Rara – Meine Eltern sind irgendwie anders

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Seit der Trennung ihrer Eltern lebt Sara mit ihrer jüngeren Schwester bei der Mutter, die jetzt mit einer Frau zusammen ist. Der Alltag der vier unterscheidet sich kaum von dem anderer Familien, für Sara ist die Situation voll in Ordnung. Doch das sehen nicht alle so, insbesondere ihr Vater hat Bedenken. Das Spielfilmdebüt der chilenischen Regisseurin Pepa San Martín ist komplett aus der Perspektive der 13-jährigen Sara erzählt und beruht auf wahren Begebenheiten. „Rara“ lief bereits auf der Berlinale 2016 im Rahmen der Jugendsektion Generation Kplus und wurde dort mit dem Großer Preis der Internationalen Jury ausgezeichnet. Seit gestern ist das einfühlsame Familienporträt endlich auch in einigen deutschen Kinos zu sehen.

Foto: Cine Global

Auf Augenhöhe

von Barbara Schweizerhof

Das „irgendwie“ im deutschen Verleihtitel führt auf die falsche Fährte: Die 12-jährige Sara, aus deren Perspektive der Film erzählt, weiß sehr genau, in welcher Hinsicht ihre Familie anders ist. Ihre Eltern sind geschieden und beide haben neue Lebenspartner. So weit so gut. Vater Víctor lebt mit Nicole zusammen, Mutter Paula aber mit Lía. Den Vater besucht Sara mit ihrer kleinen Schwester Cata regelmäßig, aber ihr Zuhause ist das mit den zwei Müttern. Auch im Chile der Gegenwart ist das allein kein Anlass mehr für Nachbarschaftsproteste oder dergleichen. Aber „normal“ ist es eben trotzdem nicht. „Wir sind hier nicht in New York“, gibt etwa die Großmutter zu bedenken, die das lesbische Coming-out ihrer Tochter akzeptiert hat, aber davor warnt, es zu sehr zu zeigen. Bemerkungen wie diese hallen in den Ohren der 12-jährigen Sara besonders nach, geht es für sie doch gerade darum, in die Welt hinauszutreten und gesehen zu werden. Was die Klassenkameraden denken werden, wenn sie sie zu sich zur anstehenden Geburtstagsfeier einlädt, macht ihr mehr Sorgen als die Zahnspange, die sie ohnehin bald loswird.

Fast hat man sich schon daran gewöhnt, dass queere Familienverhältnisse vor allem in Form von affirmativen Komödien abgehandelt werden. Schwierigkeiten kann man so als konstruktiv-emotionales Chaos interpretieren und sich über die Kleingeister und ‚Hater‘ am Rande humorvoll erheben. Pepa San Martíns „Rara“ ist dem wahren Fall einer chilenischen Richterin nachempfunden, die nach ihrem lesbischen Coming-out das Sorgerecht für ihre Kindern verloren hatte. Da erscheint es logisch, dass der Film sich von der komödiantischen Tradition absetzt. Die chilenische Regisseurin San Martín macht es aber auch anders als ihr Landsmann Sebastián Lelio mit „Eine fantastische Frau“. Statt eine Gesellschaft und ihre Vorurteile anzuklagen und sich ganz auf die Seite der Ausgegrenzten zu stellen, schildert sie den Fall aus dem Blickwinkel der heranwachsenden Tochter, die ungewollt zwischen die Fronten gerät.

Dass es um Sara und ihre Welt geht, demonstriert der Film in den langen ersten Einstellungen, in denen die Kamera dem Mädchen durch die Schule folgt. Tiefe Flure entlang, vorbei an verschiedenen Cliquen und Altersgruppen, bekommt der Zuschauer das Prekäre dieser Welt vermittelt. Es ist ein Sehen und Gesehenwerden, bei dem sich Unsichtbarkeit in den Augen der einen mit lautstarken Rufen und dementsprechendem Handlungsdruck bei anderen ablöst. Vordergründig scheint alles in Ordnung, sowohl bei Sara als auch ihrer kleinen Schwester, der noch naiven Cata. Aber abends überhört Sara aus dem Gespräch der erwachsenen Frauen, dass Mutter Paula zum Direktor gebeten wurde – wegen einem von Cata gemalten Bild. Darauf hatte die kleine Schwester ihre neue Familie mit den zwei Müttern dargestellt. Während die Erwachsenen den Vorfall vor Cata verschweigen und ihr keinen Vorwurf machen wollen, fühlt sich Sara als verantwortungsvolle ältere Schwester gezwungen, die Kleine zu warnen. Verschwörerisch bläut sie ihr vorm Schlafengehen ein, in Zukunft vorsichtiger zu sein.

Foto: Cine Global

In Details wie diesen schlüsselt San Martín das Innenleben ihrer empfindsamen Heldin auf. Wie üblich in diesem Alter bekommt Sara sehr viel mehr mit, als die Erwachsenen wahrhaben wollen, und gerade weil sie so viel heimlich beobachtet oder mithört, kann sie mit niemandem darüber reden. Seien es die Sexgeräusche, die aus dem mütterlichen Schlafzimmer dringen, oder die Ungerechtigkeit, dass die Erwachsenen trinken und rauchen, während man es ihr gleichzeitig streng verbietet. Niemand merkt, wie sehr sie sich dafür schämt, im Restaurant zusammen mit ihrer Familie ihrem Schulschwarm und dessen Mutter zu begegnen. Was an und für sich gewöhnliche Teenagerprobleme sind, verschärft sich in den gesellschaftlichen Gegebenheiten auf unvorhergesehene Weise.

Und wieder anders als in Lelios „Eine fantastische Frau“ sind es bei San Martín nicht die Einzelnen, die mit ihrer Abwehr und Verachtung eine Umgebung der Intoleranz und Unterdrückung schaffen. Hier ist es das gleichsam unsichtbare, aber deshalb nicht weniger wirkmächtige Verteidigen eines angenommenen „Normalzustands“, der der queeren Familie zum Verhängnis wird. Bei Sara nämlich kochen die Verunsicherung über ihren Stand bei den Schulfreunden und die Auseinandersetzungen mit der Mutter eines Tages über und sie bittet den Vater, ihren Geburtstag doch bei ihm feiern zu dürfen. Víctor, den der Film als zwar sichtlich gekränkten aber dennoch um ein gutes Verhältnis zu Töchtern und Exfrau bemühten Mann vorstellt, reagiert auf Saras Ausbruch hellhörig. Von da an stellt sich immer mehr die Frage, ob die Lebensgemeinschaft mit zwei Müttern ausreichend „normal“ ist, um das Glück der Kinder zu gewährleisten. Víctor reicht schließlich die Klage auf Übertragung des Sorgerechts ein.

Foto: Cine Global

San Martín erzählt diese Zuspitzung betont undramatisch. Beiläufige, dabei aber stets präzis beobachtende Szenen reihen sich aneinander, die die fatale Dynamik mit der 12-Jährigen im Zentrum als Verkettung von Umständen zeigen, an deren Ende alle verlieren. Besonders besticht dabei, wie vielschichtig die Figur der Sara angelegt ist: Jenseits von Rollenklischees wie ‚frühreife kleine Intrigantin‘ oder ‚unschuldiges Opfer‘ darf sie jemand sein, der seinen Stand in der Welt und die damit verbundenen Möglichkeit der Einflussnahme gerade erst entdeckt und ausprobiert. Als es an einer Stelle um die Katze der kleinen Schwester geht, gelingt es ihr, die Eltern erfolgreich gegeneinander auszuspielen. Aber was den bevorstehenden Prozess betrifft, erweisen sich ihre Versuche, mit dem Vater über ihre Gefühle zu sprechen als schmerzlich unwirksam. Sie muss erleben, wie ihre Unsicherheiten instrumentalisiert werden zu Zwecken, die sie selbst nicht übersieht. Was ihr eben noch als ersehnte Sicherheit erschien – die zur Normalität erklärte Heteronormativität – offenbart sich als Zwangszusammenhang, der sich gegen die Individualität der Bedürfnisse wendet.




Rara  Meine Eltern sind irgendwie anders
von Pepa San Martín
CL 2016, 88 Minuten, FSK: 0,
spanische OF mit deutschen UT,

Cine Global

Ab 3. Mai hier im Kino.

 

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