Holger Brüns: Vierzehn Tage

Buch

Im Kontext der Queer Theory wird neuerdings viel über „weiße, alte, schwule cis-Männer“ geschrieben; in Holger Brüns Sommernovelle „Vierzehn Tage“ meldet sich ein Vertreter dieser Spezies selbst zu Wort – nicht etwa auf Krawall gebürstet, sondern ganz entspannt und unaufgeregt. Während eines kurzen Urlaubs, in dem er eigentlich seine Wohnung renovieren will, schaut er sich in seiner Heimatstadt Berlin und in seinem Leben um und kommt sich wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten vor. Und er stellt sich die Frage: War’s das jetzt, oder lässt sich das noch ändern? Axel Schock hat die Novelle für uns gelesen.

Weiß, 40, schwul

von Axel Schock

Holger Brüns hat seinem Prosadebüt den Untertitel „Sommernovelle“ verliehen, und tatsächlich trifft diese Genrebezeichnung exakt den Kern dieses kleinen, sehr fein beobachteten Buches. In „Vierzehn Tage“ lässt sich ein Mittvierziger durch das hochsommerliche Berlin Anfang der 2000er Jahre treiben. Zwei arbeitsfreie Wochen bieten ihm nicht nur jede Menge Gelegenheit zum Müßiggang, sondern auch zur eigenen Standortbestimmung. Und als ein junger Spanier seinen Weg kreuzt, fühlt sich Brüns’ Hauptfigur wieder ganz jung und lebendig, und spürt zugleich auch den Bruch zwischen den Generationen.

Man kennt sie, diese durchaus vernünftigen, sinnvollen und eigentlich ja auch realisierbaren Vorhaben: endlich mal den Keller ausmisten, die Fenster putzen oder, wie der Protagonist in Holger Brüns‘ Buch, der Küche einen neuen Anstrich verpassen. Wann, wenn nicht jetzt: zwei Wochen Urlaub, keine Verpflichtungen. Die Farbe ist gekauft, die Regale sind schon abgenommen, die erste Wand strahlt bereits im neuen, hellen Gelb. Dann ist der Elan verflogen. „Einzug oder Auszug?“ hatte ihn der Verkäufer im Baumarkt schmallippig beim Beratungsgespräch für die passende Farbsorte gefragt. Im Kontext der nachfolgenden Ereignisse nimmt sich dieser beiläufig hingeworfene Satz fast prophetisch aus: Geht in diesen zwei Sommerwochen für Brüns‘ Romanfigur gerade etwas zu Ende? Beginnt hier eine neue Lebensphase?

Sehr viel erfahren wir nicht über ihn: Der schwule Mann Mitte 40 und Single aus Überzeugung gehört zu jenen, die bereits vor der Wiedervereinigungseuphorie die besonderen Freiheiten und Möglichkeiten West-Berlins zu schätzen wussten. Nicht nur deren schwule Szene, sondern auch die Möglichkeit, bürgerlichen Zwängen trotzen und alternative Lebensmodelle erkunden zu können.

Holger Brüns – Foto: privat

Doch Brüns’ Protagonist realisiert: diese Zeiten gehen zu Ende. Der nächste Brief vom Hauseigentümer könnte die lange befürchtete Mieterhöhung sein. Dann würde das spärliche Gehalt als Postsortierter, mit dem er bislang ohne Anstrengungen über die Runden kam, nicht mehr ausreichen. Aber noch etwas anderes drängt sich in den Gedankenstrom: Er und seinesgleichen – die mit ihm älter geworden und in der Stadt geblieben sind – sie sind Überlebende, Übriggebliebene. Längst prägen die nachgewachsenen Generationen die Stadt, die Kieze und das Kulturleben, die Bars und die Szene. Er und seinesgleichen sind auf dem besten Wege dahin, Zeitzeugen jener vergangenen Tage zu werden.

Den Mann treibt es hinaus aus seiner kleinen Altbauwohnung, er lässt das angezettelte Heimwerker-Chaos zurück und genießt den Berliner Sommer. Er streift durch die heimatlichen Kieze in Kreuzberg und Neukölln, faulenzt am Badesee, besucht zwischenzeitlich Freunde auf ihrer Stadtfluchtidylle in der Uckermark, und der Protagonist kommt nicht umhin, das Gestern und Heute gegeneinander aufzuwiegen. Was ist geblieben vom kämpferischen Geist und von der Aufbruchsstimmung? Und was von diesem Berlin, von den Orten, an denen gefeiert, geliebt, politisiert wurde? Oder in den Worten, die Holger Brüns seinem Helden in den Mund legt: „Was ist aus dem Leben geworden, von dem ich einmal geträumt habe? Was geschieht mit mir, während sich die Welt um mich herum verändert?“

Holger Brüns, von Hause aus Schauspieler, Tanzdramaturg und Theaterregisseur, lässt seinen Protagonisten durch den Sommer und die Stadt treiben und fängt dabei bisweilen mit fast journalistischem Blick die topografischen Details der sich wandelnden Metropole ein. „Vierzehn Tage“ wird man eines Tages wie ein semidokumentarisches Zeugnis lesen können, in dem nicht nur ausschnittsweise das (schwule) Leben im Berlin der Nuller Jahre, sondern auch das Lebensgefühl der (schwulen) West-Berliner Vorwende-Generation eingefangen ist.

Auch wenn auf den ersten Blick wenig passiert auf diesen 140 Seiten und Brüns in einem lässigen, aber dennoch sprachlich genauen Plauderton erzählt: „Vierzehn Tage“ ist mehr als die Momentaufnahme einer Sommerstimmung. „Die ereignete unerhörte Begebenheit“, die Goethe anno 1827 als wesentliches Merkmal einer Novelle konstatierte, ereignet sich in Brüns’ „Sommernovelle“ bei einer Vernissage in einer Galerie. Hier trifft der Protagonist den wesentlichen jüngeren Spanier Jorge auf Berlin-Besuch. Man unterhält sich in gebrochenem Englisch, trinkt ein Bier zusammen und dann noch eines. Man verbringt die Nacht miteinander, und dann noch eine weitere. Findet Vertrauen zueinander, harmoniert im Bett, erkundet zusammen die Stadt; hat keine Erwartungen, keine Hoffnungen, keine Verpflichtungen. Jorges’ Tage in Berlin werden ebenso absehbar enden wie der Urlaub dieses Berliner Postsortierers. Für einen Moment blitzt die Frage auf, wie ein Leben in einer Zweierbeziehung, die bislang durch ganz rationale Begründungen ostentativ ausgeschossen wurde, wohl ausgesehen hätte. Und ob ein solches Lebensmodell vielleicht doch eine Möglichkeit sein könnte. „Er hatte sich gefragt, ob sein Leben, ob das alles ein Missverständnis gewesen war. Ob er den falschen Zielen nachgelaufen war, ob das, was er für richtig und wichtig gehalten hatte, in eine Sackgasse geführt hatte, aus der er nun nicht mehr herauskam.“

Bei Brüns werden selbst diese existentiellen Fragen en passant und unaufgeregt verhandelt. Nur so viel, um die Unsicherheit, die sanft melancholische Gemütslage seines Protagonisten spürbar zu machen. Und so werden schlichte Sätze, die in anderem Kontext wie banale Kalendersprüche erscheinen, zum Signal für eine optimistischen Wendung: „Alles ließe sich noch ändern.“
 



Vierzehn Tage
von Holger Brüns
Broschur, 114 Seiten, 16 Euro,
Verbrecher Verlag

 

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