Landrauschen

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Nach wilden Party-Jahren in Berlin kehrt die Endzwanzigerin Toni in ihr schwäbisches Heimatkaff zurück und muss zwischen Trachtengruppe und Blaskapelle erstmal gehörig Anpassung üben. Bis sie auf dem Faschingsfest ihre alte Schulfreundin Rosa wiedertrifft, die ihr zeigt, dass das Leben in der Provinz nicht zwangsläufig spießig und stock-hetero sein muss. Lisa Miller hat für ihren verspielt trashigen Debütfilm „Landrauschen“ dieses Jahr in Saarbrücken den renommierten Max Ophüls Preis gewonnen. Unsere Autorin Alexandra Seitz hat sich mit Toni nach Bubenhausen gewagt – und einen erstaunlich queeren Heimatfilm entdeckt.

Foto: Arsenal Filmverleih

Tu doch einfach mal normal!

von Alexandra Seitz

Bubenhausen, Stadt Weißenhorn, Kreis Neu-Ulm, bayrischer Regierungsbezirk Schwaben. Kurz: In der tiefen Provinz, wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen. Oder: Am Arsch der Welt. Hier spielt „Landrauschen“ von Lisa Miller, der beim diesjährigen Filmfestival Max Ophüls Preis in den Kategorien Bester Film und Bestes Drehbuch ausgezeichnet und zudem den Preis der Ökumenischen Jury erhielt.

Ein Film über das Leben im Kaff also, ein schwäbisches Kaff zumal, und damit automatisch auch ein Film, der Gefahr läuft, die Besonderheiten, womöglich gar Eigenarten der Agierenden, die sich aus der regionalen Verortung der Handlung ergeben, dem Rest der Republik zum Fraß und hämischem Gaudium vorzuwerfen, in Form einer bäuerlichen Posse, in der die Landmänner und -frauen vermeintlich simplen Gemüts der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Denn nichts ist bekanntlich leichter, als sich lustig zu machen über Dirndl-tragende Madln und Maßkrug stemmende Burschen in Lederhosen, die obendrauf noch einen seltsamen Dialekt sprechen. Aufgelegte Scherze plus wohlfeile Witze ist gleich garantiertes Amüsement des Publikums. Klarer Fall und Deckel drauf? Weit gefehlt!

Denn Miller kennt sich aus, sie stammt aus der Gegend. Die dortigen Probleme gehen schon mal damit los, dass Schwaben nicht gleich Bayern ist. Und Baden-Württemberg ist Schwaben schon gleich gar nicht. Und so wie sich im Schwabenland die Identitätsunsicherheiten und Zugehörigkeitskonflikte einer Grenzregion im Großen zeigen, so bilden sich in „Landrauschen“ viele Krisen und Brüche im Kleinen, im Einzelnen, in den Figuren ab.

Es verhält sich nämlich so, dass die Endzwanzigerin Toni wegen einer Erbschaftsangelegenheit aus der weiten Welt, in der sie sich eine Weile herumgetrieben hat, in ihr Heimatdorf zurückkehrt. Ohnehin scheint eine Pause vom wilden, ungebundenen Leben geboten, zwecks Besinnung und Nachdenkens über den weiteren Wegs; die Party kann schließlich nicht ewig dauern. Mit einer mächtigen Party geht es dann aber erst einmal los, denn in ihrem neuen Job als Praktikantin einer Regionalzeitung ist Toni zuständig für den Lokalteil und soll über den Faschingsumzug berichten. Das gibt Miller die Gelegenheit, mit erwartbaren folkloristischen Klischees – Perchtengruppe, Blaskapelle, Trachtenverein – zu jonglieren und diese zugleich zu adjustieren, indem sie sie zusammen mit dem enthemmten Treiben des feierwütigen Jungvolks zu einem epischen Besäufnis montiert.

Foto: Arsenal Filmverleih

Die Feier führt außerdem zu einer Wiederbegegnung Tonis mit ihrer daheim gebliebenen alten Freundin Rosa, die mittlerweile in einer Wohngemeinschaft lebt, in einer kirchlichen Einrichtung Flüchtlinge betreut und im Übrigen davon träumt, sich endlich keine blöden Sprüche mehr wegen ihrer Homosexualität anhören zu müssen. Denn Rosa ist lesbisch, was irgendwie auch alle wissen, worüber aber keiner spricht, es sei denn auf die doofe Tour. Solange Rosa nicht „auffällig“ wird, also aus der Reihe tanzt und ernst macht mit dem Ausleben ihrer Sexualität, solange lässt sich schließlich so tun, als ob nichts wäre. Hauptsache, an der Oberfläche ist es ruhig und die Fassade sauber, denn „was sollen sonst die Leute denken?!“.

Foto: Arsenal Filmverleih

Dies wiederum ist das Credo von Tonis Mutter Ilse, die einigermaßen besorgt das Aufflammen der alten Freundschaft zwischen ihrer unbotmäßigen Tochter und der – horribile dictu! – „Lesbe“ beobachtet, und in der sich das auf dem Land üblicherweise virulente doppelmoralische Dilemma bestens verkörpert sieht: Im öffentlichen Raum gehorcht man der sozialen Kontrolle und hinter verschlossener Tür lässt man die Sau raus. Die Geschichte der Mutter spielt sich sozusagen in den Nebensätzen des Films ab: in kurzen Szenen, in denen Ilse heimlich raucht oder trinkt oder (intimen) Kontakt zu ihrem aus dem Leim gegangenen Mann sucht, der sie längst nicht mehr als Frau wahrnimmt. Dem Thema von „Landrauschen“ fügt diese vermeintliche Nebenfigur, die beinahe mit dem Film davonläuft, eine nicht unwesentliche Facette hinzu: Da ist Toni, die feststeckt, weil sie nicht weiß, was sie will, vor allem, ob sie Rosa will. Da ist Rosa, die nicht weiterkommt, weil sei immer wieder gute Miene zum bösen Spiel macht, eben auch zu Tonis Spiel. Und da ist Ilse, die stinknormale Heterofrau, die in der (auch sexuellen) Fadesse zu versumpfen droht. Drei enttäuschte Frauen in der Provinz, deren Potenzial unausgeschöpft und deren Sehnsucht nach Angenommen- und Gewürdigtwerden unerwidert bleibt.

Foto: Arsenal Filmverleih

Miller gibt ihren Laien/DarstellerInnen Raum für Improvisation und inszeniert unsentimental, ohne Kitsch und pathosfrei, dafür aber mit einem feinen Gespür für die komischen Seiten des ländlichen Alltags in seiner ganzen tragischen Banalität. Das ist die Mischung, die den neueren Heimatfilm insbesondere des süddeutschen Raums – als dessen Wegbereiter der 1985 entstandene und im Allgäu angesiedelte „Daheim sterben die Leut‘“ von Klaus Gietinger und Leo Hiemer gilt – insgesamt auszeichnet. Das zentrale Mittel dafür ist Selbstironie, die die Rituale und Traditionen des jeweiligen Ursprungsraumes zwar einigermaßen belustigt aufs Korn nimmt, sie dabei aber nicht ans spöttische Gelächter der ahnungslosen Aussenstehenden (im vorliegenden Fall: „die Preißn“) verrät. Das Ergebnis: eine Ambivalenz, die sich nicht zuletzt damit erklärt, dass Filme wie Thomas Kronthalers „Die Scheinheiligen“ (2001) oder „Wer früher stirbt, ist länger tot“ (2006) von Marcus H. Rosenmüller, dem womöglich prominentesten Protagonisten des Genres, in einem umfassenderen Kontext stehen. Inmitten eines gesellschaftlichen Strukturwandels sowie unabsehbarer – durchaus auch als bedrohlich wahrgenommener – Veränderungen dient der Neue Heimatfilm der Selbstreflexion, mithin der Vergewisserung der Kontinuität der jeweiligen regionalen Identität. Es ist ein Kino der Vermittlung zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen Beschleunigung und Beharrungsvermögen, das immer auch die Anpassungs- und die Entwicklungsfähigkeit des vermeintlich so unflexiblen ländlichen Modells beweist. Und Lisa MillersLandrauschen“ ist für dieses Kino ein ganz wunderbares Beispiel.




Landrauschen
von Lisa Miller
DE 2017, 102 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,
Arsenal Filmverleih

Ab 19. Juli hier im Kino.

 

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