Djam

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Der französische Regisseur Tony Gatlif, der mit seinem Migrant_innen-Drama „Exils“ 2004 den Regiepreis in Cannes gewann, schickt in seinem neuen Film „Djam“ zwei junge Frauen unterschiedlicher kultureller Prägungen auf einen romantischen Roadtrip durch Griechenland und die Türkei. Handlungsführend ist in dem skizzenhaften Film der Rembetiko – eine Blues-Art und Mischung aus griechischer Volksmusik und osmanischen Musiktraditionen, die Gatlif als „Musik der Ungeliebten“ versteht, „deren Texte Worte sind, die heilen können“. Ein Film über Liebe, Leid und Drogen – und ein Aufruf, stolz zu seinen kulturellen Wurzeln und dem eigenen sexuellen Begehren zu stehen.

Griechischer Blues

von Barbara Schweizerhof

Es beginnt mit einer Provokation. Da kommt eine junge Frau mit Minirock und ungekämmten Haaren einen ländlichen Weg an einem Maschendrahtzaun entlang – und beginnt zu tanzen und zu singen. Letzteres ist in einem Film des französischen Regisseurs Tony Gatlif, der in Algerien als Sohn eines Kabylen und einer Roma geboren wurde, nichts Besonderes. Doch was die junge Frau singt, hat es in sich: „Ich liebe eine verheiratete Frau“. Sicher, der Text gehört zu einer bekannten Weise des Rembetiko, der Art des Blues, den die nach 1922 aus Kleinasien vertriebenen Griechen im Mutterland bekannt machten. Wie der Blues handelt auch der Rembetiko vom Alltag und nimmt kein Blatt vor den Mund. „Gib mir etwas Haschisch, um meinen Schmerz zu lindern“, heißt es etwa in einer Zeile in einem später im Film gesungenen Lied. Den Satz von der Liebe zu einer verheirateten Frau stellt man sich trotzdem automatisch als von einem Mann geschrieben vor. Dabei – und darin liegt ein Teil der Provokation dieser ersten Szene – gehörten zu den berühmtesten Rembetiko-Interpreten immer schon Frauen. Dass Gatlif wenig später die Insel Lesbos als Ort der Handlung einblendet, wirkt wie die Bestätigung dafür, dass die junge Frau hier nicht ‚stellvertretend‘ singt, sondern durchaus meint, was ihr über die Lippen kommt.

Provokativ ist aber nicht nur die Verschränkung von traditioneller griechischer Musik und Queerness, die Gatlif hier quasi programmatisch an den Anfang seines Films stellt. Das ganze Auftreten der Hauptfigur Djam stellt eine Herausforderung dar. Man sieht ihren Bewegungen zur Musik schon an, dass sie sich nicht einfügen will in vorgegebene Muster. Ihre Liebe zum Rembetiko ist weniger Ausdruck einer Gefolgschaft, sondern Inbesitznahme, freche Aneignung zum eigenständigen Gebrauch. Und ähnlich geht sie mit ihrem Geschlecht um: Ihrem ‚Onkel‘ reibt sie es förmlich unter die Nase, wenn sie im Minirock, aber ohne Unterhose die Bootsleiter hinabsteigt. „Kleine Schlampe“, nennt er sie dafür. „Alter Stinkstiefel“, gibt sie zurück. Richtig gut scheint das Verhältnis zwischen den beiden nicht zu sein.

Foto: MFA

Aber sowohl diese Beziehung als auch die ganze Handlung von „Djam“ ist mehr Skizze und Versuchsanordnung als die Umsetzung eines zu Ende entwickelten Drehbuchs. Der ‚Onkel‘, der im Film den Namen Kagourgos trägt, ist nicht wirklich mit Djams verwandt, sondern der frühere Freund ihrer verstorbenen Mutter. Zu dritt haben sie einst in Paris gelebt, weshalb sie zwischendurch Französisch miteinander sprechen. Die Mutter, so heißt es im fernen Echo auf vergangene Schicksale, sei als gefeierte Rembetiko-Sängerin im Exil gestorben. Kagourgos ist mit Djam daraufhin nach Griechenland zurückgekehrt. Nun sieht er dort seinen Lebensunterhalt bedroht: erstens wegen der Finanzkrise, zweitens wegen des Ausbleibens der Touristen und drittens, ganz konkret, weil ihm die Treibstange seines Ausflugsboots kaputt gegangen ist. Mit einer Fülle an detaillierten Anweisungen schickt er deshalb Djam nach Istanbul. Sie soll dort einen Schmid aufsuchen, der ihm das seltene Modell neu anfertigen kann.

In Istanbul angekommen lernt Djam die mittellos auf der Straße gestrandete Avril kennen. Avril ist ursprünglich in die Türkei gereist, um in einem Flüchtlingslager an der syrischen Grenze als Freiwillige zu arbeiten, wurde dann aber von einem Mitreisenden ausgeraubt. Djam nimmt Avril unter ihre Fittiche, und gemeinsam machen sie sich auf den Weg zurück nach Lesbos, durch ein von der Krise gezeichnetes Land.

Foto: MFA

Der Plot des Roadmovies dient hier aber eben nur als lose angelegte Struktur, die mit vielen anderen Dingen befüllt wird. Das Thema Flüchtlinge wird gestreift, genauso wie das der Wirtschaftskrise. Zeit der Handlung sind die Wintermonate mit niedrig stehender Sonne, abgeernteten, bleichen Feldern und wenig Tourismusbetrieb. Genau wie die beiden Heldinnen befindet sich jeder Taxifahrer, jeder Olivenöl-Bauer und jeder Kaffeehaus-Besitzer, dem sie begegnen, in Geldnot. Ab und an führt ein Rembetiko-Lied zum versöhnlichen Zusammenkommen, aber die meiste Zeit sehen sich die Protagonisten gezwungen ihre Einzelinteressen gegen die der anderen zu verteidigen.

Trotz des scheinbar programmatischen Beginns behandelt Gatlif die Beziehung seiner beiden Heldinnen ähnlich beiläufig. Über den Schwierigkeiten der Reise verlieren Djam und Avril immer wieder den Kontakt zueinander. Wobei Djam zwischendurch Avril durchaus direkt Avancen macht. Sie reibt Avirl ihr Geschlecht recht buchstäblich ‚unter die Nase‘ – und erntet dafür von dieser Ablehnung und Befremden. „Was hast du bloß immer mit deiner Möse?!“, wirft Avril ihr vor und wehrt sich gegen die Aufforderung, dass sie Djam „da unten“ rasieren solle. Mit den Worten „Ich bin keine Lesbe“ flieht sie an einer Stelle vor der nackten Djam, die sie über ein Dach voller zum Trocknen aufgehängter Leintücher verfolgt. „Ich auch nicht“, hält ihr Djam entgegen, stolz ihren entblößten Körper in die Sonne haltend.

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Ein letzter Abstecher führt die beiden in die nordgriechische Stadt Kavala, wo Djam die Gelegenheit nutzt, das Grab ihres faschistischen Großvaters zu bepinkeln. Als Antwort auf das Unverständnis ihrer Begleiterin erläutert Djam ihr Credo, „gegen die Regeln, gegen Zensur, gegen Verbote“, das zugleich das Bekenntnis des Rembetiko ist.

Daphne Patakia ist fantastisch in dieser Rolle. Ihre Djam drückt im bloßen Auftreten mehr aus als alle dürren Dialogzeilen des Films zusammengenommen. In den witzigsten Szenen des Films ahmt sie das Macho-Auftreten ihres Onkels nach und trifft es so genau, dass die Leere der Behauptung von Überlegenheit und Stärke darin offenbar wird. Djam selbst lässt sich in kein Muster passen, nicht in das der braven Tochter, aber auch nicht in das der Schlampe oder eben ‚der Lesbe‘. Soll heißen: wenn sie liebt, dann ganz aus eigenem Willen und nicht nach einem Etikett. „Ich musste dir einfach folgen“, erklärt eine von zwiespältigen Impulsen beherrschte Avril gen Ende. Der Film und der Rembetiko beglaubigen sie darin.




Djam
von Tony Gatlif
FR/GR/TR 2017, 97 Minuten, FSK: 6,
deutsche SF & OF mit deutschen UT,

MFA

Ab 26. April hier im Kino.

 

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