Der Moment: Stand by Me

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„Stand by Me“, Rob Reiners Verfilmung von Stephen Kings Novelle „Die Leiche“ (1982), gilt als Meilenstein des US-amerikanischen Coming-of-Age-Kinos. Der Film erzählt nicht nur mitreißend und voller Empathie zu seinen Figuren von den lebensprägenden „Geheimnissen eines Sommers“, wie der deutsche Untertitel des Films verspricht. Er weigert sich vor allem überzeugend und nicht ganz un-queer, Kindheit und Jugend und all das Ungefestigte und Ambivalente darin als abgeschlossen zu betrachen. Eine ähnliche Perspektive nimmt auch der gefeierte Debütroman des Schriftstellers Fabian Hischmann, „Am Ende schmeißen wir mit Gold“ (2014), ein, dem im vergangenen Jahr ein zweiter Roman, „Das Umgehen der Orte“ (2017), folgte. Als „Stand by Me“ 1986 in die Kinos kam, war unser Autor erst drei Jahre alt. Den Moment seiner queeren Filmgeschichte hat er trotzdem in ihm gefunden – und seitdem nie mehr verloren.

Foto: Sony Pictures Home Entertainment

Sehen und gesehen werden

von Fabian Hischmann

Mein Moment ist ein Repeat.

Ich weiß nicht mehr, wann ich „Stand by Me“ zum ersten Mal gesehen habe. Und auch nicht wie oft. Ich schaue ihn wieder und wieder. Zufällig im Fernsehen (dann muss Ostern oder Weihnachten sein, und ich zu Besuch bei meinen Eltern, weil ich selbst kein Gerät besitze) oder an müden Stadtabenden ohne Ausgehdrang auf 13 Zoll und Matratze.

Die Adaption von Stephen Kings Shortstory „Die Leiche“ ist zeitlos. Oder eben dauernd.

Ist ja ein Ding von vielen Coming-of-Age-Stoffen, als ob man ewig oder nie erwachsen würde. Mal ehrlich, wer ist schon 17 und wird 18 und ist fertig?

Die Charaktere im Film von 1986 – da war ich drei, Coming of Pampers, und Zeit noch kein Faktor – sind Ende der 50er zwölf Jahre alt und Mini-Stereotypen mit Tiefgang. Da sind der schmächtige Gordie, der Schriftsteller werden möchte und den Unfalltod seines großen Bruders, des Football-Talents und „besseren“ Sohns, nur schwer verkraftet, und sein bester Freund Chris, der gerechte Rebell aus schwierigen Familienverhältnissen, sowie die Sidekicks Teddy, der Durchgeknallte, nebst Vern, dem treunaiven Dicken.

Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Ray Brower, einem vermissten Jungen. Sie träumen davon, Helden zu werden, und bergen allein dadurch, dass sie von Anfang an miteinander lachen und weinen können, so viel mehr Identifikationspotenzial, sind für mich näher dran am Helden, als es blockbusternde „Fantastic Four“ oder „Avengers“ je sein könnten.

Natürlich zanken die Vier auf ihrer Wanderung durch das sommerliche Oregon auch und beleidigen ab und an die Mutter des jeweils anderen. Dabei bleiben sie aber stets auf Augenhöhe und werden schnell versöhnlich. Nie fällt das Wort „Schwuchtel“ – okay, gegen Ende des Films sagt Kiefer Sutherland, der den Schmalspurgangster Ace mimt, zu Chris „little faggot“, aber das ist, verglichen mit dem, was sein zukünftiges Alter Ego Jack Bauer in der Serie „24“ Menschen antun wird, irgendwie süß. Noch besser ist, dass Chris nicht mit einem „faggot yourself“ kontert – das in „Jungsfilmen“ ja oft inflationär rausgeballert wird. Jungs sind hart, klaro. Schön, dass Stephen King und Rob Reiner, der Regisseur, da nicht mitmachen wollten.

Und so gibt es viele Szenen, die mir auch heute, draußen ist Nacht, stockt die Hitze zwischen den Häusern und meine Nachbarn in Neukölln unterhalten sich sehr laut via Fenster über die Katzenpisse im Treppenhaus, wieder Freude machen.

Meine liebsten passieren in der letzten Viertelstunde des Films. Die Freunde finden die Leiche und der Erzähler, der alte Gordie, sagt aus dem Off:

„None of us could breathe. Somewhere under those bushes was the rest of Ray Brower. The train had knocked Ray out of his Keds, just like it had knocked the life out of his body. The kid wasn’t sick. The kid wasn’t sleeping. The kid was dead.“

Am Ziel angekommen wird Gordie tieftraurig und fragt sich, warum sein Bruder Denny sterben musste. Chris versucht, ihn zu trösten.

Gordi:      „Why did he have to die, Chris? Why did Denny have to die? Why?“
Chris:       „I don’t know.“
Gordie:    „It should have been me.“
Chris:       „Don’t say that.“
Gordie:    „It should have been me.“
Chris:       „Don’t say that, man!“
Gordie:    „I’m no good. My dad said it. I’m no good.“
Chris:       „He doesn’t know you.“
Gordie:    „He hates me.“
Chris:       „He doesn’t hate you.“
Gordie:    „He hates me.“
Chris:       „No. He just doesn’t know you.“
Gordie:    „He hates me, my dad hates me. Oh god.“

Gordie bricht weinend zusammen und Chris nimmt ihn in den Arm und zieht ihn an sich.

Chris:       „You’re gonna be a great writer someday. You might even write about us guys, if you ever get hard-up for material.“

Am Schluss, sie sind wieder zuhause, verabschieden die beiden sich so voneinander:

Chris:       „I’m never gonna get out of this town, am I, Gordie?“
Gordie:    „You can do anything you want, man.“
Chris:       „Sure (er lächelt und streckt Gordie die Faust hin). Give me some skin!“
Gordie:    „I’ll see you.“
Chris:       „Not if I see you first.“

 

Manche sind mit zwölf das, was andere nie sein werden: Emphatische Sense-Fiction-Helden.




Stand By Me
von Rob Reiner
US 1986, 85 Min., FSK 6,

deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,
Sony Pictures Home Entertainment

 

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