Handsome Devil

Trailerqueerfilmnacht

Ein rothaariger Nerd und Indiemusik-Fan, der von seinen Mitschülern böse gemobbt wird. Ein muskelbepackter Rugby-Crack, der weit sensibler ist, als zunächst angenommen. Ein unkonventioneller Englischlehrer, der seinen Schülern nicht nur den Unterrichtsstoff beibringt, sondern Lektionen fürs Leben. In „Handsome Devil“, der im November in der queerfilmnacht läuft, variiert der irische Regisseur John Butler gleich mehrere Figuren des bei Schwulen und Lesben überaus beliebten Internatsfilm-Genres. Axel Schock folgt den homosozialen Spuren der Filmform und entdeckt in „Handsome Devil“ nicht nur smarte Wendungen und hinreißende Hauptdarsteller, sondern auch eine berührende Botschaft.

Foto: Edition Salzgeber

Jungs in Uniform

von Axel Schock

Internatsfilme sind ein recht spezielles Genre, gerade aus nicht-heterosexueller Perspektive. Wo, wenn nicht hier, in dieser geschlossenen Gesellschaft unter Hunderten von Menschen gleichen Alters und gleichen Geschlechts, wäre der ideale Ort, um sich der eigenen sexuellen Identität bewusst zu werden und sich vielleicht sogar erstmals zu verlieben? Und wo, wenn nicht hier, inmitten dieser uniformen Gemeinschaft, wird das Anderssein so augenfällig und viel intensiver erlebt, als in der Welt jenseits der Internatsmauern?

Nicht von ungefähr sind eine ganze Reihe von zum Teil klassisch gewordenen Coming-out- und Coming-of Age-Filmen in Eliteschulen, Erziehungsanstalten und Colleges angesiedelt. Die Liste der – mal mehr, mal weniger – glücklichen Internatslieben unter Mädchen reicht vom genre-prägenden „Mädchen in Unform“ (1931, Remake 1958) über „Lost and Delirious“ (2001) bis „Loving Annabelle“ (2006); bei den Jungs fallen einem spontan die Peyrefitte-Verfilmung „Heimliche Freundschaften“ (1964), „Another Country“ (1984), André Téchinés „Wilde Herzen“ (1994) und  Pedro Almodóvars „La mala educación – Schlechte Erziehung“ (2004) ein.

Und nun also John Butlers „Handsome Devil“. Auf den ersten Blick bedient sich der irische Filmemacher und Schriftsteller souverän der wichtigsten Bausteine, die in kaum einem Schuldrama fehlen. Da wäre zunächst der sympathische und deshalb umso bemitleidenswertere Underdog, hier in Gestalt des rothaarigen neuen Mitschülers Ned, aus dessen Perspektive der Film erzählt wird. Ned weiß, dass er anders ist und unternimmt gar nicht erst den Versuch, sich zu verstellen, um besser mit dem Strom schwimmen zu können. Sogar sein Vater kann mit ihm nicht viel anfangen und hat ihn deshalb aufs Internat abgeschoben. An der Rugby-verrückten Schule hat sich Ned allein schon durch sein Faible für Punk-Rock-Bands der 80er-Jahre Bands (wie Prefab Sprout, Big Star und The Untertones) ins Aus befördert. Wer sich Poster von Suede und Dita von Teese ins Zimmer hängt, der kann nur schwul sein und macht sich in der Logik der Testosteron-getriebenen Kollektivs selbstverschuldet zum Prügelknaben.

Foto: Edition Salzgeber

Als man ihm ausgerechnet den anderen Neuen, den Sport-Crack Conor als Zimmergenossen zuteilt, sind die Konflikte vorprogrammiert. Ned sieht keinen anderen Ausweg, als aus den Möbeln quer durch die Bude eine „Berliner Mauer“ zu errichten. Doch lange halten die beiden ihren privaten Kalten Krieg nicht durch. Ausgerechnet die gemeinsame Liebe zur Musik bringt sie zueinander. Ihr Englischlehrer Dan Sherry – noch so ein Neuzugang am Internat – kann sie sogar überreden, bei der Talentshow an der benachbarten Mädchenschule als Simon-and-Garfunkel-artiges Gesangsduo teilzunehmen – mit dem Cover eines Housemartins-Songs.

Da hätten wir also zwei weitere klassische Genre-Bausteine: Zum einen die große Herausforderung, an der die Hauptfiguren wachsen – in diesem Falle der Wettbewerb, auf den die Handlung zuläuft. Zum andern ist diese eine, ganz besondere Lehrkraft, die sich mehr als die anderen Kolleg_innen für die Schüler einsetzt, sie fördert, ermutigt und aufbaut. Zur Erinnerung: In „Freedom Writers“ (2007) löste Hilary Swank als einfühlsame Englischlehrerin die ethnischen Differenzen in ihrer Schulklasse über das Schreiben. In „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ (2004) war Chorgesang der pädagogische Schlüssel, und in „Der Club der toten Dichter“ brachte Robin Willams als Lehrer John Keating seine Jungs nicht nur Literatur nahe, sondern leitete sie auch zu freiem Denken und Handeln an.

Foto: Edition Salzgeber

In „Handsome Devil“ tritt Dan Sherry in Keatings Fußstapfen. Auch er hat für jede Lebenslage ein passendes literarisches Zitat zur Hand und bedient sich unkonventioneller Unterrichtsmethoden. Ned aber gelingt es, es sich gleich beim ersten Schulaufsatz mit dem Englischlehrer zu verscherzen. Mit seiner Methode, schlaue Gedanken aus vermeintlich abseitigen Songtexten als die eigenen auszugeben, hat sich Ned mit Sherry einfach den Falschen ausgesucht. „If you are someone else, who is going to be you?“, kommentiert der etwas pathetisch den schamlosen Zitateklau. „You are all individuals!“

Womit „Handsome Devil“ dann auch bei seiner zentralen Message angelangt wäre. Denn: Es gibt keinen Schul- oder Internatsfilm, der nicht auch eine Botschaft transportieren wollte. Regisseur John Butler überlässt es seiner Lehrerfigur Sherry, sie als erstes auszusprechen: Sei, wer du bist. Verstelle dich nicht. Es gehört zu den besonderen Pointen dieses Films, dass auch Dan Sherry erst lernen muss, zu sich, das heißt zu seinem Schwulsein zu stehen, und ausgerechnet ein Schüler wird ihn darin bestärken.

Foto: Edition Salzgeber

Auch wenn mit „Handsome Devil“ das Genre weder auf den Kopf gestellt noch komplett neu erfunden wird, so überrascht Regisseur Butler seine Zuschauer_innen doch immer wieder, indem er in scheinbar altbekannten Genre-Bausteinen die Akzente verschiebt und naheliegende Entwicklungen konterkariert. So kommt „Handsome Devil“ beispielsweise ganz ohne Liebesromanze aus. Der Talentwettbewerb endet nicht mit dem großen Sieg und allgemeiner Anerkennung, wie man erwarten würde. Und der internationale Slogan gegen das Mobbing von LGBTIQ-Jugendlichen, It get’s better, klang noch nie so falsch, wie aus Dan Sherrys Mund.

Wenn einige der Nebenfiguren, wie etwa der bullig-tumbe Rugby-Trainer, ein wenig klischeehaft geraten sind, weil so einfacher humoristisches Kapital aus ihnen zu schlagen ist, so erweisen sich die zentralen Charaktere umso komplexer und ungewöhnlich gebrochen. Ned mag einerseits liebenswert erscheinen, gerade weil er so selbstbewusst seine Interessen verfolgt und schon sehr genau weiß, wer er ist. Andererseits kann dieser Typ auch ganz schön nervig sein. Wie Ned-Darsteller Fionn O’Shea hier mit den Sympathien der Zuschauer_innen spielt, ist eine der starken Ambivalenzen des Films.

Foto: Edition Salzgeber

Andrew Scott gestaltet seinen Englischlehrer zu einer noch vielschichtigen Figur: Als unorthodoxe Lehrkraft imponiert er durch sein Engagement und ängstigt zugleich durch seine ungefilterten Emotionen. Angesichts des befürchteten Outings aber bröckelt die Fassade und legt einen zutiefst verängstigen und unsicheren Menschen frei. Ein Wechselbad der Gefühle, das Scott großartig spürbar macht. „Ich denke, ich bringe diesen gewissen Grad an Authentizität mit, die diese Rolle braucht“, erklärte der Ire ganz bescheiden in einem Interview. Scott, den viele als Sherlock Holmes’ Gegenspieler Moriarty aus der BBC-Reihe „Sherlock“ (seit 2010) und aus dem britischen LGBTIQ-Aktivist_innen-Drama „Pride“ (2014) kennen dürften, hatte sich 2013 – auch als Reaktion auf die homofeindliche russische Gesetzgebung – als schwul geoutet. Seiner Filmfigur ringt mit sich bis zum Ende. Dann kommen zwei Sätze und zwei sehr vielsagende Blickwechsel. Scott spielt diese knappe Szene so intensiv, dass man nicht anders kann als mit ihm zu fühlen, sich mit ihm zu freuen und insgeheim ein wenig zu seufzen.




Handsome Devil
von John Butler
IR 2016, 95 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber

Im November in der queerfilmnacht.

 

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