Aiden Thomas: Yadriel & Julian

Buch

Ein regelrechter Hype brach in den USA um Aiden Thomas’ Debütroman „The Cemetery Boys“ los, nachdem er im September 2020 erschienen war. Die Geschichte über einen Transjungen, der in der Latinx-Community von Los Angeles erst seine übersinnlichen Fähigkeiten und dann die Liebe entdeckt, wurde zum New-York-Times-Bestseller und schaffte es auf die Longlist des National Book Award. Ende Juni erschien der Roman unter dem Titel „Yadriel & Julian“ auf Deutsch – im Dragonfly Verlag, der auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert ist. Linus Giese hat sich von dem Buch überraschen, berühren und verzaubern lassen und kommt zu dem Schluss, dass es weit mehr bietet als progressive Unterhaltung für junge Menschen, sondern vielmehr das Zeug hat, dem deutschsprachigen Literaturbetrieb generell als Vorbild in Sachen Diversität zu dienen.

Komm mit auf den Friedhof!

von Linus Giese

Im englischen Original ist dieses Buch bereits vor zwei Jahren erschienen. Jetzt liegt es endlich auch in der deutschen Übersetzung von Stefanie Frida Lemke vor. Die Tatsache, dass das so lange gedauert hat, ist bemerkenswert. Während es im englischsprachigen Jugendbuchbereich einen Kanon queerer Autor*innen gibt (neben Aiden Thomas sind besonders Kacen Callender und Mason Deaver zu nennen), der nicht nur beeindruckend groß ist, sondern auch beeindruckend erfolgreich, wurden davon bisher wenige ins Deutsche übersetzt. Dabei ist „Cemetery Boys“ ein vielfach ausgezeichneter New-York-Times-Bestseller – und damit nebenbei bemerkt die erste von einer trans Person veröffentlichte Trans-Geschichte, die es überhaupt auf diese Liste geschafft hat.

Thomas Aiden – Foto: Elizabeth Stelle

„Die Bräuche der Brujx gingen auf alte Traditionen zurück. Sich gegen die Traditionen zu richten wurde als Blasphemie angesehen. Als Yadriel sich geweigert hatte, zu seiner Quinces-Zeremonie als Bruja vor la Santa Muerte zu treten, und er die Sache stattdessen als Brujo hatte durchziehen wollen, war ihm das verwehrt worden.“

Doch worum geht es überhaupt: Aiden Thomas erzählt die Geschichte von Yadriel, einem trans Jungen, der darum kämpft, endlich von seiner Verwandtschaft akzeptiert zu werden. Yadriel wächst in einer Latinx-Familie auf, die in der Tradition der Brujx steht. Brujx haben die Macht, die Welt der Lebenden mit dem Reich der Toten zu verbinden. In einem feierlichen Ritual werden die weiblichen Familienmitglieder zu Brujas und die männlichen zu Brujos. Yadriel ist der erste in seiner Familie, der trans ist und sein größter Wunsch ist es, ein Brujo zu werden, so wie alle anderen Männer in seiner Familie auch. Doch weil seine Familie ihm das nicht erlaubt, führt er besagtes Ritual mit der Hilfe seiner Cousine Maritza (die vegan lebt und zwei Pitbulls hat) auf eigene Faust durch. Und dabei geht – wie sollte es anders sein – selbstverständlich etwas schief: Statt seine neuen Kräfte dafür zu nutzen, den Mord an seinem Cousin aufzuklären, beschwört Yadriel aus Versehen den falschen Geist. Plötzlich steht Julian vor ihm, der Bad Boy aus seiner Highschool, der plötzlich gestorben ist, als er gerade mit seinen Freund*innen unterwegs war. Während Yadriel Julian ganz schnell ins Reich der Toten übertreten lassen möchte, um allen zu beweisen, dass er ein richtiger Brujo ist, möchte Julian herauszufinden, warum er überhaupt gestorben ist und was mit seinem Skateboard passiert ist. Damit beginnt das Abenteuer von Yadriel und Julian …

„Yadriel lebte schon immer auf dem Friedhof, und eigentlich war ihm das Betreten der Kirche nicht verboten. Es heimlich zu tun, bedeutete allerdings eindeutig, eine moralische Grenze zu überschreiten.“

Diese kurze Inhaltsangabe kratzt lediglich an der Oberfläche dieses komplexen und vielschichtigen Romans. „Yadriel & Julian“ ist so vieles in einem: ein Jugendbuch über einen trans Jungen, ein Coming-of-Age-Roman über Freundschaft, ein queerer Fantasy-Roman und eine übersinnliche Liebesgeschichte. Es ist ein Buch, das ganz viel über die Latinx-Kultur erzählt, aber auch davon, wie es sich anfühlen kann, wenn ein junger Mensch, der trans ist, immer wieder das Gefühl hat, nicht akzeptiert und verstanden zu werden. Es ist eine wohltuende Abwechslung, dass Yadriel nicht an seiner Identität zweifelt. Er weiß sehr genau, wer er ist, nur seine Familie muss es noch verstehen lernen. Yadriels Eltern geben sich Mühe, den Sohn zu akzeptieren, doch sie können sich nur schwer von der Vorstellung verabschieden, dass aus Yadriel keine Bruja wird. Genauso schwer fällt es ihnen, ihn nicht mehr bei seinem alten Namen zu nennen oder ihn mit dem richtigen Pronomen anzusprechen. Dabei denke ich vor allem an eine Szene, in der Yadriels Vater ihn anweist, bei „den anderen Mädchen“ zu warten. Oder an die Großmutter, die sagt, dass Yadriel immer ihr kleines Mädchen bleiben wird. Sätze wie diese sind für den jungen trans Mann wie ein Stich ins Herz. Die Beschreibungen von Yadriels Schmerz darüber, nicht so gesehen zu werden, wie er ist, gehören zu den stärksten und berührendsten Aspekten des Romans. Mit Julian an seiner Seite geht Yadriel auf eine Entdeckungsreise zu sich selbst, bei der sich seine Perspektive auf die Familie und sein eigenes Trans-Sein immer mehr verändert und erweitert.

Fantasy gehört eigentlich nicht zu den Genres, die ich lese, doch in diesem Fall bin ich froh, eine Ausnahme gemacht zu haben: Ich wurde unglaublich gut unterhalten, berührt, habe gelacht, viel Neues dazugelernt und zwischendurch die eine oder andere Träne verdrückt. Diese Mischung hat „Cemetery Boys“ in Amerika nicht nur großen kommerziellen Erfolg eingebracht, sondern auch großen Erfolg bei der Kritik. Beides zeigt wohl, dass es ein großes Bedürfnis nach Trans-Geschichten gibt, die von trans Autor*innen erzählt werden. Es zeigt auch, dass die englischsprachige Literaturwelt – gerade im Bereich Jugendbuch – viel weiter, offener und mutiger ist als bei uns, was das Erzählen von queeren und diversen Geschichten betrifft.

Ich wünsche dieser ganz besonderen Geschichte sehr, dass sie auch in Deutschland erfolgreich wird. Was dabei vielleicht helfen könnte, wäre „Yadriel & Julian“ nicht nur als Jugendbuch zu sehen, sondern als Roman für alle Generationen, dem es gelingt, Menschen jeglichen Alters etwas über Zugehörigkeit, Selbstakzeptanz, geschlechtliche Identität und familiären Rückhalt zu erzählen, und gleichzeitig über Themen wie Binder, Pronomen und die traditionelle Kultur der Latinx aufzuklären. Lasst euch auf dieses Abenteuer ein und kommt mit auf den Friedhof. Es lohnt sich!




Yadriel & Julian
von Aiden Thomas
Aus dem Englischen von Stefanie Frida Lemke
Hardcover, 400 Seiten, € 18
Dragonfly Verlag

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