Greta

TrailerDVD / VoD

Der alternde Krankenpfleger Pedro führt einen Alltag zwischen überfüllter Klinik, Sauna, Nachtclubs und tristem Wohnblock in der brasilianischen Stadt Fortaleza. Von seinem Gelegenheitslover lässt er sich  Greta Garbo nennen, um der grauen Realität zu entfliehen. Als er den jungen Kleinkriminellen Jean bei sich aufnimmt, dringt plötzlich Licht in Pedros Welt. Unsere Autorin Esther Buss hat Armando Praças feinsinniges Drama gesehen und darin auch eine subtile politische Anklage des homo- und transphoben Klimas in Brasilien unter Bolsonaro erkannt. Jetzt gibt es „Greta“ auf DVD und als VoD.

Foto: GMfilms

Solidarische Allianzen

von Esther Buss

Eine tiefe Erschöpfung hat sich in die Gesichter, Körper und Bewegungen gezeichnet. Spürbar ist sie in „Greta“ auch in den dunklen, verhangenen Bildern mit ihren oft engen Ausschnitten und Perspektiven auf Flure und halb geschlossene Türen, im gedämpften Rhythmus der Erzählung. Auf dem Weg in die Klinik wischt sich der 70-jährige Krankenpfleger Pedro die Mascara von den müden Augen, auf einer Bahre neben ihm seine vor Schmerz stöhnende Freundin Daniela. Im Krankenhaus in Fortaleza herrscht Chaos. Die Gänge sind voll mit Kranken, einige warten auf Stühlen gekrümmt auf das nächste freie Bett, auch für die an einem Nierenversagen leidende Transfrau findet sich kein Platz.

Im Tausch für einen Handjob und ein bisschen Taxigeld überredet Pedro schließlich einen Patienten, ihm das Bett für Daniela zu überlassen, doch kurz darauf ist es schon wieder besetzt: von Jean, einem unter Polizeigewahrsam stehenden jungen Mann. In einem Wäschekorb schmuggelt er den schwer verletzten Verdächtigen nach draußen und schafft ihn erst mal in seine kleine Wohnung – ein sinnloser Tausch, wie sich herausstellt. Daniela weigert sich, nur eine Nacht im Männertrakt zu verbringen, eine Verlegung auf die Frauenstation sei aussichtslos, heißt es. Schon die Aufnahmeprozedur war entwürdigend, die unheilbar Kranke musste sich mit ihrem männlichen Geburtsnamen anmelden. Daniela ist aber ohnehin entschlossen, ihr verbleibendes Stück Leben nicht den Ärzten zu überlassen, sie will es selbst in die Hand nehmen. Pedro, der seine Freundin lieber im Spital betreut sähe, soll ihr dabei helfen.

„Greta“ beginnt bei all dem Hin und Her so leise, ruhig und behutsam, dass man die politische Anklage, die darin liegt, fast übersehen könnte. Der brasilianische Filmemacher Armando Praça, der zuvor als Regieassistent, Drehbuchautor und Schauspielcoach für Regisseure wie Marcelo Gomes und Karim Aïnouz arbeitete, erzählt in seinem Debütfilm eine so intime wie zärtliche Geschichte über das Altern, den Abschied und die Einsamkeit, doch das Gesellschaftliche ist immer präsent. Entschieden im Ton, dabei frei von Empörungsrhetorik, zeichnet Praça ein Bild des homo- und transphoben Klimas seines Landes unter der Päsidentschaft von Bolsonaro – die Darstellung eines komplett maroden Gesundheitssystems, in dem die gesellschaftlich Marginalisierten gleich doppeltes Leid erfahren müssen, bekommt in diesen Tagen noch mal eine andere Aktualität. „Schlag weiter, schlag weiter, altes Herz an meiner Brust, an die Misshandlung gewöhnt, an keine Rechte … kümmere dich nicht, lass sie reden, wenn sie wollen, denn das Einzige, das du mitnimmst, ist die Liebe, welche wir geben“, singt Daniela Ramalho da Silva als „Blume von Paraiba“ einmal in einem Nachtclub.

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Inspiriert ist „Greta“ von einem Theaterstück der 1970er Jahre, Praça, so ist zu lesen, hat der komödiantische Grundton missfallen und aus dem Stoff ein Drama gemacht. Das Motiv, das sich wie eine Parallelerzählung durch den Film hindurchzieht, kommt jedoch aus einem Film: „Grand Hotel“ von Edmund Goulding. Greta Garbo spielt in diesem Klassiker des amerikanischen Kinos Grusiskaya, eine vom Leben und seinen Ansprüchen überforderte russische Ballerina, die durch die zufällige Begegnung mit einem Gelegenheitsdieb neuen Mut schöpft. Garbos in matter Verzweiflung gesprochener Satz „I want to be alone“ wird dabei zu Pedros eigenem Mantra. Zum Ausdruck kommt darin weniger der Wunsch, ernsthaft in Ruhe gelassen zu werden, als die Angst, nach Danielas Tod in völliger Einsamkeit zurückzubleiben. „Nenn mich Greta Garbo!“ raunt er einem Lover bei einer flüchtigen Begegnung in einer Sauna zu. Die Garbo, bei Roland Barthes noch Verkörperung einer platonischen Idee der menschlichen Kreatur mit desexualisiertem Gesicht, ist für Pedro eine erotisch aufgeladene eskapistische Fantasie – und eine Projektionsfläche für verborgene Sehnsüchte.

Foto: GMfilms

Was der Ganove für Grusiskaya ist, wird Jean für Pedro. Eigentlich möchte er den Mann, der wie ein verschlagener Kleingangster daherkommt, dringend loswerden. Doch Jean hat es nicht eilig, aufzubrechen. Tatsächlich scheinen Pedros Fürsorge und Mitgefühl ein Geschenk zu sein, das ihm bisher eher selten zuteilwurde. Es ist für ihn dann auch fast selbstverständlich, ihm für ein bisschen menschliche Wärme, einen Platz auf dem Sofa und ein paar Schmerztabletten seinen Körper anzubieten. Erstaunlicherweise stellt sich Jean dabei als ausgesprochen zärtlicher Liebhaber heraus, und auch im Garbo-Plot spielt er mit Leichtigkeit mit. Die Liebeszenen zwischen den beiden Männern gehören wohl zu den anrührendsten, die seit langem zu sehen waren. Auch weil sich hier zwei sehr unterschiedliche Körper begegnen: der alte, weiche, an Hüften und Bauch ziemlich füllige Pedro, ein Mann mit schlohweißem Haar, vollen Lippen und einem fließenden Übergang von Kinn und Hals und der schmale, agile und von seinen Konturen eher spitze Jean. Dass dieser so einfühlsame und zum Geben bereite Körper auch zu aggressiver Gewalt fähig ist, gehört zu den Widersprüchen, die Pedro auszuhalten hat und die der Film klugerweise auch nicht wegharmonisiert. „Greta“ ist in keinem Augenblick sentimental, der Tonfall ist im Gegenteil aufrichtig und den Menschen zugewandt. Praça stiftet solidarische Allianzen zwischen den Figuren, ob sie nun durch ihre Sexualität an die gesellschaftlichen Ränder gedrängt wurden oder durch ihre kriminelle Energie.

Foto: GMfilms

Praça hat einen feinen Sinn für das Zusammenspiel der Körper wie auch für ihre Inszenierung im Raum. „Greta“ spielt fast ausschließlich in Innenräumen, es gibt keine Ausblicke nach draußen, dafür Ansichten auf verschlossene Vorhänge, Lampen und Spiegel, viel Nachtgeschehen. Die Farbtöne sind dunkel, die Texturen weich. Trotz dieser eher schattigen Welt ist die Stimmung nie stickig. Die Bilder sind in sich gekehrt, aber es gibt Luft zum Atmen. Und irgendwann fällt sogar das Sonnenlicht auf die nackten Körper. Im Abschiednehmen von Daniela und der Begegnung mit Jean findet Pedro schließlich auch zu einer neuen (sexuellen) Identität. Sein Herz mag alt sein, aber es schlägt nun in einem neuen Takt.




Greta
von Armando Praça
BR 2019, 93 Minuten, FSK 16,

portugiesische OF, deutsche UT,
GMfilms

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