Casting
Trailer • Kino
Ab morgen im Kino: Im neuen Film von Nicolas Wackerbarth („Halbschatten“) soll eine junge Regisseurin Fassbinders wegweisendes Liebesmelodram „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (1972) neu verfilmen – als bieder gebürstetes Fernsehspiel mit einem hetero- anstatt eines homosexuellen Liebespaares. So kann das natürlich nicht funktionieren, der Stoff sträubt sich, bereits das Casting gerät zum Fiasko. Wackerbarth geht in seinem sinnlichen Film über das Filmemachen volles Risiko und zeigt, was dem deutschen Kino heute an freiem Denken, Dringlichkeit und durchdringender Emotionalität fehlt.
Zurück in die Zukunft
von Dennis Vetter
„Ich will nur, dass du wirklich hörst, was ich dir sage.
Und nicht mit einer Meinung, die schon fertig ist,
beurteilst, was ich grade formuliere.“
(Petra von Kant)
Nicolas Wackerbarths neuer Film heißt „Casting“. Ein Titel, der irgendwie nach einer unverbindlichen Übung klingt und nach einer Konzeptarbeit. Das stimmt auch, aber nur teilweise. Der Film kommt nämlich durchaus aus einer Logik, bei der die Reflektion des Filmbetriebs eine Rolle spielt. Ein Theoriefilm ist es aber so gar nicht. Zum Glück, denn Theoriefilme sind manchmal sehr wenig sinnlich und unterwandern damit gerne ein grundlegendes Potenzial des Kinos, die Strenge und Struktur der Logik einer radikalen Sinnlichkeit des Bildflusses unterzuordnen. Zugegeben: Wackerbarth macht sich das Sinnliche hier nicht unbedingt einfach, denn sein Film spielt am Set einer TV-Produktion. Da gibt es schon spannendere und weniger beengte Räume in der Filmgeschichte zu entdecken.
Es geht dann tatsächlich um ein Casting, und es wird entsprechend viel gesprochen, das aber glücklicherweise mit einem genauen Gespür für die Betonung. Das was passiert, scheint für alle bedeutungsvoll. Irgendwie funkt in diesem seltenen Fall die kluge Abwägung eines Films über das Filmemachen mit einem Sinn für psychologische Dringlichkeit. Dringlichkeit, das ist übrigens etwas, was sich im Kino hierzulande gerade nicht so häufig findet.
Wackerbarth holt sich als Referenz Fassbinder dazu, der ist ein Leitmotiv seines Films. Und in der Tat, bei Fassbinder gab es Zeit seines Lebens eine Begeisterung am fülligen Inszenieren von dringlicher und durchdringender Emotionalität, die dem deutschen Gegenwartskino über weite Strecken abhandengekommen scheint. In aktuellen Produktionen ist so selten etwas zu spüren, da scheint kaum etwas auf dem Spiel zu stehen und raus zu wollen oder überhaupt raus zu dürfen. Um „Casting“ zu drehen, hat Wackerbarth viele Sicherheiten geopfert und stattdessen Risiken und Ungewissheiten als Chancen der Kunst umarmt.
Ganz so exaltiert wie bei Fassbinder funktioniert das Inszenieren hier natürlich nicht. Weil es eine andere Zeit ist und es heute ein verschobenes Kunstverständnis gibt. Und diesen Umstand thematisiert Wackerbarth auch von vorneherein. Die Worte Fassbinders liegen hier erst einmal auf der Goldwaage und wurden schon vor Beginn der Filmhandlung mit Fördergeldern gegengerechnet: Die Regisseurin Vera soll „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ fürs Fernsehen neu inszenieren und sucht eine Woche vor Drehbeginn noch immer die richtige Hauptdarstellerin. Es steht ihre Karriere auf dem Spiel. Es ist ihr erster Spielfilm, und der Produzent schaut ihr ungeduldig auf die Finger. Das Filmerbe alias Fassbinder soll zum Jubiläum des Stoffs ebenso respektiert werden, wie die Sendervorgaben. Und das Künstlerische ist dem Sender dabei anscheinend eher zu viel. Nur über das Mechanische in der Kunst sind sich alle wirklich einig: Das Casting dient dazu, die richtige Schauspielerin zu finden.
Eine Schauspielerin übrigens und nicht zwei, denn es ist ja eben nicht alles wie damals in München. Fürs Fernsehen verliebt sich Petra von Kant heutzutage in einen Kerl. Aus Fassbinders Karin ist also Veras Karl geworden. Und den Karl gibt während der Spielproben der Gerwin. Gerwin war mal Schauspieler, hat das Handtuch geworfen und springt jetzt neben seinem Job beim Bau als Anspielpartner ein. Er soll bis Drehstart überzeugend so tun, als wäre er der Karl; und als wäre er ein Schauspieler. Bald ist er dabei zu seiner eigenen Verblüffung so überzeugend, dass er sich sogar selbst überzeugt und beginnt, sich heimliche Hoffnungen auf die Rolle im Film zu machen.
Wieso auch nicht, bei der Vorlage? Noch immer funktioniert der Text, d.h. in allen Probenszenen, die einen Kern von Wackerbarths Filmhandlung bilden: Fassbinders Petra von Kant wusste sich auszudrücken wie wenige Frauen der Filmgeschichte. Deshalb wurde das Skript, seit es Fassbinder damals fürs Theater schrieb, auch immer wieder am Theater adaptiert. Für Wackerbarth war diese Vielgestalt ausschlaggebend, den Text bei „Casting“ überhaupt einfließen zu lassen: „Erst dachte ich, dass man den nicht einfach in dem Film verwenden kann. Aber die Tatsache, dass es hunderte Petra von Kants gibt, hat die Entscheidung dann doch etwas erleichtert.“ Petra von Kant, das könnte also jede sein? Oder jeder? Der Casterin scheinen Geschlechterrollen eigentlich egal. Aber bald dann auch wieder nicht. Wirklich progressiv kann unter diesen Produktionsbedingungen anscheinend niemand denken. Eher übernimmt beizeiten der Pragmatismus die Regie: Es müsste einfach jemand zur Hand sein, mit dem sich Vera menschlich versteht.
Es ist aber auch kompliziert: Zu den Proben bringen alle Schauspielerinnen Haltungen und Stile mit, testen sie mit Gerwin an Zeilen aus, die das Künstlerische und Private immer wieder miteinander verweben. Gleich bei einer der ersten Testszenen fragt Vera eine Kandidatin geschmacklos nach ihrem Beziehungsleben aus und wird damit nicht zur einzig ambivalenten Figur in Wackerbarths Film. Sie alle tragen sie ihre Strategien, Rollen und Machtstrukturen in sich. Alle haben sie ihre offenen und heimlichen Aufgaben und Ziele, ihre Schwächen und Sympathien. Und alle stellen sie sich bei „Casting“ dennoch gemeinsam in den Dienst eines künstlerischen Projekts. Die Produktion muss weitergehen, wenn nötig auf Kosten der anderen. Hinter den Kulissen wird ebenso viel gesprochen, wie während der Proben im Scheinwerferlicht.
Fassbinders Sprache wirkt im Pragmatismus der heutigen TV-Landschaft immer wieder gleichermaßen entrückt und übergriffig. Die Worte aus der Zeit wühlen immer wieder etwas auf in den Spielenden, gegen das die reflektierte Situation seines Films nichts ausrichten kann. Und auch nicht will. Der Anspielpartner muss alles vermitteln, er bekommt Fassbinders Drastik immer wieder ganz intensiv zu spüren. Andreas Lust schont sich hier nicht und wird von Szene zu Szene mehr, bald auch in den Pausen, zum sinnlichen Zentrum des Films, macht sich immer wieder auf durchdringende Art nackt und verwundbar. Und in seiner Verwundbarkeit klingt dann immer stärker auch eine Petra von Kant an.
Die sprach andauernd über die Liebe, über die verbreitetste Spielart des Wahnsinns. Und Wahnsinn ist eben ansteckend. Der Wahn war auch über Fassbinders gesamte Truppe hinweg ansteckend, die ihre Theatermethoden damals nicht umsonst jahrelang über das gemeinsame Leben und Spielen als Kommune austestete. Wackerbarths Entscheidung „Casting“ über eine improvisierte Form zu Inszenieren ist ein Zugeständnis an den Mut und die Spielfreude aller Beteiligten. Damit kann sein Film als seltener Glücksfall im deutschen Kino gelten, das sonst zu gerne auf sichere Koordinaten setzt. Sichtbar wird in der Form des Films letztlich vor allem eine überraschende Perspektive auf ein progressives Vergangenes als Überrumpelung einer konservativen Gegenwart, die Einforderung einer permanent nötigen und sinnhaften Weiterentwicklung.
Während Fassbinders Film damals ohne Rücksicht auf Verluste nach einer Sprache der Melodramatik suchte, drückt sich in Wackerbarths Film eine Liebe zur Melodramatik des Inszenierens aus, auch zur Melodramatik der Filmsprache. „Casting“ ist eine Umarmung des Spielens und Filmens als Prozess eines sozialen und künstlerischen Miteinanders, das ohne Sinn für emotionale Konsequenzen nicht interessant zu denken ist. Es wird hier vieles nach außen gekehrt, was einen Film verwundbar machen kann, das Seelenleben des Drehens veräußert. Weil es kein festes Drehbuch gab, erschloss sich über die Methode, wer nun welche Rolle spielt. Nicht zu sprechen, nicht zu spielen, das hieß beim Dreh zu „Casting“, das Interesse der Kamera zu verlieren, nicht mehr sichtbar zu sein. Auf gewisse Art scheint das nicht weniger fordernd für die Spielenden, als die Exzentrik von Fassbinders Kunstsprache. Die Dringlichkeit der Umstände macht in beiden Fällen unverkennbar, dass im Kern ein Herz steckt, das sich nicht verbergen will. „Es scheint nur hart“, sagt Petra von Kant, „weil ich den Kopf benütze.“
Casting
von Nicolas Wackerbarth
DE 2017, 91 Minuten,
deutsche OF,
Piffl Medien
Ab 2. November hier im Kino.