Dana stützt sie, wieder und wieder fällt sie, wieder und wieder lacht sie. Dann, eher unvermittelt, fragt Dana: „Du schläfst also auch mit Frauen?“ Und Na’ama antwortet: „Ich schlafe mit wem ich will, wann ich will und wie ich will.“

Und das tun sie dann auch, ein paar Tage später. Die kicherige Na’ama erinnert dabei an einen ungelenken Schuljungen, ist hastig und beinahe grob, aber Dana, deutlich erfahrener, fängt sie ein und alles wird gut, alles wird lang und flachbäuchig und weichgezeichnet und die Sonne strahlt durchs Fenster eine Aureole um die beiden Liebenden. Am Ende läuft Na’ama nach Hause, im Gesicht ein weltfernes Leuchten, wie nur befriedigender Sex es auszulösen vermag.

Das erinnert (wie vieles am Film) an „Blau ist eine warme Farbe“, nur dass es eine Frau war, obendrein eine Lesbe, die das Drehbuch schrieb und Regie führte und der man deshalb Dinge nachsieht, die an der Comicverfilmung durch den männlichen, heterosexuellen Regisseur Abdellatif Kechiche aufstießen. Als Coming-out-, oder Coming-of-Age-Geschichten folgen beide Filme klaren Pfaden, wobei „Barash“ hipper ist, frischer und irgendwie authentischer. Natürlich ist das durch den Ort bedingt, an dem die Geschichte spielt und der Film entstand – Israel ist schon an sich ein spannender Kontext, addiert man ein lesbisches Teenage Coming-Out, addiert man Drogen und viel, viel Indie Musik, addiert man den feministischen Subtext.

Foto: Edition Salzgeber

In der Welt, die uns Regisseurin Michal Vinik in ihrem Debüt-Spielfilm zeigt, werden politische Statements nicht beim Thema Lesbischsein verhandelt, sondern im parallelen Handlungsstrang, in dem Na’ama, auf Ecstasy und der Suche nach ihrer Schwester, einen Soldaten zusammenbrüllt. In dem ihr Vater Gideon durchdreht, als er erfährt, dass Liora mit einem Mann zusammen ist, der mitnichten Shimi, sondern vielmehr Sharif heißt. In dem Gideon sich als paranoider Rassist zeigt, der Palästinenser und Araber hasst und niemandem vertraut, der nicht jüdisch ist. Klassenunterschiede werden nur gestreift, der brodelnde Konflikt Israels aber immer wieder thematisiert, beim Arabischunterricht in der Schule, bei den Feiern zum Unabhängigkeitstag auf dem Hof, durch die Art, in der Gideon den Davidstern vom Autospiegel nimmt, als sie in ein arabisches Gebiet fahren.

Vor diesem Hintergrund erlebt Na’ama ihre erste Liebe, den ersten Liebeskummer, der sie bricht und durch den sie wächst. Das ganz bedarf weniger Worte und ist eine Wiederholung von ausreichend Bekanntem, neu nicht durch die Geschichte, sondern, wie gesagt, durch die Umgebung, in der diese angesiedelt ist. Vielleicht sind Na’ama und Dana das für Israel, was Adèle und Emma für Frankreich sind. Rougher, weniger weichgespült und doch vorhersehbar in Geschichte und Bildsprache: tanzende Körper, zuckendes Licht in Nachtclubs, verwaschene Drogenszenen, weichgezeichneter Sex und diese verträumte Spielplatzszene. Und die Wut, natürlich, auch die. Na’amas Ausbruch gegenüber dem Soldaten folgen abrasierte Haare und zusammengetretene Mülleimer.

Foto: Edition Salzgeber

Die große Stärke von „Barash“ (übrigens Na’amas Familienname und das offensichtlich einzige, was die Familie verbindet) liegt in der Observation der Beziehungen und Familienstrukturen. Die Barbecue-Szene in all ihrer Depression und das wunderbare Gespräch der Schwestern im gemeinsamen Schlafzimmer sind unbestrittene Highlights des Films. Nicht umsonst wurde Sivan Shimon auf dem Haifa International Film Festival für ihre Interpretation der Na’ama als beste Darstellerin und Dvir Benedek für seinen Gideon als bester Schauspieler ausgezeichnet. Dazu bestes Drehbuch und diverse Nominierungen.

„Barash“ bietet die Kurzweil schöner Bilder, hat Humor und Sexappeal und Kontext und wirkt dabei verdammt real – in den harten wie den weichen wie den ungeschickten Momenten.




Barash
von Michal Vinik
ISR 2015, 84 Minuten, FSK 12,
hebräische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber




DVD: € 19,90 (inkl. Porto & Verpackung)

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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