In den besten Händen

TrailerDVD / BluRay

Comiczeichnerin Raphaela und Verlegerin Julie sind seit zehn Jahren ein Paar, doch nun scheint ihre Beziehung am Ende zu sein. Bei einem Streit stürzt Raphaela und bricht sich den Arm. Die beiden landen in einer Pariser Notaufnahme. Während draußen Proteste toben, füllt sich das Krankenhaus mit verletzten Demonstrierenden. Das Personal ist am Limit; die Lage droht zu eskalieren. Als der LKW-Fahrer Yann zu Raphaela ins Zimmer verlegt wird, prallen Klassen-Ressentiments aufeinander. Nach ihrem lesbischen Liebesfilm „La Belle Saison – Eine Sommerliebe“ greift Catherine Corsini mit „In den besten Händen“ brandaktuelle Themen wie den Pflegenotstand und die Spaltung der Gesellschaft auf. Die Tragikomödie, die ihre Weltpremiere 2021 in Cannes feierte, gibt es jetzt auf DVD und BluRay. Anja Kümmel über einen Film, der mit Verve die Fragen unserer unübersichtlichen Gegenwart angeht.

Foto: Alamode Film

Klassenkampf im Krankenhaus

von Anja Kümmel

Ein Riss geht durch die Individuen, die Körper, die Knochen. Ein Riss zerteilt ein lesbisches Paar, aber auch die französische Gesellschaft. All diese Nuancen vermag der Originaltitel „La Fracture“ des neuen Films von Catherine Corsini elegant einzufangen – weitaus besser als der ironisierende deutsche Titel „In den besten Händen“ oder das nüchterne „The Divide“ im Englischen.

Alles beginnt mit einer persönlichen Krise, so banal wie nachfühlbar: Ein lesbisches Paar, bestehend aus der Comiczeichnerin Raphaëlle, genannt Raf und ihrer Verlegerin Julie, trennt sich nach zehn Jahren. Oder besser gesagt: Julie will sich trennen, während Raf dies noch keineswegs akzeptiert. Weshalb dann auch der folgenschwere Unfall geschieht: Raf läuft Julie nach einem ihrer unzähligen Streits hinterher, rutscht auf der Straße aus und bricht sich den Ellbogen. Sie landet in der Notaufnahme eines Pariser Krankenhauses, wo sich bald darauf auch Julie einfindet, um ihrer verletzten Ex-Partnerin beizustehen, auch wenn sie rasch klarstellt, dass dies nichts an ihrer Entscheidung ändern wird.

Der überfüllte Krankenhaus-Wartesaal bietet Corsini das perfekte Setting, um die französische Gesellschaft wie unter einem Brennglas abzubilden. Plötzlich ist das lesbische Trennungsdrama nur noch ein Plot unter vielen, der zudem durch das ständige Schreien und Jammern der Egomanin Raf eher komödiantische Züge annimmt. Im Zentrum stehen nun die desaströsen Zustände im französischen Gesundheitssystem, dessen Ausmaße einem binnen weniger Minuten ins Auge springen: Das Krankenhauspersonal ist völlig überarbeitet, überall fehlt es an Geräten und Medikamenten, ein Schild in der Notaufnahme verweist auf acht bis zehn Stunden durchschnittliche Wartezeit. Der Mikrokosmos der Patient_innen, die sich hier eingefunden haben und notgedrungen auf engstem Raum die ganze Nacht lang zusammen ausharren müssen, bietet Potential für Horror, Drama, Gesellschaftskritik und Farce in einem. „In den besten Händen“ streift all diese Bereiche, was ihm größtenteils gelingt, stellenweise aber auch zu viel des Guten ist. Zumal am selben Abend ein Gelbwestenprotest auf den Champs-Élysées eskaliert, sodass im Lauf der Nacht immer mehr Verletzte eingeliefert werden und sich das Krankenhaus peu à peu in einen Hochdruckkessel kurz vor der Explosion verwandelt.

Zwei weitere Figuren nimmt Corsini im Verlauf des Films in den Fokus: den Lastwagenfahrer Yann und die Krankenschwester Kim. Yann hat sich auf der Demo Granatsplitter eingefangen, wird mit blutüberströmtem Bein eingeliefert und drängt auf sofortige Behandlung, da er seinen LKW bis zum Morgen noch 700 km weiterfahren muss, wenn er seinen Job behalten will. Als proletarischer Gegenpart zur bourgeoisen Akademikerin Raf konzipiert, ähneln sich die beiden doch im Temperament („Er schreit genauso viel wie du – ihr seid füreinander bestimmt!“, bemerkt Julie sarkastisch), ein Umstand, den Corsini im Folgenden gekonnt auszuschlachten weiß.

Die Ärzt_innen und Pfleger_innen hat Corsini mit echtem Krankenhauspersonal besetzt, was für den nötigen Schuss Authentizität in dem ansonsten teils allzu perfekt choreographierten Chaos sorgt: Schnelle Schnitte, wacklige Handkamera, hier ein Herzstillstand, da ein Lungenkollaps; all das erinnert an einschlägige Krankenhausserien wie „ER“ oder „Grey’s Anatomy“. Doch gibt es hier kein Pathos, kein Heldentaten, sondern nur geübte Handgriffe, knappe Zurufe, jede Menge Improvisation und kaum verhohlene Erschöpfung. Genau wie ihre Kolleg_innen ist auch Kim „im Streik“, wie ein Aufnäher auf ihrem Kittel verrät – und trotzdem seit sechs Nächten auf den Beinen. Erstaunlich, dass gerade sie es ist, die einen willkommenen Ruhepol in all der überdrehten Hektik bildet.

Foto: Alamode Film

Indes dringt das Außen einzig in Form von Fernsehbildern und auf dem Handy abgespielten Videoclips in das mal schwarzhumorige, mal beklemmende Kammerspiel. Dass „In den besten Händen“ die Gelbwestenproteste im Dezember 2018 als Aufhänger seiner Handlung nimmt, könnte den Film auf den ersten Blick überholt wirken lassen. In vielerlei Hinsicht ist der Film jedoch aktueller denn je: Der deutsche Kinostart am 21. April fiel zusammen mit den Wahlen in Frankreich, die erneut die tiefe Spaltung der dortigen Gesellschaft zeigte. Covid-19 hat zwar keinen Eingang ins Filmgeschehen gefunden, doch schwingt angesichts der drastischen Bebilderung des Krankenhausalltags stets die Überlegung mit, was für ein Film „In den besten Händen“ geworden wäre, hätte die pandemische Realität Corsinis Fiktion eingeholt. Vermutlich wäre weniger Komödie und mehr Horror herausgekommen – zumindest aber wird wohl niemand im Jahr 2022 die apokalyptischen Krankenhausszenen überzeichnet dargestellt finden.

Die delikate Balance zwischen Sozialstudie und Satire weiß „In den besten Händen“ mal mehr, mal weniger gut zu halten: So fühlen sich die spritzigen Wortwechsel zwischen Raf und Julie durchweg authentisch an, gerade weil sie sich – wie so oft im echten Leben – heillos im Kreis drehen. Zugleich darf sich Raf hier auch mal von einer zarten, liebenswerten Seite zeigen, etwa in ihrer geteilten Sorge um Julies Teenager-Sohn, der sich ohne Handynetz irgendwo mitten im Demo-Getümmel befindet. In diesen kurzen Momenten lässt sich zumindest erahnen, warum es Julie so lange mit der egozentrischen Nervensäge ausgehalten hat.

Dagegen wirkt der Schlagabtausch zwischen Raf und Yann bisweilen allzu sloganhaft, etwa wenn Yann ruft: „Wir leben nicht, wir überleben!“, oder Raf mit Aussagen wie „Proleten wählen also Le Pen, ja?“ provoziert. Corsini hat klare soziale Positionen gescriptet, die den Zuschauer_innen nicht entgehen sollen – doch bleibt die Frage, ob sich schwer verletzte Menschen in der Notaufnahme tatsächlich derart formalisierte politische Debatten liefern würden.

Foto: Alamode Film

Weitaus eindrücklicher ist das, was der Film en passant mit erzählt: Während Raf sich mit Julie darüber streitet, dass diese ihren beim Unfall verschmutzten Agnès-B.-Mantel weggeworfen hat, bittet Yann die Krankenschwester, seine Jeans nicht ganz zu zerschneiden, damit er sie wenigstens noch als Shorts weiter tragen kann. Schmerzmittel lehnt er ab, da er schließlich vorhat, sich so bald wie möglich wieder hinters Steuer zu setzen. Raf dagegen hat bereits Subutex und Tramadol intus – und verlangt zusätzlich nach Opium. Tatsächlich wünscht man sich des Öfteren, jemand würde ihr etwas Stärkeres verabreichen – einfach, damit sie endlich die Klappe hält.

Nicht nur Rafs Lautstärke hat Corsini bis zum Anschlag aufgedreht; der ganze Film ist zum Platzen gefüllt mit disparaten Elementen, die das herrschende Chaos überdeutlich machen, zugleich aber auch für einen Mangel an Fokus und einen gewissen Ermüdungseffekt beim Zuschauen sorgen. Einsame Alte, verängstigte Hunde und verirrte Schwangere laufen durchs Bild, ein Psychiatrie-Patient dreht durch. Als dann auch noch die Polizei das Krankenhaus umstellt und Tränengas in die Notaufnahme dringt, fühlt man sich unversehens in einen Endzeit-Thriller hineinkatapultiert.

Eine gute Portion Humor ist nötig, um die geballte Tragik hin und wieder aufzulockern, auch wenn der Slapstick dabei teils überhandnimmt: Da kracht ein Stück Decke herunter und erschlägt beinahe einen wartenden Patienten („Das Gesundheitssystem bricht zusammen“, bemerkt ein anderer lapidar), oder ein Röntgengerät, das offensichtlich niemand des auf die Schnelle eingesprungenen Personals zu bedienen versteht, beginnt wie ein verrückt gewordener Roboter zu rotieren.

Foto: Alamode Film

Dennoch ist „In den besten Händen“ ein beeindruckender Film, vielleicht sogar Corsinis bester bisher. Trotz – oder vielleicht gerade aufgrund – seiner Überfülle und einer gewissen Holprigkeit. Es gehört Mut dazu, sich mitten in die unübersichtliche Gegenwart hineinzuwerfen und mit Verve diverse Fragen anzugehen, auf die es schlicht noch keine Antworten gibt. In der Vergangenheit hat sich die französische Regisseurin gern historische Stoffe vorgenommen, etwa in „La Belle Saison – eine Sommerliebe“ (2015) über eine lesbische Romanze auf der Folie der Frauen- und Homosexuellenbewegung der 1970er Jahre. Im Vergleich mit ihrem jüngsten Werk wirkt „La Belle Saison“ ein bisschen wie ein leicht patiniertes Gemälde: Hübsch konserviert in warmem Sommerlich, erzählt er eine historische Entwicklung, deren Ausgang wir kennen, und die sich in jedem Geschichtsbuch nachlesen lässt.

„In den besten Händen“ dagegen stößt uns mitten hinein in ein absurdes, verstörendes Jetzt, in dem wir uns selbst erst orientieren müssen. Oft sind die Seiten nicht klar, Allianzen verändern sich, und keine_r von uns kennt das Ergebnis. Wenn Raf ausruft: „Ich bin keine Karikatur!“ oder Yann höhnt: „Ich bin euer Alibi-Prolet!“, dann greift der Film selbstreferentiell die Gefahr auf, seine Figuren zu Stereotypen zu gerinnen. Und gerade weil Corsini diese Gefahr stets bewusst ist, gelingt es ihr, sie immer wieder zu umschiffen. Zwar werden Yann und Raf in einigen Szenen (allzu) antagonistisch gegeneinander positioniert, letztendlich jedoch entziehen sie sich unseren Einordnungen.

Auch täuschen die kurzen Momente der Annäherung nicht darüber hinweg, dass die sozialen Ungleichheiten weiter bestehen. Es gibt keine Versöhnung über Klassenschranken hinweg, ja nicht einmal die Illusion einer „Begegnung auf Augenhöhe“. Bei aller satirischer Überdrehtheit bleibt „In den besten Händen“ in diesem Punkt ganz realistisch: Verschiedene Lebensrealitäten prallen aufeinander, driften dann aber auch wieder auseinander.




In den besten Händen
von Catherine Corsini
FR 2021, 99 Minuten, FSK 12,
französische OF mit deutschen UT und DF,
Alamode Film

Auf DVD, BluRay und VoD erhältlich.

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